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Zahnmedizin

21. März 2023
Was Zähne erzählen können

Forensische Zahnmedizin: Im Einsatz für das Recht

Der Zahnarzt und Arzt Dr. Dr. Grundmann erklärt, wie seine Arbeit in der forensischen Zahnmedizin konkret aussieht und warum sie so wichtig ist. Er berichtet von internationalen Einsätzen und zeigt, was in der zahnärztlichen Praxis bei Verdacht auf häusliche Gewalt hilfreich ist.

Lesedauer: ca. 6 Minuten

Röntgenbild Kiefer und Zähne
Die forensische Zahnmedizin unterstützt bei der Spurensuche nach Unglücken und Verbrechen. (Symbolbild) (Foto: Gett Images / brightstars)

Autorin: Dr. Melanie Salz | Redaktion: Sebastian Schmidt

Die Rechtsmedizin fasziniert viele Menschen, nicht zuletzt durch zahlreiche Filme und Serien, die sich diesem Thema widmen. Doch die wenigsten wissen, dass auch Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner auf diesem Spezialgebiet tätig sind. Welche Herausforderungen es gibt und wie der Arbeitsalltag in der forensischen Zahnmedizin aussieht, erklärt Dr. Dr. Claus Grundmann im Interview.

Melanie Salz: Herr Grundmann, was ist Ihr hauptsächliches Tätigkeitsfeld in der forensischen Zahnmedizin?

Claus Grundmann: Ich bin seit 1992 als Arzt und Zahnarzt im Duisburger Institut für Rechtsmedizin tätig. Zu meinen Aufgaben zählen die gerichtliche Obduktionstätigkeit – immer in Zusammenarbeit mit einem weiteren ärztlichen Kolleginnen und Kollegen – und die Identifizierung mithilfe des Zahnstatus.

Zusätzlich führe ich in unregelmäßigen Abständen Begutachtungen von – oft gewaltbedingten – Verletzungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich sowie von Bissspuren und Bissverletzungen durch. Und ebenso gehört die forensische Altersdiagnostik für Justizbehörden und Jugendämter zu meinen Tätigkeitsfeldern.

Was hat Sie als Human- und Zahnmediziner dazu bewogen, sich speziell für die Rechtsmedizin zu engagieren? Was fasziniert Sie bei Ihrer Tätigkeit?

Grundmann: Die Faszination liegt in der Vielfalt der Fälle. Denn jeder Fall in der forensischen Zahnmedizin ist anders. Und das ist nur in wenigen medizinischen Subdisziplinen der Fall. In der Rechtsmedizin stellt man manches erst während der eigentlichen Tätigkeit fest. Klar ist aber auch: Neugierde, Akribie und Erfahrung sind zwingend erforderlich, um juristisch verwertbare Ergebnisse abliefern zu können.

Über die Autorin
Dr. Melanie Salz

Dr. Melanie Salz praktiziert seit über 20 Jahren in der Zahnmedizin. Sie hat sich auf Kinderzahnheilkunde spezialisiert. Seit 2013 ist sie in einer Praxis in Bad Tölz tätig.

Eine Ihrer Aufgaben ist es, unbekannte Tote von Großschadenslagen, beispielsweise nach Naturkatastrophen, Flugzeugabstürzen, Zug- und Busunglücken, zu identifizieren. Wie kann man sich Ihre Arbeit in solchen Ausnahmesituationen vorstellen?

Grundmann: Diese Tätigkeit erfolgt in der Regel in hoch-professionellen Teams. Alle Mitglieder werden jahrelang trainiert und sind aufeinander eingespielt: sowohl durch Übungs- als auch durch Einsatzerfahrung. In jedem Identifizierungseinsatz werden Befunde zu den drei wissenschaftlich anerkannten Identifizierungsmethoden – DNA, Fingerabdruck und Zahnstatus – erhoben und protokolliert, um anschließend mit den Daten von vermissten Personen abgeglichen zu werden.

Welche Fälle aus Ihrer Arbeit in den letzten Jahren sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Grundmann: Dazu zählen „vor Ort“ sicherlich die Mafia-Morde von Duisburg (2007) und die Opfer der Duisburger Loveparade (2010). International waren es u.a. der Flugzeugabsturz am Bodensee (2002), der Ausbruch des Tsunami in Asien (2004), die Ermordung zweier Deutscher Bibelschülerinnen im Jemen (2009), der Abschuss der Malaysian Airlines MH 17 über der Ostukraine (2014), das Erdbeben in Nepal (2015).

Dr. med. Dr. med. dent. Claus Grundmann
Rechtanwältin Alexa Frey
(Foto: privat)
  • Studium der Medizin und Zahnmedizin an den Universitäten Bochum, Köln, Düsseldorf und der RWTH Aachen.
  • Assistenzarzt in Allgemein- und Unfallchirurgie. Notarzt-Weiterbildung.
  • Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der RWTH Aachen (Direktor: Prof. Dr. Dr. W. Koberg).
  • Assistenzzahnarzt in einer KZV-Gutachterpraxis.
  • Seit 1992 Mitarbeiter der Stadt Duisburg im Zahnärztlichen Dienst des Gesundheitsamtes und im Institut für Rechtsmedizin.
  • Weiterbildung zum Fachzahnarzt für Öffentliches Gesundheitswesen.
  • Für den Bereich des Oberlandesgerichts Düsseldorf beeidigter Sachverständiger für das Fachgebiet „Zahnmedizin“.
  • Forensische Arbeitsgebiete: ärztliche Obduktionstätigkeit, zahnärztliche Identifizierungen, forensische Altersgutachten und Bissspuren-Analysen.
  • Mitglied der Identifizierungskommission (IDKO) des Bundeskriminalamtes (BKA): Teilnahme an den IDKO-Einsätzen beim Flugzeugabsturz am Bodensee (2002), dem Busunglück in Hensies/Belgien (2003) (ante-mortem Datenaufbereitung) und der Tsunami-Katastrophe in Thailand (2004/2005 mit insgesamt vier Einsätzen).
  • Zusätzlicher Thailand-Aufenthalt zum ersten Tsunami-Jahrestag im Dezember 2005 im Auftrag von „Caritas International“.
  • Weitere Einsätze für die Identifizierungskommission des Bundeskriminalamtes:
  • Flugzeugabsturz in Madrid (2008 – Spanair), Identifizierung zweier ermordeter Bibelschülerinnen in Sanaa/Jemen (2009), Flugzeugabsturz über der Ostukraine (2014 – Abschuss einer Boeing 777 der Malaysian Airlines), Identifizierungseinsatz in Nepal nach einem Erdbeben (2015) u.a. mit verschütteten deutschen Opfern und beim Busbrand auf der Autobahn A9 bei Münchberg/Bayern (2017) (ante-mortem Datenaufbereitung). 
  • Vorstandsmitglied im „Arbeitskreis Forensische Odonto-Stomatologie“ (AKFOS) der „Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ (DGZMK) und in der „Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik“ (AGFAD) der „Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin“ (DGRM).  

Auszeichnungen:

  • Bundesverdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland
  • Gösta-Gustafson-Award
  • Ehrenmitglied des „Arbeitskreises Forensische Odonto-Stomatologie“ (AKFOS)
  • Ehrenmitglied der „Association Francaise d’Identification Odontologique“ (AFIO)
  • Ehrenmedaille der „Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ (DGZMK)

Sie sind Teil des Vorstands im „Arbeitskreis für Forensische Odonto-Stomatologie (AKFOS)“.  Laut Satzung hat AKFOS die Aufgabe „die forensischen Aspekte in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde zu sichten und die wissenschaftlichen Interessen dieses Gebietes (…) zu fördern“. Wie machen Sie das konkret?

Grundmann: AKFOS ist ein interdisziplinärer Arbeitskreis der „Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK)“ und der „Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM)“. Vereinfacht ausgedrückt ist AKFOS das Bindeglied zwischen der Zahn- und der Humanmedizin, vornehmlich im juristischen Kontext.

Gleichzeitig ist AKFOS auch die „Schnittstelle“ zwischen Juristen und Zahnmedizin: AKFOS unterstützt mit der fachlichen Expertise Medizinerinnen und Mediziner sowie Juristinnen und Juristen auf unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern wie zahnärztliche Identifizierungen, Bissgutachten, forensische Altersgutachten, Begutachtungen von gewalt- oder unfallbedingten Verletzungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich.

Die meisten Zahnärztinnen und Zahnärzte kommen wohl am ehesten über die „Zahnärztlichen Mitteilungen“ mit der forensischen Zahnmedizin in Kontakt. Immer wieder gibt es Aufrufe, mit Hilfe des Zahnstatus Leichen zu identifizieren. Wie hilfreich waren hier bisher die Antworten von Kolleginnen und Kollegen?

Grundmann: Die Suchanzeigen in den „Zahnärztlichen Mitteilungen“ haben sich über Jahrzehnte bewährt. Zahnärztinnen und Zahnärzte sind in der Regel „visuell orientiert“ und erkennen –insbesondere bei umfangreichen prothetischen Restaurationen – „ihr eigenes Werk“ anhand der veröffentlichten Bilder und Schemata. Es liegt also ein hoher „Wiedererkennungswert“ vor und das ist auch der Grund für dieses Vorgehen.

Man sollte jedoch wissen, dass allen Veröffentlichungen in den „Zahnärztlichen Mitteilungen“ eine intensive Polizeiarbeit vorausgegangen ist: die bis dahin erfolglose Abklärung mit zahlreichen Vermisstenfällen, auch über die Vergleiche von DNA und Fingerabdruck.

Wenn die Veröffentlichungen in den „Zahnärztlichen Mitteilungen“ nicht immer wieder von Erfolg gekrönt wären, hätte man sicherlich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte darauf verzichtet.

Wie viele Zahnärztinnen und Zahnärzte in Deutschland engagieren sich für die forensische Zahnmedizin?

Grundmann: AKFOS hat ca. 200 Mitglieder, die sich – beruflich oder wissenschaftlich – mit der forensischen Zahnmedizin beschäftigen. Da die „Fallzahlen“ insgesamt sehr gering sind, handelt es sich bei niemandem um einen „Full-Time-Job“, wir sind hier also gut besetzt.

Die zahnmedizinische Forensik beschäftigt sich auch mit dem Thema „Häusliche Gewalt“. Was möchten Sie zahnmedizinischen Kolleginnen und Kollegen dazu gerne mit auf den Weg geben?

Grundmann: Die häusliche Gewalt nimmt einen immer breiteren Raum in unserer Gesellschaft ein. Jede Zahnärztin und jeder Zahnarzt kann hiermit im Rahmen seiner Berufstätigkeit in Berührung kommen. Um potentielle Gewalttaten sicher zu dokumentieren, haben wir einen Befundbogen erarbeitet, der auf der Webseite der Zahnärztekammer Nordrhein abrufbar ist. Dieser Befundbogen ist ein Leitfaden zur extra- und intraoralen Dokumentation von gewaltbedingten Gesundheitsschäden im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich. So ist sichergestellt, dass, besonders im Notfall, eine ausreichende Befunddokumentation möglich ist und nichts wichtiges übersehen wird.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Dr. Grundmann!

Hinweis der Redaktion: Der im Interview angesprochene Befundbogen wird momentan unter der Schirmherrschaft von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann überarbeitet und neu aufgelegt. Nach Fertigstellung wird er auch auf der Webseite der Zahnärztekammer Nordrhein aktualisiert.

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