Braucht die Schizophrenie einen neuen Namen?
Der Begriff Schizophrenie bringt eine Menge Last mit sich. Es handelt sich nicht nur um die Bezeichnung einer psychischen Erkrankung, sondern kann zu Diskriminierung, Beleidigung und sozialer Verurteilung dienen. Sollte die Erkrankung anders benannt werden?
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Autorin: Candace Y.A. Montague | Redaktion: Christoph Renninger
Besserung, aber noch lange nicht optimal
Die Evidenz deutet darauf hin, dass viele der unsensiblen Handlungen vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte, obwohl sie sicherlich stark verbessert wurden, auch heute noch bestehen können. Und wenn eine Krankheit oder ein Status stigmatisiert wird, schafft dies zusätzliche Belastungen für die Menschen, die bereits die Herausforderungen ihrer Diagnose ertragen müssen.
Es gibt eine wachsende Bewegung unter Patienten und Experten für psychische Gesundheit, den Namen dieser komplexen Erkrankung zu ändern, sowohl aufgrund der zusätzlichen Belastung, die sie den Patienten auferlegt, als auch der Tatsache, dass sie einfach klinisch ungenau ist. Gegner argumentieren, dass die Änderung nicht die gewünschten Ergebnisse bringen wird, sondern nur alte negative Einstellungen in eine neue Welt einführen wird.
Warum die Namensänderung?
Jüngste Forschungen und die Literatur deuten darauf hin, dass es an der Zeit ist, den Namen Schizophrenie zu ändern, um eine genauere Beschreibung der Erkrankung widerzuspiegeln und das mit ihr verbundene Stigma zu reduzieren.
Der Begriff Schizophrenie bedeutet übersetzt „gespaltener Geist“, was von Anfang an irreführend ist. Experten für psychische Gesundheit sowie Menschen, die mit dem Syndrom leben, glauben, dass die Änderung des Begriffs zu einem Namen, der die Erkrankung besser beschreibt, zu einer toleranteren und verständnisvolleren Öffentlichkeit führen kann.
Im Jahr 2021 hat der Patientenbeirat des Psychosis Research Program der Public Psychiatry Division des Massachusetts Mental Health Center des Beth Israel Deaconess Medical Center ein Projekt ins Leben gerufen, um Feedback von wichtigen Interessengruppen über die Möglichkeit einer Namensänderung zu sammeln.
Die Umfrage wurde Personen mit gelebter Erfahrung mit psychischen Erkrankungen und ihren Familienangehörigen, Ärzten, Forschern, Regierungsbeamten und der allgemeinen Öffentlichkeit vorgelegt. Die Ergebnisse zeigten, dass fast 75 % der Befragten bereit waren, eine Namensänderung anzunehmen.
Dr. Matcheri S. Keshavan und Dr. Raquelle I. Mesholam-Gately sind zwei der 13 Autoren dieser Studie. Im Interview erklärten die Forscherinnen, wie die Studie abgewickelt wurde und was die Ergebnisse für sie bedeuten.
Jahrelange Überlegungen
„Vor ungefähr 5 Jahren sprachen wir über die Idee, Schizophrenie umzubenennen. Ich begann zu denken, dass es erstens nicht genau beschreibt, was die Krankheit ist, und dass mit dem Wort viel Stigma verbunden ist. Wir haben auch darüber gesprochen, dass der Name ‚Schizophrenie‘ in mehreren anderen asiatischen Ländern geändert wurde, und mit diesen Änderungen sind einige Vorteile verbunden, einschließlich der Menschen, die sich wohler fühlen, wenn sie sich um Hilfe bemühen“, sagte Mesholam-Gately, Psychologin und Professor für Psychologie an der Abteilung für Psychiatrie an der Harvard University.
„Wir haben die bereits verfügbare Literatur durchgesehen und dann eine Umfrage zusammengestellt, die wir einer breiten Stichprobe von Interessengruppen, einschließlich Menschen mit gelebten Erfahrungen, geben könnten, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie stigmatisierend sie das Wort Schizophrenie empfinden und ob sie es befürworten, dass der Name Schizophrenie geändert werden sollte. Dann haben wir einige alternative Namen für Schizophrenie aufgelistet und gefragt, wie die Leute über diese alternativen Namen denken", fuhr Mesholam-Gately fort.
Mögliche neue Namen
Die alternativen Namen, die die meiste Unterstützung erhielten, waren „Altered Perception Syndrome“, „Psychosis Spectrum Syndrome“ und „Neuro-Emotional Integration Disorder“. Keshavan, eine klinischer Psychiaterin und akademische Leiterin der Psychiatrie bei Beth Israel Deaconess, sagt, dass diagnostische Namensänderungen bereits früher in diesem Bereich durchgeführt wurden und zu effektiven Ergebnissen geführt haben.
„Es gibt mehrere Beispiele in der psychischen Gesundheit, die diese Veränderung durchlaufen haben. Zum Beispiel wurde Autismus in Autismus-Spektrum-Störung geändert. Manisch-depressive [Störung] wurde in bipolare Störung geändert. Geistige Behinderung wurde in geistige Beeinträchtigung geändert. Und diese Veränderungen dieser Art haben zu positiven Vorteilen geführt und die Stigmatisierung verringert. Die Menschen sind bereit, sich in Behandlung zu begeben. Aus diesen Gründen wollten wir mit dem Nachdenken beginnen."
Die Last der Stigmatisierung
Das Stigma, das mit Schizophrenie und psychischen Erkrankungen im Allgemeinen verbunden ist, ist ebenso greifbar wie schädlich. Eine psychische Erkrankung zu haben ist eine Sache, aber das Stigma, ein solches Etikett zu tragen, ist eine zusätzliche Last, die der Einzelne tragen muss. Eine Person mit Schizophrenie muss nicht nur ihre Symptome und Behandlung behandeln, sowohl medizinisch als auch verhaltensmäßig, sondern sie muss auch negativen Einstellungen, Fehlinformationen und Diskriminierung ausweichen, die von einer ungebildeten oder wertenden Öffentlichkeit kommen. Dies kann zu verschiedenen Formen der Stigmatisierung führen – wie Selbststigmatisierung und Vermeidung von Bezeichnungen.
In einem kürzlich von der National Alliance on Mental Illness veröffentlichten Blog erklärte Casey Clabough, eine Person, die mit der Diagnose Schizophrenie lebt, dass Menschen mit dieser schweren Geisteskrankheit unter dem Stigma leiden können. Er erklärt, dass Menschen mit Schizophrenie die Realität falsch interpretieren und sich auf eine Weise verhalten können, die die breite Öffentlichkeit nicht versteht oder akzeptiert. In der Folge werden sie als „verrückt“ abgestempelt, in der Öffentlichkeit fürchtet man sich vor ihnen und sie ziehen sich in die soziale Isolation zurück.
Das Stigma, das psychische Erkrankungen umgibt, wird in mehreren Quellen bestätigt. Medien und Popkultur stellen Schizophrenie fälschlicherweise als einen außer Kontrolle geratenen Zustand dar, der jemanden anfällig für Gewalt macht und mit größerer Wahrscheinlichkeit Verbrechen begeht. Tatsächlich sind Menschen mit Schizophrenie einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Opfer von Gewalt zu werden. Eine Studie ergab, dass Menschen mit Schizophrenie mindestens 14-mal häufiger Opfer eines Gewaltverbrechens werden als dafür verhaftet zu werden.
Eine Geschichte voller Veränderungen
Der Begriff Schizophrenie ist eigentlich das Ergebnis einer Namensänderung vor über 100 Jahren. Der Zustand wurde erstmals von Dr. Emil Kraepelin, einem deutschen Psychiater, der die Pathogenese neurologischer und psychiatrischer Störungen untersuchte, als Geisteskrankheit identifiziert. In seinen Studien über Demenz bei jungen Erwachsenen bezeichnete Kraepelin die Symptome dessen, was wir heute Schizophrenie nennen, als „Dementia praecox“ oder frühe Demenz.
1908 stellte der Schweizer Professor Eugen Bleuler auf einer Tagung der Deutschen Psychiatrischen Gesellschaft in Berlin die Richtigkeit des Begriffs Dementia praecox in Frage. Während dieses Treffens argumentierte Bleuler, dass der Begriff Schizophrenie der Beschreibung der Aufspaltung psychischer Funktionen näherkommt. Bleuler erklärte, dass die Schizophrenie primäre und sekundäre Symptome hat. Die vier primären Symptome (die vier As) sind:
- Abnormale Assoziationen
- Autistisches Verhalten und Denken
- Abnormale Affektivität
- Ambivalenz
Wenn es einem Individuum an Anpassungsfähigkeit und Unterstützung mangelt, können diese Primärsymptome laut Bleuler zu ausgeprägteren Sekundärsymptomen wie sozialem Rückzug, Halluzinationen und Wahnvorstellungen führen.
In späteren Jahren wurde mehr geforscht, um ein besseres Verständnis der Krankheit zu erlangen. Kurt Schneider, ein deutscher Psychiater, stellte 1959 eine Gruppe ausgewählter Symptome zur Diagnose von Schizophrenie als First Rank Symptoms (FRS) vor. Diese Symptome können bei Menschen mit Psychosen auftreten.
Das Problem hier ist ein zweifaches. Erstens können Menschen mit einer bipolaren Störung auch unter ähnlichen Symptomen leiden, was zu Problem Nummer zwei führt: Fehldiagnosen. Eine Untersuchung einer Sammlung von 21 Studien über FRS, die als Werkzeug für die Diagnose von Schizophrenie verwendet wurden, zeigte, dass FRS bei fast 20 % der Personen fälschlicherweise Schizophrenie diagnostizierte, obwohl sie die Krankheit tatsächlich nicht hatten.
Auch ein neuer Name löst nicht alle Probleme
Einige Experten für psychische Gesundheit befürchten die Namensänderung. Nicht alle Befragten der Umfrage waren der Meinung, dass eine Namensänderung bei der Beendigung der Stigmatisierung helfen würde. Die Bedenken reichen von einer möglichen Verwirrung unter Medizinern über eine vorzeitige Namensänderung vor der neuesten Überarbeitung des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition, (DSM-5) bis hin zu Problemen bei der Beantragung von Versicherungsschutz.
„Es gibt ein Stigma und die Bevölkerung wird Menschen mit Schizophrenie [negativ] gegenüberstehen“, sagt William Carpenter, Professor für Psychiatrie und Pharmakologie an der medizinischen Fakultät der Universität von Maryland in Baltimore. „Das wird passieren, egal welchen Namen du ihm gibst. Aber der Name selbst klingt, als hätte man dir gesagt, dass du die schlimmste aller Geisteskrankheiten hast. Oder du wirst nie darüber hinwegkommen, was vielleicht falsch ist. Es gibt also Selbst-Stigma, und es basiert auf dieser Art von Gefühlen.“
Beide Seiten der Debatte stimmen darin überein, dass Bildung eine wichtige Strategie zur Verringerung von Stigmatisierung und Diskriminierung ist. „Das Bereitstellen von Informationen über Schizophrenie macht einen Unterschied darin, wie Menschen Schizophrenie konzeptualisieren und betrachten“, fügt er hinzu.
„Wir glauben nicht, dass die Namensänderung allein das Problem vollständig lösen wird“, gibt Mesholam-Gately zu. „Es muss mehr öffentliche Aufklärung und Initiativen geben, die dabei helfen. Aber wir denken, dass die Änderung des Namens dazu beitragen kann, das Stigma für Menschen, die an dieser Krankheit leiden, zu verringern. Das wäre es wert.“