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25. Juni 2021

Wann darf man die Schweigepflicht brechen?

Welchen Umfang hat die Ärztliche Schweigepflicht und wann darf der Arzt diese „durchbrechen“? Diese Frage ist nicht immer eindeutig zu beantworten. Alexa Frey, Fachanwältin für Medizinrecht, gibt einen Überblick.

Lesedauer: ca. 4 Minuten

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Dieser Beitrag wird vertreten von Alexa Frey, Fachanwältin für Medizinrecht. Redaktion: Dr. med. Laura Cabrera

Rechtliche Voraussetzungen der ärztlichen Schweigepflicht

Die ärztliche Schweigepflicht ist im ärztlichen Berufsrecht in § 9 Abs. 1 Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) sowie den jeweiligen ärztlichen Berufsordnungen der Länder geregelt. Ärzte müssen demnach über alle Umstände schweigen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Arzt anvertraut oder bekannt geworden sind. Ferner besteht die Schweigepflicht als Nebenpflicht aus dem zwischen Arzt und Patienten geschlossenen Behandlungsvertrag (vgl. §§ 630a ff. BGB). Eine Verletzung der Schweigepflicht durch den Arzt kann berufsrechtliche, aber auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen. Umso wichtiger ist die Kenntnis von Reichweite, Adressaten und Grenzen der Schweigepflicht.

Die Schweigepflicht bezieht sich auf alle Tatsachen und Umstände, die dem Arzt durch seinen Patienten anvertraut werden und gilt gegenüber allen Dritten, somit auch gegenüber anderen Ärzten sowie Familienangehörigen des Patienten und des Arztes. Selbst nach dem Tod des Patienten gilt die Schweigepflicht fort.

Bei volljährigen Patienten dürfen die Eltern des Patienten grundsätzlich nur mit dessen Einverständnis über die Erkrankung und weiteren Umstände durch den Arzt informiert werden.

Einschränkungen der ärztlichen Schweigepflicht

Der Arzt darf dann mit Dritten – beispielsweise Familienangehörigen des Patienten – über die Erkrankung des Patienten sprechen, wenn der Patient hierzu ausdrücklich seine Einwilligung erklärt hat. Der Patient kann den Arzt jederzeit von seiner Schweigepflicht durch Erklärung entbinden. Entscheidend bei einer solchen Schweigepflichtsentbindungserklärung ist aber, dass diese freiwillig erfolgt und stets hinreichend konkret sein muss. Eine pauschale Erklärung über die Entbindung der Schweigepflicht bspw. für alle zukünftigen Falle einer möglichen Datenweitergabe ist unwirksam.

Zustandsverschlechterung des Patienten – Ansprechen von Familienangehörigen

Schwierig können Fälle sein, in denen dem Arzt bei älteren Patienten eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes in Folge von Krankheit, z.B. bei einer Demenz, auffällt. Grundsätzlich darf der Arzt in einem solchen Fall keinen Kontakt zu den Familienangehörigen aufnehmen, sondern muss vorrangig den Patienten selbst dazu bewegen sein Krankheitsbild gegenüber Angehörigen zu offenbaren. Dies gilt im Grundsatz sogar dann, wenn mit der fehlenden Weitergabe der Informationen der Patient selbst oder Dritte gefährdet werden können.

Ausnahmsweise kann im Einzelfall auch eine sog. Notstandslage (§ 34 StGB) vorliegen, die es dem Arzt erlaubt, Geheimnisse, die unter die Schweigepflicht fallen, zu offenbaren. Dies ist dann der Fall, wenn eine gegenwärtige und nicht anders abwendbare Gefahr für Leben oder Gesundheit anderer Personen (Fremdgefährdung) oder den Patienten selbst (Selbstgefährdung) besteht, die durch die Offenbarung des Arztes verhindert werden kann. Hier muss der Arzt im Einzelfall eine Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern vornehmen. Wenn in der Abwägung das Recht des Dritten an Leib oder Leben gegenüber der Schweigepflicht des Patienten überwiegt, kann eine Offenbarung von Tatsachen durch den Arzt gerechtfertigt sein.

Bisher wurde dies für Fälle bejaht, in denen der Patient fahruntüchtig war und die anderen Verkehrsteilnehmer in der akuten Situation erheblich gefährdet hätte. In diesem Fall durfte der Arzt offenlegen, dass der Patient aufgrund von Medikamenteneinnahme fahruntüchtig war. Notwendig ist aber auch hier, dass der Arzt zunächst das direkte Gespräch mit dem Patienten sucht und versuchen muss, diesen zur Einsicht zu bewegen. Eine Durchbrechung der Schweigepflicht kann und darf stets nur das letzte Mittel sein.

Gesetzliche Offenbarungspflichten

Etwas Anderes gilt bei gesetzlichen Offenbarungspflichten, bspw. wenn eine gesetzliche Meldepflicht des Arztes für bestimmte Infektionserkrankungen nach dem IfSG besteht oder eine Meldung an eine bestimmte Behörde gesetzlich vorgesehen ist.

Sonderfall Kindeswohlgefährdung

Werden dem Arzt bei seiner Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, ist im Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) vorgegeben, wie hierauf zu reagieren ist. Der Arzt soll nach § 4 KKG zunächst mit dem betroffenen Kind und den Personenberechtigten die Situation erörtern. Wenn erforderlich soll der Arzt darauf hinwirken, dass die Personenberechtigten Hilfen in Anspruch nehmen, soweit hierdurch der Schutz des Betroffenen nicht in Frage gestellt wird. Zudem darf sich der Arzt zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung durch Fachkräfte der öffentlichen Jugendhilfe beraten lassen. Im Rahmen dieser Beratung ist der Arzt aber lediglich befugt, pseudonymisierte Daten an die Beratungsstelle zu übermitteln.

Um ein Beispiel zu nennen: Das Kammergericht Berlin sah in einem Urteil die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht durch Information des Landeskriminalamtes und des Jugendamtes bei einem ernstzunehmenden Verdacht einer Kindesmisshandlung als gerechtfertigt an. Hier hatte ein Säugling „klassische“ Verletzungen, die von einem Schütteltrauma herrühren können.1

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Alexa Frey ist selbständige Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht und Fachanwältin für IT-Recht. Sie berät Leistungserbringer im Gesundheitswesen in Fragen des Arzthaftungsrechts, IT-Rechts, Datenschutzes, Vertrags- und Gesellschaftsrechts, Vergütungsrechts und Medizinstrafrechts.
Kontakt: [email protected]

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Quellen

1. KG Berlin, Urteil vom 27. Juni 2013 – 20 U 19/12 

Bildquelle © gettyImages/AaronAmat

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