
Sexsomnie: Selten, aber kein Hirngespinst
Das Phänomen „Sexsomnie“ ist kein Hirngespinst. Es gibt aber - neben einigen Übersichtsbeiträgen - immerhin mehrere Fallgeschichten. Nur ein Beispiel für eine dieser Fallgeschichten ist die eines 37-jährigen Mannes, die US-Neurologen und -Psychiater 2017 im „Journal of Clinical Sleep Medicine“ geschildert haben.1
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Autor: Dr. Thomas Kron | Redaktion: Christoph Renninger
Sexuelle Aktivität während des Schlafs
Nach Angaben der Autoren stellte sich der Mann ihnen vor, weil er seit Jahren laut schnarchte und seine Ehefrau zudem Atemaussetzer bei ihm beobachtet hatte. Beim ersten Besuch in der Klinik habe die Frau erzählt, dass sie und ihr Mann seit vielen Jahren regelmäßig während des Schlafs sexuell aktiv gewesen seien, woran er sich aber nicht habe erinnern können, obwohl immer er die Intimitäten initiiert habe.
Der Frau zufolge hatten sie zunächst ein- oder zweimal pro Woche mitten in der Nacht Sex; innerhalb von sechs Monaten sei die Frequenz dann auf täglich gestiegen; zeitgleich dazu sei auch das laute Schnarchen aufgetreten.
Obstruktive Schlafapnoe ein Triggerfaktor
Eine Video-Polysomnographie (vPSG) zeigte eine mäßig ausgeprägte Schlafapnoe. Die US-Ärzte stellten daraufhin die Hypothese auf, dass Erregungszustände im Zusammenhang mit der obstruktiven Schlafapnoe (OSA) die Sexsomnie ausgelöst hätten.
Über einen Zusammenhang zwischen einer OSA und Sexsomnie haben vor wenigen Jahren auch Schlafmediziner der Majo-Klinik in Rochester berichtet. In diesem Fall ging es um einen Jugendlichen, bei dem die Sexsomnie nach Resektion eines Pineoblastoms auftrat - und zwar im REM- und im NREM-Schlaf.
Eine seltene Parasomnie des NREM-Schlafs
Die Sexsomnie sei eine Parasomnie des NREM-Schlafs, die aus sexuellem Verhalten während des (NREM-)Schlafs bestehe und als „schlafbezogenes abnormales Sexualverhalten" oder „Schlafsex-Syndrom" bezeichnet werde, erklärt ein Autorenteam um Dr. Efstratios-Stylianos Pyrgelis („C.N.S. Alliance” Research Group, Klinik für Neurologie, Universität von Athen).2
Als Parasomnien werden abnorme oder auffällige Verhaltensweisen während des Schlafes oder an der Schwelle zwischen Wachzustand und Schlaf definiert, wie Privatdozent Dr. Edda Haberlandt von der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde im Krankenhaus Dornbirn (Österreich) erklärt.
Dabei werde zwischen Non-REM(NREM)-Schlaf und Rapid- Eye-Movement(REM)-Schlaf-Parasomnien unterschieden, wobei zu den NREM- Parasomnien das Schlafwandeln, das „confusional arousal“ und der Nachtschreck gehörten, zu den REM-Parasomnien die REM-Schlafverhaltensstörung, die Albtraumstörung und die isolierten Schlafparalysen.
Parasomnien seien dabei Ausdruck ungewöhnlicher oder pathologischer zentralnervöser Aktivierungen während des Schlafes oder während des Schlaf-Wach- Übergangs. Dabei komme es zum Teil zu komplexen Verhaltensauffälligkeiten. Gleichzeitig bestehe ein eingeschränktes oder komplett fehlendes Bewusstsein.
Meist junge Männer betroffen
Bisher seien 116 klinische Fälle von Sexsomnie gemeldet worden, berichteten die griechischen Autoren um Dr. Efstratios-Stylianos Pyrgelis vor zwei Jahren. Diese Störung mache knapp drei Prozent der Patienten mit NREM-Parasomnien aus, bei denen eine Video-Polysomnographie vorgenommen werde.
Die Gesamtprävalenz von Parasomnien bei Erwachsenen werde auf zwei bis sechs Prozent geschätzt; die Prävalenz der Sexsomnie sei jedoch nach wie vor unbekannt. Bei über 70 Prozent der gemeldeten Fälle von Sexsomnie gehe es um Männer, wobei das mittlere Erkrankungsalter zwischen 26 und 33 Jahren liege.
Triggerfaktoren: Schlafapnoe, Schlafentzug, Medikamente
Die obstruktive Schlafapnoe (OSA) gilt nach Angaben der Autoren als auslösender Faktor für Parasomnien einschließlich der Sexsomnie. Als erfolgreiche Therapien der Sexsomnie hätten sich die Beatmung mit CPAP oder die Unterkiefer-Vorschub-Schiene (MAD) erwiesen.
Ein weiterer auslösender Faktor für die Sexsomnie sei Schlafentzug; darüber hinaus gebe es auch Berichte, wonach einige Medikamente eine solche NREM-Störung auslösen könnten Dazu gehörten sedierende Medikamente und selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, erhöhte Dosen von Pramipexol bei der Parkinson-Krankheit, das hochpotente Hypnotikum Natriumoxybat und andere Medikamente wie Propanolol, Lithium, Valproinsäure, Paroxetin, Amitriptylin, Venlafaxin, Bupropion, Zolpidem und Zopiclon.
Die Sexsomnie kann, wie die Autoren weiter erklären, in der Adoleszenz beginnen; und obwohl sie als Parasomnie des NREM-Schlafs betrachtet werde, könne sie mit Episoden sowohl im REM- als auch im NREM-Schlaf auftreten.
Die klinischen Erscheinungsformen der Sexsomnie seien unterschiedlich, wobei Geschlechtsverkehr oder versuchter Geschlechtsverkehr am häufigsten aufträten. Auch gewalttätiges Verhalten sei berichtet worden.
Prädisponierende Faktoren für gewalttätige Parasomnien seien vor allem das männliche Geschlecht, eine familiäre Vorgeschichte mit gewalttätigen Parasomnien, psychologische Probleme und strukturelle Anomalien. Zu Gewaltepisoden beizutragen scheinen koffeinhaltige Getränke, Drogen, Alkohol und Fieber.
Wie kann behandelt werden?
Die Seltenheit der Diagnose Sexsomnie sowie ihre potenziellen medizinisch-rechtlichen Folgen machen die Therapie zu einer echten Herausforderung. Zur Behandlung der Sexsomnie ist natürlich ein multimodaler Ansatz erforderlich. 3
Der Schwerpunkt sollte auf der Beseitigung auslösender Faktoren wie Schlafentzug und der Vermeidung des Schlafens mit Kindern und unbeteiligten Personen liegen, was für die Therapie der Sexsomnie und die Prävention forensischer Folgen von wesentlicher Bedeutung ist. Weitere schlafhygienische Maßnahmen sind der Verzicht auf Alkohol, eine erträgliche Umgebung beim Einschlafen und die Reduzierung des Koffeinkonsums.
Medikamentös seien die meisten Betroffenen mit Clonazepam behandelt worden. Es könne jedoch auch Paroxetin eingesetzt werden. Andere, weniger häufig verschriebene Medikamente seien Zopiclon, Fluoxetin, Trimipramin, Carbamazepin, Melatonin und SSRI. Selbstverständlich sei die Behandlung von Grunderkrankungen wie OSA und psychiatrischen Erkrankungen unerlässlich.
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Dieser Beitrag ist im Original erschienen bei Univadis.