Das Bundessozialgericht (BSG) hat am 27. August 2025 ein Urteil gegen einen Facharzt für Innere Medizin (Schwerpunkt Kardiologie) gesprochen. Darin ging es um die Frage, ob für die Gültigkeit einer ärztlichen Verordnung die eigenhändige Unterschrift des Arztes zwingend erforderlich ist. Das Bundessozialgericht hat – unter Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung – einen Unterschriftenstempel als nicht ausreichend angesehen (Az.: B 6 KA 9/24 R).1
Der Kardiologe hatte über mehrere Jahre hinweg Sprechstundenbedarfsverordnungen lediglich abgestempelt und nicht eigenhändig unterschrieben. Eine Krankenkasse beauftragte die hierfür zuständige Prüfstelle, die einen Regress in Höhe von knapp 500.000 Euro gegen den Arzt festsetzte.
In letzter Instanz lehnte das Bundessozialgericht die Revision des Arztes ab und bestätigte das Urteil des Sozialgerichts Marburg. Das BSG stützte sich auf § 48 Abs. 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) in Verbindung mit §§ 82 Abs. 1 Satz 2 und 72 Abs. 2 SGB V. Die Vorschriften ermöglichen die Schadensermittlung und Rückforderungen durch die Prüfstellen beim Vorliegen von formalen Fehlern.
Medizinische Indikation führt nicht zu Abmilderung
Das Gericht führte aus, dass die fehlende Unterschrift einen formalen Fehler darstellen würde und dadurch ein sonstiger Schaden entstanden sei. Unabhängig davon sei die Frage, ob die Verordnungen medizinisch notwendig waren oder nicht. Auch die Tatsache, dass die verordneten Mittel medizinisch indiziert waren und in der Folge ordnungsgemäß genutzt wurden, führte nicht zu einer Reduzierung der Regresssumme.
Kritisch gesehen werden kann hier, dass das Vorliegen eines formalen Fehlers zu einer vollständigen Rückforderung der Kosten von medizinisch indizierten und korrekt verwendeten Mitteln führt. Angemessen wäre eine Minderung des Regressbetrags, da es sich ausschließlich um eine Formsache handelte.
Persönliche Unterschrift des Arztes ist unerlässlich
Nichtsdestotrotz besteht eine Prüfpflicht des Arztes bei jedem Rezept. Insbesondere ist hier zu prüfen, ob die verordnete Leistung für den jeweiligen Patienten indiziert und auch die entsprechende Menge und das Arzneimittel korrekt auf dem Rezept wiedergegeben ist. Im Falle eines Unterschriftenstempels kann die „Unterschrift“ auch von jeder anderen Person – die Zugriff auf den Stempel hat – getätigt werden, womit der Nachweis der Kontrollfunktion des Arztes wegfällt. Die persönliche Unterschrift ist daher auch die verkörperte Erklärung des Arztes, dass er das Rezept gesehen und vor allem auch auf Richtigkeit kontrolliert hat.
Tatsächlich dürfte die Problematik der fehlenden Kontrollfunktion bei elektronischen Rezepten neue Fahrt aufnehmen. Hier wird die Unterschrift elektronisch mittels entsprechender Karte mit PIN Nummer ersetzt. Dies birgt – wie beim analogen Stempel – das Risiko, dass die elektronische „Unterschrift“ auch durch andere Personen als den Arzt verwendet werden kann. Dies dürfte zukünftig noch Gegenstand von gerichtlichen Verfahren sein.
Das Urteil des BSG ist bisher nicht im Volltext veröffentlicht.
KBV äußert scharfe Kritik: „Unverhältnismäßig und überzogen”
Kritik auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts kam umgehend von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV. Die Vorstände, Dres. Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sybille Steiner erklären dazu2:
„Geradezu absurd und unglaublich, aber leider wahr: Wegen eines Formfehlers überziehen Krankenkassen ärztliche Kollegen einer Praxis, die medizinisch vollkommen korrekt gehandelt haben, mit einem ruinösen Regress in Höhe von fast 500.000 Euro. Eine Unverhältnismäßigkeit sondergleichen, die am Mittwoch auch noch vom Bundessozialgericht bestätigt worden ist. Die Kollegen hatten die Verordnungen nicht unterschrieben, sondern gestempelt. Das war formell falsch, führte aber zu keinem Schaden. Alle Leistungen waren medizinisch erforderlich und für die Behandlung der Patienten notwendig. Das ist stets unstrittig gewesen.“
Trotzdem habe das Bundessozialgericht (BSG) den Regress bestätigt. Die Richterinnen und Richter hätten damit „nicht die notwendige Versorgung von Menschen, sondern das bürokratische Konstrukt des Formfehlers zum Maß aller Dinge“ erhoben. In ihrer Bewertung setzten die Juristen die fehlende Unterschrift einer unrechtmäßigen Arzneimittelabgabe gleich – mit fatalen, existenzbedrohenden Folgen für die Betroffenen. Die BSG-Entscheidung sei nicht nur “völlig unverhältnismäßig”, so der Vorstand. Sie zeige aber auch, dass es dringend eine gesetzliche Klarstellung brauche. Konkret fordert die KBV eine Ausweitung der sogenannten Differenzkostenberechnung. Diese begrenzt Regresse auf die Differenz zwischen den tatsächlichen Kosten und jenen, die bei einer wirtschaftlichen Verordnung entstanden wären. „Einfach formuliert: Wir brauchen eine Anrechnung dessen, was die Versicherten medizinisch sachgerecht erhalten haben.“