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Urologie-Trends

07. Feb. 2023
Kasuistik aus Tunesien

Vermeintliche Hodentorsion entpuppt sich als seltene Erkrankung

Ein junger Mann kommt mit akuten Schmerzen im rechten Hoden in die urologische Abteilung eines tunesischen Krankenhauses. Da der Verdacht auf eine Hodentorsion nahelag, führten die Ärzte eine intraoperative Exploration durch. Diese konnte den Torsionsverdacht jedoch nicht bestätigen. Lesen Sie hier, was die Ärzte stattdessen vorfanden.   

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Mann mit Hodeninfarkt
Bei akuten Hodenschmerzen sollte auch an die Möglichkeit eines infarzierten Hodens gedacht werden. (Foto: Getty Images | towfiqu ahamed | Symbolbild)

Den folgenden Fall beschreiben Bilel Saidani und Kollegen von der urologischen Abteilung der Charles-Nicolle-Klinik der Universität Tunis in der Fachzeitschrift Urology Case Reports. | Übersetzung und Redaktion: Dr. Nina Mörsch

Fallbeschreibung

Der 27-Jährige kam wegen starker akuter Schmerzen im rechten Hoden (Stufe 8 auf einer 10-stufigen Schmerzskala) in die Notaufnahme. Er berichtete von Schmerzen, die in die rechte Leistengegend ausstrahlen, auch sei ihm übel. Seine Anamnese war unauffällig. Er erzählte jedoch von akutem Stress, kurz bevor die Beschwerden auftraten.

Klinische Untersuchung

Der Patient war fieberfrei. Bei der Untersuchung fiel ein leicht geschwollener rechter Hoden ohne Lageanomalie auf. Es gab keine Zeichen einer Entzündung und die Ärzte ertasteten keine Hodenmasse. Der Samenstrang war schmerzlos und frei. Der Kremasterreflex war vorhanden. Das Ärzteteam vermutete bei dem jungen Mann eine Hodentorsion und führte daher eine chirurgische Exploration durch. Intraoperativ fanden die Ärzte einen rechten Hoden von normaler Konsistenz und Größe vor, ohne verdächtige Masse - und der Hoden war nicht torquiert.

Vielmehr wies der untere Pol des rechten Hodens einen gut abgegrenzten Infarkt auf (Abb. 1a und b). Es wurde eine partielle Orchiektomie mit Entfernung des infarzierten Pols durchgeführt und die Tunica albuginea mit einer 3/0 Vicryl-Naht verschlossen (Abb. 1c).

27-Jähriger mit Hodeninfarkt
Abb. 1. Chirurgische Exploration des Hodens. a: Gut abgegrenzter Infarkt am Unterpol des rechten Hodens. b: Gut abgegrenzter Infarkt am Unterpol des rechten Hodens nach Eröffnung der Albuginea. c: Endgültiges Erscheinungsbild nach partieller Orchiektomie. (Foto: Bilal Saidani, Nicolle Klinik der Universität Tunis)
27-Jähriger mit Hodeninfarkt
Abb. 1. Chirurgische Exploration des Hodens. a: Gut abgegrenzter Infarkt am Unterpol des rechten Hodens. b: Gut abgegrenzter Infarkt am Unterpol des rechten Hodens nach Eröffnung der Albuginea. c: Endgültiges Erscheinungsbild nach partieller Orchiektomie. (Foto: Bilal Saidani, Nicolle Klinik der Universität Tunis)

Der Patient wurde 12 Stunden nach der Operation entlassen. Die Laborbefunde gaben keinen Hinweis auf eine Thrombophilie, und der Hoden war tumorfrei. Die Ärzte klärten den Patienten über eine mögliche Infertilität auf und empfahlen ihm, diesbezüglich einen Experten aufzusuchen. Der Testosteronspiegel wurde nicht bestimmt, da der linke Hoden unauffällig war.

Diskussion

Der segmentale Hodeninfarkt ist ein seltenes Ereignis, das in der Literatur bisher nur selten beschrieben ist. 3,4. Wie auch im vorliegenden Fall, ist die Ätiologie häufig idiopathisch. Folgende Risikofaktoren werden außerdem diskutiert: 1-4

  • arterieller oder venöser Verschluss
  • Leistenbruch
  • Hypercholesterinämie
  • Orchiepididymitis
  • Antithrombin III- oder Protein S-Mangel
  • Sichelzellenanämie
  • neonatales Trauma
  • Malakopathie
  • lymphoide Leukämie

Im vorliegenden Fall war keiner dieser Faktoren erkennbar, schreiben Saidani und seine Co-Autoren. Einzig eine akute Stresssituation hätte auf die idiopathische Form hingedeutet. Auch berichten sie von einer Infarzierung des unteren Pols des Hodens, während in anderen Fallberichten der obere Hodenpol als bevorzugte Lokalisation beschrieben ist, da hier das vaskuläre Netzwerk schlechter ausgebildet ist.1

Das klinische Bild ist unspezifisch: Der segmentale Hodeninfarkt ist durch akuten Hodenschmerz gekennzeichnet, der auch bei anderen Erkrankungen des Hodens auftritt. So ist etwa die Abgrenzung zur Hodentorsion erschwert, die einer sofortigen chirurgischen Intervention bedarf. Hodentumoren stellen sich sonografisch ähnlich dar wie ein segmentaler Hodeninfarkt und sind eine weitere wichtige Differenzialdiagnose.

Am häufigsten betroffen sind in der Regel junge Männer zwischen 16 und 25 Jahren.3

Diagnostik

Neben der Anamnese und der klinischen Untersuchung stellt der Doppler-Ultraschall des Hodens die wichtigste Untersuchungsmethode dar. 2,3 Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Infarkt, Tumor und Hodenabszess im Ultraschall schwierig.4

„In schwierigen Fällen und bei atypischen sonografischen Formen kann eine MRT des Skrotums indiziert sein“, schreibt Saidani.2,3

„Da wir befürchteten, im vorliegenden Fall eine Hodentorsion zu übersehen, entschieden wir uns zu einer notfallmäßigen chirurgischen Exploration, ohne vorherige radiologische Untersuchung“, erklären die Autoren und betonen, dass „keine dieser radiologischen Methoden einen Hodentumor ausschließen kann“.5

Therapie abhängig von Sicherheit der Diagnose

Das therapeutische Vorgehen beim Hodeninfarkt ist abhängig von der Sicherheit der Diagnose, erläuterte V. Gkolezakis 2018 in der Fachzeitschrift "Der Urologe". Primäres Ziel ist der Ausschluss eines Hodentumors und v. a. bei jungen Patienten der Erhalt von Hodenparenchym, der durch partielle Orchiektomie des infarzierten Gewebes erfolgt. Trotzdem würde in der Mehrzahl der in der Literatur beschriebenen Fälle die Orchiektomie durchgeführt, weil die Diagnosestellung präoperativ sehr schwierig ist und die Wahrscheinlichkeit einer Malignität in solchen Fällen immer in Betracht gezogen werden muss.

Während für einige Ärztinnen und Ärzte die chirurgische Exploration die Regel ist, befürworten andere eine Schmerzbehandlung mit Nachuntersuchung, so die tunesischen Autoren.1,3

Ein konservatives Vorgehen kann empfohlen werden, wenn die Diagnose mit Sicherheit gestellt werden kann und mit großer Wahrscheinlichkeit kein Tumor vorliegt.4 „Bei unserem Patienten führten wir eine partielle Orchiektomie durch und das Operationspräparat wies keinen Tumor auf,“ schreiben die tunesischen Urologen.

Take-Home-Message

Bei einem akuten Hodenschmerz sollten Ärztinnen und Ärzte einen segmentalen Hodeninfarkt in die differenzialdiagnostischen Überlegungen mit einbeziehen - insbesondere bei jungen Patienten, da das therapeutische Vorgehen organerhaltend sein kann. Die Diagnose basiert auf dem intraoperativen Befund. Ultraschall und MRT werden zur Diagnosestellung empfohlen. Bei fehlendem Malignitätsverdacht kann eine partielle Operation vorgeschlagen werden.

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