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Krieg in der Ukraine

29. März 2022

Herausforderungen bei der Versorgung von Kriegsverletzungen

Der Krieg in der Ukraine dauert noch immer an. Wie wäre die Bundeswehr auf die Versorgung von Kriegsverletzungen vorbereitet? Welche speziellen Anforderungen gibt es an die dort tätigen Ärztinnen und Ärzte?

Lesedauer: ca. 5 Minuten

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Die Informationen stammen aus einem Interview mit Prof. Dr. Benedikt Friemert, Klinischer Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie im Bundeswehrkrankenhaus Ulm, und vom Presse- und Informationszentrum des Sanitätsdienstes der Bundeswehr.1,2 Redaktion: Christoph Renninger.

Worin unterscheidet sich eine Kriegsverletzung von einem Polytrauma nach einem Verkehrsunfall?

Der wesentliche Unterschied bei Kriegsverletzungen ist die Blutung aus dem Körper heraus. In Deutschland passieren zumeist Verkehrsunfälle oder Stürze. Das bezeichnen wir als “stumpfe Verletzungen”.

Die Gewalt wirkt zwar auf den Körper ein, dieser wird dabei aber nicht eröffnet. Hierbei ist das Verbluten nicht sehr häufig. Es gibt eher Verletzungen an der Wirbelsäule oder am Kopf, beziehungsweise Blutungen, die im Zusammenhang mit Verletzungen der inneren Organe stehen. Schuss- oder Stichverletzungen machen in Deutschland nur ungefähr fünf Prozent aus, die restlichen 95 Prozent sind stumpfe Verletzungen.

Wie sieht eine typische Kriegsverletzung aus?

Wenn man von einer Kugel oder einem Schrapnell getroffen wird, dann ist der Körper eröffnet. Meistens fliegt das Projektil durch den Körper durch. Dabei werden Organe und Gewebe zerstört und es kommt zu einer Blutung nach außen. Wir wissen aus den Einsätzen der Bundeswehr, dass ungefähr nach 45 Minuten die Hälfte der Verletzten verbluteten. Deshalb spielt Zeit die überragende Rolle. Zudem rufen Kriegsverletzungen erhebliche Destruktionen des Körpers hervor, was auch bedeutet, dass Anteile des Körpers wie Muskulatur, Knochen, Sehnen oder sonstige Strukturen durchaus fehlen können.

Offene Wunden können sich durch Bakterien infizieren. Das wiederum kann zu einer Blutvergiftung oder ähnlichem führen. Unterm Strich sind Schuss- oder Explosionsverletzungen sehr komplex. Es sind Verletzungen, die ein hohes Maß an medizinischer Versorgung bedürfen.

Was bedeutet das konkret für die Mediziner und das Krankenhaus?

Wenn wir Patienten mit Kriegsverletzungen bei uns im Krankenhaus behandeln, dann besteht die erste Herausforderung darin, die Blutung zu stillen. Dafür sind wir in Deutschland trainiert, das machen wir seit über 20 Jahren. Das Problem entsteht dann, wenn plötzlich viele dieser Patienten kommen. Das ist aber im Hinblick auf die Ukraine nicht zu erwarten.

Die Akutphase, bei der Patienten verbluten und ich als Chirurg als Erstes die Blutung stoppen muss, werden wir hier nicht mehr erleben. Das muss schon in der Ukraine durchgeführt worden sein. Und nur Patienten, bei denen die Erstmaßnahmen erfolgreich waren, werden wir vielleicht in Deutschland zu behandeln haben.

Welche speziellen Kenntnisse müssen Chirurginnen und Chirurgen bei der Bundeswehr haben?

Sie haben die Kenntnisse der Behandlung von Knochen, des Bauches, des Brustkorbes oder Gefäßen. Nicht in der Tiefe, also nicht als Superspezialist, aber für die Notfallchirurgie. Ein Beispiel: Chirurgen bei der Bundeswehr können ein Gefäß so rekonstruieren, dass wieder Blut ins Bein fließt und das Bein so lange überleben kann, bis der Patient dann bei einem Gefäßchirurgen ist, der ihn dann so weiterbehandelt, wie man das in Friedenszeiten machen würde. Dazu gibt es entsprechende Verfahren, die wir in unserer Ausbildung alle lernen. Für die anderen Fachgebiete der Chirurgie gilt das analog.

Welche weiteren Facharztgruppen sind in Bundeswehrkliniken von besonderer Bedeutung?

Alle ausgeplanten Facharztgruppen sind an den Bundeswehrkrankenhäusern (BwKrhs) von hoher Bedeutung für die Funktionalität der jeweiligen BwKrhs. Insbesondere auch, da die BwKrhs mit ca. der Hälfte ihrer Gesamtbettenanzahl als Planbetten bzw. Vertragsbetten fest in die Krankenhauspläne der entsprechenden Bundesländer hinterlegt und damit umfassend in das zivile Gesundheitssystem integriert sind.

Von besonderer Bedeutung für die medizinische Versorgung von typischen “Kriegsverletzungen” sind jedoch sämtliche notfallmedizinischen und traumatologischen Fachgebiete. Diese beinhalten sowohl chirurgische Disziplinen als auch das Fachgebiet der Anästhesiologie, Intensivmedizin und Notfallmedizin.

Zudem ist das Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie essenziell, da neben körperlichen Folgen einer “Kriegsverletzung” auch psychische Folgen auftreten können, die behandlungsbedürftig sind und entsprechend spezifische wehrmedizinische Kenntnisse erfordern.

Mit welchen Langzeitfolgen müssen Hausärzte und andere niedergelassene Ärzte bei der weiteren Versorgung rechnen?

Im Schwerpunkt treten traumatologische Langzeitfolgen und die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) mit entsprechenden Komorbiditäten auf. Die betroffenen Soldatinnen und Soldaten verbleiben zunächst im Dienst und erfahren die erforderliche medizinische Behandlung innerhalb der bundeswehreigenen Behandlungseinrichtungen. Hier verfügt die Bundeswehr über eine hervorragende Expertise.

Grundsätzlich wird versucht, die Betroffenen nach Abschluss ihrer Heilbehandlung wieder dienstlich zu integrieren. Wenn diese Maßnahmen langfristig nicht zum Erfolg führen, wird ein Dienstunfähigkeitsverfahren initiiert. Erst wenn die Betroffenen aus der Bundeswehr ausgeschieden sind, übernimmt der “zivile Hausarzt” bzw. die “zivile Hausärztin” die medizinische Versorgung.

Die Kosten, die der Erkrankung zugeordnet werden, die sich die Betroffenen im Wehrdienst zugezogen haben, werden nach Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) durch die Bundeswehr dauerhaft auch von ihr übernommen. Hierzu werden die Soldatinnen und Soldaten im Vorfeld umfassend informiert.

Da man einzelne Erkrankungen / Symptome selten streng voneinander abgrenzen kann, kommt der hausärztlichen Koordination der medizinischen Leistungen in diesen Fällen eine große Bedeutung zu.

Arbeiten Bundeswehr-Kliniken mit anderen Kliniken zusammen, z.B. auch mit dem US-Militärkrankenhaus in Landstuhl?

BwKrhs pflegen bereits seit sehr langer Zeit zahlreiche Zusammenarbeitsbeziehungen mit einer Vielzahl von lokalen, aber auch regionalen und überregionalen Partnern, so auch mit dem US-Militärkrankenhaus in Landstuhl.

Diese Partnerschaften reichen allgemein von nicht-formalisierten Arbeitsbeziehungen bis hin zu vertraglich festgeschriebenen Kooperationsprojekten, wie zum Beispiel am Klinikzentrum Westerstede – ein Verbund aus dem BwKrhs Westerstede (Träger: Bundesministerium der Verteidigung) und der Ammerland-Klinik GmbH (Träger: Landkreis Ammerland).

Im Rahmen der Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung hat der Sanitätsdienst der Bundeswehr erkannt, dass die Herausforderungen, die sich aus den verteidigungspolitischen und strategischen Vorgaben ergeben, nur im Sinne einer gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge zu bewältigen sein werden.

Daher wird zukünftig der Ausbau von umfassenderen zivil-militärischen Kooperationen mit fachlich geeigneten Partnern immer wichtiger werden. Als Beispiel können hier die BG Kliniken – der Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung gGmbH – oder Universitätskliniken genannt werden.

Aber auch international werden Kooperationen mit NATO-Partnern, wie z.B. Frankreich, aber auch zivilen Krankenhäusern, wie z.B. einer Klinik in Johannesburg (Südafrika), in der ein Teil unserer Chirurginnen und Chirurgen insbesondere im Bereich der medizinischen Versorgung von Schuss- und Stichverletzungen aus- und fortgebildet wird, gelebt und gepflegt.

In welcher Weise ist die Bundeswehr im Krieg in der Ukraine bei der medizinischen Versorgung beteiligt?

Die Bundeswehr ist in der Ukraine nicht an der medizinischen Versorgung beteiligt.

Gab es zuvor eine Zusammenarbeit mit der Ukraine in diesem Bereich?

Die Gesamtzahl der in den Bundeswehrkrankenhäusern seit 2014 behandelten ukrainischen Patienten beläuft sich auf 149. Dazu fanden 11 Patiententransportflüge aus der Ukraine nach Deutschland statt. 10 Patienten wurden durch die Bundeswehr nach Deutschland transportiert und in zivilen Krankenhäusern behandelt.

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