Claude Monet sieht rot: Das Farbenspiel der Seerosen
Claude Monet ist einer der bekanntesten Vertreter des Impressionismus. Seine Werke wirken bis heute nach – dank seiner meisterhaften Farbkompositionen. Was viele nicht wissen: Es verbirgt sich eine lange Leidensgeschichte hinter den Werken des ikonischen Malers.
Lesedauer: ca. 6 Minuten
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Redaktion: Marc Fröhling & Sebastian Schmidt
Mit etwas über 60 Jahren begannen die Augenleiden bei Claude Monet, seine Diagnose: „beidseitiger Grauer Star“. Zuvor schon bemerkte der Künstler eine schleichende Verschlechterung seiner Sehkraft.
Herr Dr. Gerste, woher wissen wir heute von den Erkrankungen des Künstlers und wie er damit umging?
Monets Augenärzte haben Notizen über seinen Krankheitsverlauf hinterlassen, wenngleich insgesamt spärlich. Einer seiner Ophthalmologen war Robert Liebreich, ein Pionier auf diesem Gebiet, der mit dem um die Mitte des 19. Jahrhunderts erfundenen Augenspiegel operierte. Liebreich stammte zwar aus Königsberg, praktizierte aber seit 1862 in Paris, behandelte u.a. eben auch Claude Monet.
Über Monets Umgang mit der Erkrankung ist bekannt, dass der Künstler auf seiner Palette die Farben immer auf die gleiche Stelle auftrug. Denn aufgrund der zunehmenden Linsentrübung konnte er sie nicht mehr ganz sicher voneinander unterscheiden.

Gibt es Beispiele für andere Künstler aus jener Zeit, die auf ähnliche „Tricks“ zurückgriffen, um ihre nachlassende Sehfähigkeit auszugleichen?
In der Tat, so bat Edgar Degas die Persönlichkeiten, die er porträtierte, ihm die Etiketten der von ihm benutzten Farben vorzulesen – was vermutlich das Vertrauen der zahlenden Klientel in den Künstler nicht gerade stärkte. Degas litt jedoch an einem anderen Augenleiden, wahrscheinlich an einer hereditären Netzhautdegeneration.
Doch zurück zum sogenannten Grauen Star: Monet ist einer der beiden Künstler, bei denen die Katarakt, die altersbedingte Linsentrübung, das Oeuvre erkennbar beeinflusst hat. Der andere ist J.M.W. Turner. In jungen Jahren malte Turner mit einer fast fotografischen Genauigkeit. Sein bekanntes Werk Rain, Steam, and Speed – The Great Western Railway stammt aus dem Jahr 1844, als Turner bereits seinem 70. Geburtstag entgegenging.


Es ist über große Flächen der Leinwand ein "Nebelsehen", wie es typisch für eine Katarakt ist. Auch die Eisenbahn selbst ist verschwommen – mit einer Ausnahme: der Schornstein der Lokomotive. Hier können wir nur vermuten, aber ich könnte mir vorstellen, dass er hier mit einer Lupe in der einen und dem Pinsel in der anderen Hand sehr nah an der Leinwand gearbeitet hat.
Zurück zu Monet: Mit den Jahren verschlechterte sich sein Augenlicht weiter. Im Spätsommer 1922 wurde ihm nur noch eine zehnprozentige Sehfähigkeit attestiert. Trotzdem verwehrte er sich weiter einer Operation. Was waren seine Beweggründe dafür? Wie hat man sich eine Katarakt-OP vor 100 Jahren vorzustellen?
Er hatte natürlich als ein hochgradig visuell orientierter und auf sein Sehvermögen angewiesener Mensch berechtigte Sorgen, dass die Operation ihm sein noch verbliebenes Sehvermögen rauben würde. Bedenken Sie: wir sprechen von einer Epoche gut zwei Jahrzehnte vor Einführung der Antibiotika. Dass die gefürchtete Endophthalmitis, die postoperative Infektion des Augeninneren – sozusagen der GAU jedes ophthalmo-chirurgischen Eingriffs – heute in Inzidenzen mit einer oder mehreren Nullen hinter dem Komma zurückgedrängt wurde, hätten damalige Operateure wohl für Science-Fiction gehalten.

Ronald. D. Gerste, geboren 1957, ist Arzt und Historiker. Seit seinen Studientagen fasziniert ihn der Einfluss, den medizinische Faktoren auf den Ablauf der Geschichte haben. Gerste lebt seit vielen Jahren als Korrespondent und Buchautor in Washington, D.C., und schreibt dort vor allem für die „Neue Zürcher Zeitung“ und die „FAS“, für „Damals“, für das „Deutsche Ärzteblatt“ und andere wissenschaftliche Zeitschriften.
Die damalige Vorgehensweise war aus heutige Sicht geradezu grobschlächtig: die Hornhaut wurde mit einer Schere um ca. 180 Grad eröffnet, umgekippt – was einen immensen postoperativen Astigmatismus hinterließ – und dann die Linse in toto extrahiert. Heute belässt man die Linsenkapsel, damit in diese eine Intraokularlinse (IOL) implantiert werden kann.
Schließlich dürfte Monet auch von der verzerrten Wahrnehmung durch die postoperativ notwendige Starbrille gehört haben. Dabei handelt es sich um Gläser mit einer Brechkraft um 10 bis 14 Dioptrien plus – Gläser, so dick wie der Boden einer Cola-Flasche.
Im Dezember 1922 entschied Monet sich, inzwischen 82-Jährig, schließlich doch noch zu einer Operation. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?
Wenn eine Katarakt nicht operiert wird, geht das Sehvermögen immer weiter zurück, bis der Patient schließlich erblindet. Das merkte auch Monet und ließ sich schließlich doch operieren. Tragischerweise ist die Katarakt auch heute noch die weltweit wichtigste Erblindungsursache.
Denn in manchen Ländern, vor allem in Sub-Sahara-Afrika, steht die OP-Infrastruktur nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung. So erblinden die Patientinnen und Patienten mit der maturen, also der ganz reifen, dicht-weißen Linsentrübung letztlich. Ein Befund, der hierzulande heute eine Rarität ist.

Wie erging es Monet nach der Katarakt-Operation? War für ihn die Rückkehr zu seinem malerischen Schaffen doch noch möglich?
Er war das Musterbeispiel eines unzufriedenen Patienten. Das sieht man ganz klar an seinen Briefwechseln. Es war nicht unüblich, dass die optische Rehabilitation nach dem Eingriff relativ lange dauerte, weil dieser eben sehr grob ausgeführt wurde. Und die Reha konnte ohnehin erst nach Anpassung der beschriebenen Starbrille erfolgen.
Monet war geschockt über die für ihn ungewohnte Blauwahrnehmung und das Grau, Braun oder Rotbraun. Vor allem der Cataracta nuclearis, der Kernkatarakt, filtert ja gerade kurzwelliges Licht heraus. Mit einem Blaufilter in seinen Brillengläsern wurde er der Blauanflutung aber Herr und damit auch allmählich etwas zufriedener.
100 Jahre später: Wie würden Sie einen Patienten wie Monet mit seinen Ängsten und Befürchtungen heute auf die Katarakt-OP vorbereiten?
Heute könnte man Monet mit dem Hinweis wohl fast alle Sorgen nehmen, dass die Katarakt-Operation die am häufigsten ausgeführte chirurgische Intervention überhaupt ist. In Deutschland wird sie geschätzt rund 900.000-mal im Jahr durchgeführt.
Und mehr noch: während sonst bei operativen Interventionen im Idealfall ein funktioneller Zustand des betreffenden Organs erreicht wird, der besser ist als vor dem Eingriff, wird in der Kataraktchirurgie – wer sich dafür interessiert, sei auf die Website der Fachgesellschaft DGII verwiesen – oft ein Zustand erreicht, der besser ist als vielleicht gar je zuvor im Leben: dann nämlich, wenn eine seit Kindheit bestehende Fehlsichtigkeit wie eine Myopie gleich mitbehoben wird.
Fachleute sagen daher, die Kataraktchirurgie ist immer auch refraktive Chirurgie. Die Intraokularlinse wird so genau berechnet, dass ein Operateur heute schon unzufrieden sein kann, wenn postoperativ noch eine Dreiviertel Dioptrie Kurz- oder Weitsichtigkeit vorliegt. Und die Inzision kann heute vielfach unter 2 Millimeter Größe gehalten werden. Das Ganze findet in aller Regel ambulant statt und die Schmerzausschaltung geschieht vielfach nur mit Augentropfen. Die Dauer in der Hand eines erfahrenen Operateurs: zehn Minuten, manchmal noch weniger.
Das Glaukom, der „Grüne Star“, ist eine der häufigsten Ursachen für eine Erblindung. Dabei kann die Erkrankung gut behandelt werden, wenn sie rechtzeitig erkannt wird. Neben den konventionellen Maßnahmen zum Senken des Augeninnendrucks steht eine ganz neue Therapieoption zur Verfügung.
Der Graue Star, die meist altersgetrübte Linse, kann durch eine Operation bei den meisten Patienten erfolgreich behandelt werden. Ursachen und Therapie der Erkrankung werden in diesem Buch anschaulich und gut verständlich beschrieben.
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