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Psychiatrie kompakt

30. Jan. 2023
Ein Diktator auf der Couch?

Die psychologische Behandlung Adolf Hitlers

Es ist weithin unbekannt, dass der nationalsozialistische Diktator Adolf Hitler in der frühen Phase seiner politischen Laufbahn in psychologischer Behandlung war. Dies geschah im November 1924.1,2

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Nationalsozialisten, die am Hitler-Putsch beteiligt waren, in der Festung Landsberg, 1924
Nationalsozialisten, die am Hitler-Putsch beteiligt waren, in der Festung Landsberg, 1924  (v.l.n.r.): Adolf Hitler, Emil Maurice, Hermann Kriebel, Rudolf Hess, Friedrich Weber. (Bildarchiv Preussischer Kulturbesitz, Public domain, via Wikimedia Commons )

Autor: Christoph Renninger

Haft nach dem Putschversuch

1924 war Hitler als rechter Aktivist und Unruhestifter in Haft. Am 8./9. November 1923 hatte er mit anderen Mitgliedern der NSDAP einen Putschversuch gegen die bayerische Regierung unternommen (auch bekannt als Hitler-Ludendorff-Putsch, Bürgerbräu-Putsch oder Marsch auf die Feldherrnhalle) und war gescheitert.

Im Gefängnis der Festung Landsberg untergebracht, wird der spätere Reichskanzler und Diktator als „Häuflein Elend“, unrasiert, jämmerlich und zerfahren beschrieben. Er erwartete wegen Hochverrats hingerichtet oder nach Österreich deportiert zu werden.

Während der Verhöre demonstrierte Hitler sein bekanntes theatralisches Verhalten. Entweder blieb er vollkommen stumm oder er brach in Wutanfälle aus. Sein Brüllen und Schreien konnte im gesamten Gebäude gehört werden. Er „heulte wie ein Wahnsinniger“, wütete über „Lügner und Verräter“, ging in den Hungerstreik und wurde apathisch und zunehmend geschwächter.

Alois Maria Ott: Der Gefängnispsychologe

Hitler wurde in die Krankenabteilung des Gefängnisses gebracht und dort vom Gefängnispsychologen Alois Maria Ott aufgesucht. Der gläubige Katholik war vom Guten im Menschen überzeugt und begegnete seinen Patienten mit einem nicht-wertenden, empathischen Ansatz.

Sein erster Eindruck des späteren Machthabers war eher ohne besondere Reize. Hitler war ein „finster blickender, gedrungener Mann“, „ein Mann aus der Mittelklasse, mit ordentlichem schwarzem, nach vorne gekämmtem Haar und dem bekannten akkurat rasierten Oberlippenbart“, „der Mund ist weit, aber gewöhnlich, die Nase vorstehend und etwas gekerbt“.

Ott versprach Hitler, dass er niemandem gesagt habe, dass er ihn aufsuche und kein Mensch von ihrer Unterhaltung erfahren werde, „Wir beide sind in ähnlichem Alter und haben beide Krieg und Elend miterlebt. Ich spreche zu ihnen von Mann zu Mann und möchte ihnen helfen, genau wie allen anderen Insassen“, so Ott.

Die einzige psychiatrische Diagnose nach persönlicher Untersuchung

Hitler, noch immer davon überzeugt, bald erschossen zu werden, wurde zunehmend hysterisch. „Die Menschen sind ein Pack“, schrie er. Mit weiß-gelbem Schaum vor dem Mund teilt er mitn sein Leben in einem Hungerstreik beenden zu wollen. Zutiefst unglücklich über den Tod seiner Kameraden beim gescheiterten Putsch rief Hitler aus: „Ich habe genug, ich bin fertig. Hätte ich eine Pistole, ich würde mich umbringen.“

In seiner Bewertung schreibt Ott über seinen Patienten: „ein hysterischer und pathologischer Psychopath“. Dies ist die einzige psychiatrische Diagnose Hitlers von jemanden, der ihn tatsächlich untersucht hat. Alle anderen Versuche einer Psychoanalyse erfolgten aus der Ferne.

Von Gebrüll und Geschrei nicht eingeschüchtert, versuchte Ott die Kontrolle über die Begegnung zu erlangen. Zunächst versuchte er Hitler beizubringen, dass es Geduld brauche, um sein politisches Programm zu etablieren. Dies führte zu einer weiteren Schreitirade, dass Deutschland darauf nicht warten könne und er zuvor gekreuzigt oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt würde.

Eine Wendung im Therapeuten-Patienten-Gespräch

Als Ott Hitler fragte, ob er sich nicht das falsche Vorbild ausgesucht habe, mit Blick auf die zurückliegenden Erfahrung Österreichs mit den Hohenzollern, ergab sich ein Weg aus der Sackgasse, in der das Gespräch steckte. Auf gewohntem Terrain lieferte Hitler eine lange Ausführung über seine Interpretation der Geschichte und die beiden Männer hatten nun eine Grundlage für die weitere Konversation.

Von diesem Zeitpunkt an diskutierten sie über aktuelle und vergangene Themen. Ott führte aus: „Sie müssen wissen, wie lange der preußische Generalstab brauchte, um den letzten Krieg vorzubereiten und Revolutionäre wie Garibaldi und Mussolini brauchten den Willen der Menschen hinter sich. Parolen, besonders ideologische wie Antisemitismus und Antiklerikalismus, bringen die hungernden Massen nicht auf die Barrikaden. Warum verbreiten Sie und ihre Anhänger Hass gegenüber Juden und die päpstliche Autorität? Wir können politische Gegner sein, aber wenn Sie eine ganze Nation in eine bessere Zukunft führen wollen, brauchen wir einander.“

Dies muss eine der wenigen Gelegenheiten gewesen sein, in denen jemand im direkten Gespräch Hitlers fanatischen, hasserfüllten Ansichten widersprach.

Erwartbarer Widerspruch, aber auch Respekt

Wie zu erwarten, folgte Hitler nicht der Ansicht Otts, dennoch blieben sie im Gespräch. Hitler betonte, dass nur zwei Institutionen seinen Respekt verdienten, der alte preußische Generalstab und das Kardinalskollegium der römisch-katholischen Kirche. Es ist interessant, dass der Diktator, der später weder Fragen noch Widerspruch duldete, bei dieser Gelegenheit auf andere Ansichten einging.

Ott kam zum Schluss ein „frommes Rezept“ auszustellen: „Finden Sie zurück zur alten göttlichen Ordnung!“ Und es funktionierte. Hitler beendete den Hungerstreik und kehrte in seine Zelle zurück. Im folgenden Prozess redete er die Richter nieder, aus ihm wurde eine Figur von nationaler Bedeutung.

Ein Blick zurück

Erst im hohen Alter von 98 Jahren offenbarte Ott seine psychologischen Gespräche mit Hitler, mit der Schlussfolgerung, dass sein Patient eine Vorliebe für „magisches-mysteriöses Denken“ habe. Hier kann man nur schwer widersprechen. Voller Eitelkeit und brutalem Dogmatismus konnte Hitlers Hass auf Andersdenkende nicht gezügelt werden. Ott: „Ich konnte seine dämonische Obsession mit seiner Ideologie fühlen, die den Psychopathen in ihm entfesselte.“

Man kann meinen, Hitler sei eine Person, die mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit auf eine Psychotherapie anspricht. Otts Intervention war erfolgreich, weil Hitlers politische Karriere noch in einem frühen Stadium war. Der zügellose Größenwahn, den er später zeigte, als er an der Macht war, entwickelte sich erst noch. Charakteristisch waren jedoch seine Suiziddrohungen als Antwort auf Feindseligkeiten.

Otts Ansatz erlaubte es ihm, mit seinem schwierigen Patienten ins Gespräch zu kommen und dessen glühenden Überzeugungen zu widersprechen. Er war darin erfolgreich, Hitler keinen besonderen Status zukommen zu lassen und ihn wie jeden anderen Patienten zu behandeln – mit einer Mischung aus Konfrontation, Empathie und der Möglichkeit, seinem Ärger Luft zu machen.

Ein ausführliches Porträt von Alois Maria Ott und seiner Begegnung mit Hitler können Sie in englischer Sprache hier lesen: „Alois Maria Ott: I was Hitler’s Psychologist“.

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