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Zahnmedizin

22. Nov. 2022

Fluoride: Wie Sie Mythen in der Beratung souverän begegnen

Der Einsatz von Fluoriden ist eine wesentliche Säule in der Kariesprophylaxe. Hunderte von Studien belegen ihre Wirksamkeit und die meisten Zahnärztinnen und Zahnärzte empfehlen fluoridhaltige Präparate. Zeitgleich verbreiten sich nicht nur über Social Media Mythen über die schädliche Wirkung von Fluoriden. Was Sie wissen sollten, um Patientinnen und Patienten professionell beraten zu können, zeigt dieser Beitrag.1-21

Lesedauer: ca. 5 Minuten

Zahnarzt Besuch Frau
Gefahr durch Fluoride? Eine Herausforderung im zahnärztlichen Alltag. (Symbolbild) (Foto: © Getty Images / FluxFactory)

Autorin: Melanie Salz | Redaktion: Sebastian Schmidt

Weit verbreitete Theorie: „Fluoride sind gefährlich!“

Die Liste der potenziellen Gefahren, die dem Einsatz von Fluoriden zugeschrieben werden, ist lang. Sie beinhaltet unspezifische Nebenwirkungen, z.B. 1

  • die Schädigung verschiedener Organe und des Immunsystems
  • Bluthochdruck
  • rheumatische Erscheinungen
  • Muskel- und Gelenkschmerzen
  • Allergien
  • Entstehung von Krebs
  • u.v.m.

Weit verbreitet sind die Behauptungen, Fluoride

  • seien hochgiftig 1,2
  • führen zur Verkalkung der Zirbeldrüse und bewirken dadurch Schlafstörungen, vorzeitige Alterung u.a. 3
  • seien neurotoxisch und mindern die Intelligenz bei Kindern 4

Ängste ernst nehmen, professionell beraten

Wenn verunsicherte Patientinnen und Patienten in die Praxis kommen, ist es hilfreich, ihre Ängste bereits zu kennen und ernst zu nehmen. Denn nur dann können diese aufgegriffen und mit wissenschaftlichen Fakten bewertet werden. Dieses Vorgehen schafft Vertrauen, im besten Fall können „Fake News“ oder unseriöse Darstellungen aus den sozialen Medien entkräftet werden.

Um dies zu erleichtern, werden im Folgenden drei der häufigsten Argumente der Fluorid-Kritiker bewertet.

1. These:  „Fluoride sind giftig“

Hintergrund: Auf einschlägigen Internetseiten (z.B. vom „Zentrum der Gesundheit“ oder von Heilpraktikerschulen sowie dem Heilpraktikerverband ) wird „Fluor“ als hochgiftig beschrieben und in einem Atemzug mit Fluoriden genannt. Diese wiederum seien ein Umweltgift und sogar als Kampfgas und in Rattengift eingesetzt worden. 1,2 Leider gehen die Theorien noch weiter. So kann man auf der Homepage des Heilpraktikerverbands folgende Zeilen lesen: „Fluor schaltet langsam aber sukzessive den freien Willen des Menschen aus. Dies ist auch der Grund dafür, warum weltweit etwa 60% der Psychopharmaka Fluorid als wichtigsten Bestandteil enthalten.“ 1 Dass sich daraus weitere und noch extremere Verschwörungstheorien entwickeln, liegt auf der Hand.7

Bewertung: Leider ist es fast unmöglich, überzeugte Verschwörungstheoretiker von ihren wahnhaften Vorstellungen abzubringen. Haben Patientinnen oder Patienten lediglich von solchen Theorien gehört und sind sie daher verunsichert, helfen folgende Argumente: 8

  • Fluor ist ein giftiges Gas. Fluoride dagegen sind Salze, die auch über die Nahrung aufgenommen werden und im Körper wichtige Funktionen haben.
  • Als Vergleich kann Chlor dienen: Dieses ist hochgiftig, Kochsalz (NaCl) lebensnotwendig.
  • Beim normalen Gebrauch von fluoridierter Zahnpasta und fluoridiertem Salz ist keine Vergiftung möglich.
  • Vergiftungssymptome treten bei Erwachsenen nach dem Verzehr von 2-3 Tuben Zahnpasta (1500 ppm) auf. Ein tödlicher Ausgang ist nach dem Verzehr von 30-60 Tuben zu erwarten 9. Für ein Kleinkind mit 15 kg wäre eine Tube (1500 ppm) tödlich. 10
  • 300 internationale Studien belegen die Wirksamkeit gegen Karies. 10

2. These: „Fluoride verkalken die Zirbeldrüse“

Hintergrund: Die Zirbeldrüse ist eine sehr kleine Drüse im Zentrum des Gehirns. Sie steuert jedoch durch die Produktion von Melatonin entscheidende Körperfunktionen wie den Schlaf-Wach-Rhythmus den Verlauf der Pubertät. Im Jahr 1997 fand Jennifer Luke im Rahmen ihrer Dissertation heraus, dass sich Fluoride in hohen Konzentrationen in der Zirbeldrüse anreichern, und im Tierversuch zeigte sich ein Einfluss von Fluoridaufnahme auf das Einsetzen der Pubertät.11 Es gibt Stimmen, die behaupten, Fluoride seien für die Verkalkung der Zirbeldrüse verantwortlich.12

Bewertung: Tatsächlich ließen sich in vielen Studien hohe Konzentrationen von Fluoriden in der Zirbeldrüse nachweisen.13,14 Dass Fluoride aber zu einer Verkalkung der Zirbeldrüse beitragen, ist fraglich. Eher ist es so, dass Fluoride sich in eine bestehende Verkalkung einlagern, vergleichbar mit der Fluoridierung im Zahnschmelz.16  Kalkifizierungen der Zirbeldrüse sind häufig und physiologisch 14,15, es gibt keine regionalen Unterschiede und sie kommen auch bei Tieren vor.16

Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass hohe Fluoridkonzentrationen im Trinkwasser die Funktion der Zirbeldrüse negativ beeinflussen und zu einer Verschlechterung der Schlafqualität führen.12,17

Information für Patientinnen und Patienten:

  • Es gibt keine Studien, die beweisen, dass Fluoride die Zirbeldrüse „verkalken“.
  • Die systemische Aufnahme von Fluoriden aus der Zahnpasta ist sehr gering, anders als in Regionen mit Trinkwasserfluoridierung.
  • Die Studienergebnisse sind auf deutsche Verhältnisse daher nicht übertragbar.
Über die Autorin
Dr. Melanie Salz

Dr. Melanie Salz praktiziert seit über 20 Jahren in der Zahnmedizin. Sie hat sich auf Kinderzahnheilkunde spezialisiert. Seit 2013 ist sie in einer Praxis in Bad Tölz tätig.

3. These: „Fluoride machen dumm“

Hintergrund: Im Lauf der letzten zwanzig Jahre wurden zahlreiche Studien veröffentlicht, die darauf hinweisen, dass Zusammenhänge zwischen erhöhtem Fluoridgehalt im Trinkwasser und verminderter Intelligenz bei Kindern bestehen. Dies ist theoretisch möglich, weil Fluoride Plazenta und Blut-Hirn-Schranke passieren und die frühkindliche Gehirnentwicklung stören können.18 In Tierversuchen wurde tatsächlich gezeigt, dass Fluorid in hoher Dosierung entwicklungs- und neurotoxische Wirkungen haben kann.19

Bewertung: Eine aktuelle Metaanalyse aus dem Jahr 2021 hatte das Ziel, alle verfügbaren Studien zum Thema Fluoride und Neurotoxizität zu prüfen und auszuwerten. Die meisten schieden aufgrund von unterschiedlichen Defiziten im Studiendesign aus. Nur zehn Studien konnten daher in die Metaanalyse eingeschlossen werden. Untersucht wurden Auswirkungen von hohen Fluoridkonzentrationen (oberhalb des von der WHO empfohlenen Grenzwerts) auf die kindliche Gehirnentwicklung.

Fazit der Studie: Auch wenn eine Tendenz erkennbar ist, reichen die Hinweise nicht aus, um sicher zu sein, dass Fluoride zu neurologischen Schäden führen. Dennoch betonen die Autoren, dass weitere Studien zu diesem Thema notwendig sind.18 Einige Forschende fordern auch, die Konzentrationen von Fluoriden im Trinkwasser besonders zu beobachten.19,20

Studien, die Zusammenhänge zwischen Fluoriden und Intelligenzminderung herstellen, beziehen sich auf Beobachtungen in Regionen mit stark erhöhtem Fluoridgehalt im Trinkwasser. Dies ist mit deutschen Verhältnissen nicht vergleichbar.20

In Deutschland ist die tägliche Fluoridaufnahme viel geringer, zumal es keine Trinkwasserfluoridierung gibt. Die Studienergebnisse sind außerdem teils widersprüchlich und methodisch angreifbar.19

Information für Patientinnen und Patienten:

  • Fluoride können in hoher Dosierung neurotoxisch sein.
  • Wenn überhaupt, werden zu hohe Fluoridaufnahmen nur durch Trinkwasserfluoridierung oder regional erhöhte Konzentrationen im Trinkwasser erreicht.
  • Beides ist in Deutschland nicht der Fall.
  • Die normale Benutzung von fluoridierter Zahnpasta ist unbedenklich.

Wichtig: In jedem Fall müssen Schwangere sowie Patientinnen und Patienten mit Kindern über die richtige Dosierung von Fluoriden bei Babys und Kindern aufgeklärt werden, um Fluorosen zu vermeiden!

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