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Zahnmedizin

06. Sep. 2023

Sedierung beim Zahnarzt: Ein heißes Eisen

Zahnarztangst ist nur scheinbar ein Bagatellproblem. Fünf bis zehn Prozent der Erwachsenen leiden an einer krankhaften Dentalphobie.1 Einige Zahnarztpraxen bieten deshalb Behandlungen auch unter (intravenöser) Sedierung an. Aber ist das überhaupt erlaubt?

Lesedauer: ca. 3 Minuten

Sedierung beim Zahnarzt
Zahnbehandlung unter Vollnarkose kommt immer häufiger vor. Doch wer darf die Patientinnen und Patienten sedieren? (Foto: © Getty Images / ArtistGNDphotography)

Der Anästhesist Dr. Rolf Glätzer ist im Vorstand des interdisziplinären Arbeitskreises zahnärztliche Anästhesie IAZA (BDA, DGAI und DGZMK).2 Im Interview mit Dr. Horst Gross berichtet er über den aktuellen Stand der Diskussion um die Zahnarztsedierung.

coliquio: Warum ist das Thema Sedierung beim Zahnarzt derzeit aktuell?

Glätzer: Eine Zahnbehandlung kann sehr unangenehm sein. Das ist nicht neu. Neu ist jedoch, dass Patienten diese Unannehmlichkeiten immer häufiger durch eine Sedierung vermeiden wollen. Früher war dafür ein Anästhesist nötig, schon allein, weil die Sedierung manchmal sehr tief gehen muss. Derzeit gibt es jedoch einen Mangel an Anästhesisten, die den Zahnarztpraxen zur Verfügung stehen. Als Alternative gehen die Zahnärzte daher dazu über, in eigener Regie eine leichte oder moderate Sedierung durchzuführen.

coliquio: Was genau ist mit moderater Sedierung gemeint?

Glätzer: Bei der moderaten Sedierung bleibt der Patient ansprechbar und kann auf verbale Aufforderungen reagieren. Gleichzeitig soll das Sedativum die emotionale Belastung durch Behandlung mindern. Mittel der Wahl ist in diesen Fällen das Benzodiazepin Midazolam, das sowohl oral als auch intravenös verabreicht werden kann. Strittig ist noch, in welcher Dosierung und ob der Zahnarzt auch intravenös applizieren darf. Propofol ist für Zahnärzte tabu.

coliquio: Ist das endgültig geklärt, ob Zahnärzte eigenständig Sedierungsmaßnahmen durchführen können?

Glätzer: Die Situation ist bisher nicht abschließend geklärt. Der Zahnarzt ist aufgrund seiner spezifischen Ausbildung eigentlich nur befugt, im oralen Bereich medizinisch tätig zu werden. Die Sedierung betrifft jedoch den gesamten Organismus, wofür seine Ausbildung und Approbation nicht konzipiert ist. Allerdings gilt es, im Interesse der Patienten eine
praktikable Lösung zu finden. Zwischen diesen Polen bewegt sich die Diskussion. Die derzeit gültige Leitlinie3 gesteht den Zahnärzten das Sedierungsprivileg für die orale Gabe eingeschränkt zu. Die Diskussion hierzu ist aber bis jetzt nicht abgeschlossen.

coliquio: Manche Zahnärzte wollen Midazolam auch intravenös verabreichen, weil das den Gesamtaufwand reduziert. Geht das?

Glätzer: Aufgrund des Wirkprofils von Midazolam wäre dies bei jüngeren und gesunden Patienten denkbar. Für die Zukunft könnte eine differenzierte und verbindliche Leitlinie entwickelt werden, die den Zahnärzten zeigt, wie und in welcher Dosierung Midazolam sicher
angewendet werden kann und welche Vorsichtsmaßnahmen zu treffen sind. Die Diskussion zu dieser Leitlinie läuft aber noch.

coliquio: Welche Einschränkungen müssten dabei berücksichtigt werden?

Glätzer: Die Leitlinie sieht bereits vor, dass ältere und kranke Patienten von der Sedierung durch das zahnärztliche Team ausgeschlossen sind. Ein Überwachungsstandard mit Pulsoxymetrie, Blutdruckmessung und EKG ist ebenfalls bereits bei der moderaten Sedierung angemessen. Zusätzlich sollte sichergestellt werden, dass die Überwachung durch eine zweite geschulte Fachkraft, z. B. die Praxisassistentin, erfolgt. Zusätzlicher Regelungsbedarf besteht bei der postinterventionellen Überwachung. Hier halte ich mindestens zwei Stunden in der Zahnarztpraxis für angemessen. Die Patienten sollten nur in Begleitung nach Hause entlassen werden, und es sollte dort jemand anwesend sein. Denn die klinische Wirkung von Midazolam hält etwa acht Stunden an. Außerdem muss sichergestellt werden, dass die Betroffenen während dieser kritischen Zeit nicht aktiv am Straßenverkehr teilnehmen.

coliquio: Warum ist bei Gastroenterologen eine Sedierung während endoskopischer Eingriffe mit dem deutlich gefährlicheren Propofol möglich?

Glätzer: Gastroenterologen sind Fachärzte für Innere Medizin mit Vollapprobation. Ein Teil ihrer Ausbildung erfolgt auch auf der Intensivstation. Diese Fachärzte sind daher qualifiziert, Komplikationen während der Sedierung zu beherrschen.

coliquio: Es gibt doch einen Antagonisten gegen Midazolam. Könnten damit auch Zahnärzte eine versehentlich zu tiefe Sedierung sofort korrigieren?

Glätzer: Dies ist nur eine scheinbare Lösung. Eine zu tiefe Midazolam-Sedierung kann zwar durch die intravenöse Gabe des Antidots schnell aufgehoben werden. Wenn aber Flüssigkeit oder Speichel aspiriert wurde und es zu einem Laryngospasmus mit Hypoxie kommt, hilft auch das Antidot wenig. Zudem wäre ein antagonisierter Patient sofort wach. Trotzdem müsste er mindestens zwei Stunden in der Praxis bleiben. Das Gegenmittel wirkt kürzer als Midazolam. Hier sind Akzeptanzprobleme vorprogrammiert.

coliquio: Offensichtlich ist die Betreuung von Angstpatienten in der Zahnarztpraxis bisher nicht ausreichend geregelt. Wie kann man das besser machen?

Glätzer: Die bisherigen Leitlinien zum Thema Angstpatienten in der Zahnarztpraxis haben sich aus Sicht der Zahnärzte als zu restriktiv erwiesen. Deshalb ergibt sich die Notwendigkeit, einen neuen Konsens zwischen den Fachgesellschaften zu finden, der auch das Thema der intravenösen Sedierung durch Zahnärzte tangiert. Wenn die Sondierungsgespräche gut verlaufen, könnte eine neue Leitlinie im Jahr 2024 veröffentlicht werden.

Quellen
  1. Zahnbehandlungsphobie, Wikipedia, 23.04.2023.
  2. Interdisziplinärer Arbeitskreis Zahnärztliche Anästhesie.
  3. S3-Leitlinie: Zahnbehandlungsangst beim Erwachsenen. AWMF-Registernummer: 083–020 Stand: Oktober 2019, Gültig bis: Oktober 2024.
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