Helfen Probiotika bei der Parodontitistherapie?
Spätestens durch die Einführung der neuen PAR-Richtlinie ist die Therapie der Parodontitis in allen zahnärztlichen Praxen angekommen. Ein aktuelles Thema in der Forschung ist dabei der Einsatz von Probiotika. Hat deren Einnahme das Potenzial, eine gesunde Mundflora zu begünstigen?
Lesedauer: ca. 3 Minuten

Autorin: Dr. Melanie Salz | Redaktion: Marc Fröhling
Mikrobiom – Schutzschild des Körpers
Der menschliche Körper beherbergt etwa genauso viele Mikroorganismen, wie er Körperzellen besitzt. Sie befinden sich im Darm, aber auch in anderen Regionen, wie z.B. der Mundhöhle. Alle im Körper lebenden Mikroorganismen bilden eine Lebensgemeinschaft, das sogenannte Mikrobiom. Ihre Zusammensetzung und ihr hochkomplexes Zusammenspiel beeinflussen entscheidend Körperfunktionen und das Immunsystem.1 Veränderungen des Mikrobioms, ausgelöst durch Einflüsse wie Ernährung, Medikamente und Umweltnoxen können zu einer Schwächung des Organismus, der Vermehrung von pathogenen Mikroorganismen und chronischen Erkrankungen führen.1,2
Probiotikaeinnahme gegen Dysbiose?
Ähnlich wie für andere Körperregionen, ist über das Mikrobiom in der Mundhöhle vieles noch unbekannt. Allerdings sind sich Forschende darüber einig, dass bei parodontal Gesunden eine Symbiose zwischen dem dentalen Biofilm und der (angemessenen) Wirtsreaktion vorliegt. Verschiebt sich das Gleichgewicht im Biofilm durch Faktoren wie veränderte Mundhygiene, Rauchen, Ernährung u.a., entsteht eine Dysbiose. Durch einen erhöhten Anteil parodontopathogener Bakterien kann dann eine Parodontitis entstehen.3,4,5 Könnte es also nicht sinnvoll sein, gesundheitsfördernde Mikroorganismen (Probiotika) in Form von Lutschtabletten einzunehmen, um eine gesunde Mundflora zu begünstigen oder sogar wiederherzustellen?
Deutlich verbesserte gingivale Entzündungszeichen
Tatsächlich halten es Forschende für möglich, mit Hilfe von Probiotika das orale Mikrobiom positiv zu beeinflussen. Laut Professor Ulrich Schlagenhauf, ehemaliger Leiter der Abteilung für Parodontologie an der Universität Würzburg, könne nicht nur rein symptomatisch (nämlich durch das Entfernen der dysbiotischen Beläge), sondern auch ursächlich (durch Wiederherstellung eines symbiotischen Biofilms) Entzündungen vorgebeugt werden. Außerdem beschreibt er eigene Untersuchungen, in denen Patientinnen und Patienten mit unzureichender Mundhygiene, mit Periimplantitis und starke Raucher von Lutschtabletten mit Lactobacillus-reuteri-Stämmen profitierten. Ihm zufolge verbesserten sich gingivale Entzündungszeichen deutlich.6

Dr. Melanie Salz praktiziert seit über 20 Jahren in der Zahnmedizin. Sie hat sich auf Kinderzahnheilkunde spezialisiert. Seit 2013 ist sie in einer Praxis in Bad Tölz tätig.
Hemmung von Parodontitis-verursachenden Bakterien durch L. reuteri
Es liegen sehr aktuelle Studien vor, die zeigen, dass sich der Einsatz von Probiotika bei Parodontitis positiv auswirkt. Dabei scheint Lactobacillus reuteri der vielversprechendste Kandidat zu sein.6 Studien aus dem Jahr 2020 und 2021 konnte zeigen, dass L. reuteri Anaerobier und Aggregatibacter actinomycetemcomitans deutlich in ihrem Wachstum hemmt.7,8 Gleichzeitig betonen die Autoren, dass die Wirkung von Bakterien immer von mehreren Faktoren abhängt, beispielsweise vom Zusammenspiel mit anderen Mikroorganismen und von anderen begünstigenden Faktoren wie Prebiotika. Das volle Potenzial probiotischer Nahrungsergänzungsmittel sei bei weitem noch nicht ausgeschöpft.7 Somit gibt es noch Forschungsbedarf hinsichtlich der optimalen Zusammensetzung von Lutschtabletten und Co.
Verbesserung klinischer Parameter
In verschiedenen aktuellen klinischen Studien zeigte sich, dass sich der Einsatz von L. reuteri in Form von Kau- oder Lutschtabletten begleitend zu einer Parodontitistherapie positiv auswirkt. Klinische Parameter wie BOP (Bleeding on probing), CAL (clinical attachment loss) und Taschentiefen verbesserten sich.9,10,11,12 Obwohl frühere Metaanalysen zu diesem Thema widersprüchliche Ergebnisse lieferten13, kamen zwei aktuellere zu eindeutigeren Schlüssen. 64 bzw. 21 randomisierte klinische Studien konnten jeweils ausgewertet werden. Heraus kam, dass durch den Einsatz von Probiotika klinische Entzündungszeichen und Taschentiefen bei einer Parodontitis signifikant reduziert werden konnten.14,15
Blick in die Zukunft: Fundierte Empfehlungen nötig
Nach Professor Schlagenhauf 13 sind die uneinheitlichen Studienergebnisse dieser noch relativ neuen Fragestellung u.a. auf uneinheitliche Studienprotokolle zurückzuführen. Außerdem gibt es noch keine fundierten Empfehlungen zur Dosierung, Darreichungsform und Zusammensetzung der Probiotika in der Parodontitistherapie. Geringe Veränderungen durch unterschiedliche Bakterienstämme können andere Ergebnisse liefern, da die Wechselwirkungen zwischen Mikroorganismen untereinander und auf zellulärer Ebene sehr komplex sind. Außerdem sind spezielle Probiotika vielleicht nicht nur in der Lage, lokal zu wirken. Möglicherweise können sie auch systemisch über eine veränderte Immunantwort helfen, Entzündungszeichen zu reduzieren.13
Fazit
- Das Mikrobiom des menschlichen Körpers, im Speziellen der orale Biofilm, ist hochkomplex.
- Parodontitis wird u.a. verursacht durch einen dysbiotischen oralen Biofilm.
- Probiotika könnten den oralen Biofilm positiv beeinflussen.
- Bakterien in Probiotika können parodontopathogene Bakterien hemmen.
- Viele Studien deuten auf einen positiven Einfluss von Probiotika zusätzlich zur Parodontitistherapie hin.
- Es gibt Hinweise darauf, dass Patientinnen und Patienten mit eingeschränkter Mundhygiene und Raucher von probiotischen Lutschtabletten profitieren.
- Für eindeutige Empfehlungen sind noch mehr standardisierte Studien notwendig.