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Urologie-Trends

20. Juli 2023
Fallbericht von Schweizer Urologen

Eine Patientin mit Multipler Sklerose und Dranginkontinenz

Bei unklarem Befund in der Zystoskopie ist zum Ausschluss eines malignen Geschehens immer eine bioptische Untersuchung indiziert. Dies raten Schweizer Urologinnen und Urologen um Dr. Sarah Hagmann vom Kantonsspital St. Gallen. Anlass ist die Krankengeschichte einer 55-jährigen Frau.1

Lesedauer: ca. 3 Minuten

Hand öffnet Badtür mit Blick auf Toilette
(Foto: Getty Images | Ratana21)

Autor: Dr. Thomas Kron | Redaktion: Dr. Nina Mörsch

Die Patientin und ihre Geschichte

Die 55-jährige Frau mit bekannter Multipler Sklerose stellte sich wegen des Verdachts auf eine neurogene Blasenentleerungsstörung zur urodynamischen Abklärung vor.

Seit mehreren Jahren bestehe eine Drangsymptomatik, die mit dem Sympathomimetikum (Mirabegron) nur unzureichend habe therapiert werden können. Die Drangbeschwerden seien so stark geworden, dass die Patientin zum Zeitpunkt der Vorstellung in der urologischen Klinik ihren Tagesablauf an die Erreichbarkeit einer Toilette habe anpassen müssen.

Die Familienanamnese der Nichtraucherin sei bezüglich urologischer oder dermatologischer Neoplasien und relevanter Vorerkrankungen "blande" gewesen, berichten Sarah Hagmann und ihre Kollegen.

Regelmäßige Medikation der MS-Patientin: Fingolimod, Mirabegron, Escitalopram und Alpha-D-Mannose.

Die Befunde

  • MS-Patientin aufgrund in leicht reduziertem Allgemeinzustand, Rollator-mobil und voll orientiert
  • Miktionsprotokoll: Urinportionen zwischen 100 ml bis maximal 280 ml
  • Trinkmenge: 1,5 l pro Tag
  • Miktionsfrequenz: ca. 7x/die; Nykturie meist 1x-2x
  • Sonographie: Nieren beidseits mit unauffälligem Parenchym, kleine Nierenzysten beidseits ohne Dilatation des Nierenbeckenkelchsystems und ohne darstellbare Konkremente
  • Harnblase sonographisch ebenfalls unauffällig; 100 ml Restharn
  • Manometrie: hypokapazitive, hypersensitive, hypokontraktile Harnblase mit terminal instabilem Detrusor mit Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination sowie formal erniedrigter Compliance; Detrusordruck-Werte bis 63cm H2O
  • Zystoskopie: unauffällige, nicht obstruktiv wirkende Harnröhre und eine leicht trabekularisierte Harnblase.
  • Ubiquitär im Bereich der Blasenwand habe sich eine feine bräunliche, nicht erhabene, netzartige Zeichnung gezeigt, berichten die Urologen. Die Ostien seien hiervon nicht betroffen und "normwertig konfiguriert" gewesen; ein exophytisches oder papilläres Wachstum intravesikal habe sich nicht gezeigt.
  • Urinzytologie: Urothelzellen mit teilweise grobkörnigem braungrauem Material im Zytoplasma,  möglicherweise Lipofuszin-Ablagerungen.
  • Keine malignen Zellen

Therapie und weitere Diagnostik

Beckenbodenphysiotherapie mit Biofeedback sowie eine ergänzende anticholinerge Therapie mit Trospiumchlorid zum Schutz der oberen Harnwege.

Aufgrund der unklaren Befunde in der Zystoskopie sei eine Biopsie mittels transurethraler Resektion vorgenommen worden, berichten die Autoren.

Histopathologischer Befund:  ausgedehnte chronische Entzündung, immer wieder braunes granuläres Pigment sowohl in den Urothelzellen als auch in den stromalen Zellen

Dies habe mittels einer zusätzlichen Melaninfärbung bestätigt werden können. Dieser Befund passt nach Angaben der Urologen sehr gut zu dem klinischen Bild einer Melanose der Harnblase.

Maligne Zellen seien nicht beobachtet worden. Eine Assoziation mit einem Malignom sei somit ausgeschlossen worden.

Diskussion

Die Melanose der Harnblase ist, wie die Schweizer Urologen erklären, eine sehr seltene, benigne Erscheinung, bei der es zu einer Ansammlung von Melanin im Urothel und Stroma kommt. In der Fachliteratur seien weniger als 30 Fälle beschrieben, eine Pathogenese habe bislang nicht schlüssig ermittelt werden könnnen. Meist seien es Zufallsbefunde bei einer weiterführenden Diagnostik zur Abklärung von z.B. Drangbeschwerden. Ob die Melanose Ursache von irritativen Beschwerden sei, ist laut Hagmann und ihren Kollegen mehrheitlich ungeklärt. Somit sei nicht eindeutig zu evaluieren, ob die Drangsymptomatik der MS-Patientin durch die Melanose mitbedingt sei. Eine Therapie der Melanose sei nicht indiziert.

Wie die Urologen weiter berichten, wurden nur wenige Fälle beschrieben, bei denen eine Melanose zusammen mit einem Melanom der Harnblase respektive einem Urothelkarzinom der Harnblase aufgetreten sei. Ein kausaler Zusammenhang habe  bisher nicht festgestellt werden können.

Dieser Beitrag ist im Original auf Univadis erschienen.

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