Titelbild von Psychiatrie kompakt
Logo von Psychiatrie kompakt

Psychiatrie kompakt

20. Apr. 2023
Neue Studie

Missbrauch in der Kindheit: Unterschiedliche Folgen für Männer und Frauen

Kindheitstraumata haben unabhängig vom Geschlecht Einfluss auf die spätere Psychopathologie. Die Art des Traumas jedoch hat unterschiedliche Effekte auf Männer und Frauen, wie neue Studienergebnisse zeigen.1,2

Lesedauer: ca. 3 Minuten

Streitende Eltern, traurige Kinder
Belastende Situation mit Folgen für die Psyche? (Fiskes/Dreamstime)

Autor: Liam Davenport | Redaktion: Christoph Renninger

Missbrauch und Vernachlässigung wirken sich anders aus

„Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Missbrauch in der Kindheit das Risiko psychiatrischer Symptome sowohl bei Männern als auch Frauen erhöhen“, so Studienautor Dr. Thanavadee Prachason von der Universität Maastricht.

„Erfahrungen mit sexuellem oder emotionalem Missbrauch während der Kindheit erhöhte das Risiko einer Reihe psychiatrischer Symptome, insbesondere bei Frauen. Im Gegensatz dazu war das Risiko bei Männern erhöht, wenn eine Vorgeschichte mit emotionaler oder physischer Vernachlässigung bestand“, ergänzt Prachason.

Wichtiger Risikofaktor für die mentale Gesundheit

Dr. Laura Fusar-Poli, Universität Padua, sagt, dass der unterschiedliche Einfluss des Traumasubtyps bei Männern und Frauen dazu führen sollte, dass Geschlecht und die Art der Kindheitserfahrung bei zukünftigen Studien stärker in den Fokus rücken sollten.

Fusar-Poli zeigt auf, dass 13-36% aller Erwachsenen eine Art von Kindheitstrauma erfahren haben, 30% der Betroffenen waren mindestens zwei Arten von Trauma ausgesetzt. Dies ist ein Risikofaktor für eine Reihe mentaler Gesundheitsprobleme.

Studienautor Dr. Sinan Gülöksüz, Universität Maastricht: „Es wird geschätzt, dass weltweit etwa ein Drittel aller psychiatrischer Erkrankungen in Zusammenhang mit einem Kindheitstrauma stehen.“ Vorherige Studienergebnisse legten nahe, dass der Subtyp des Traumas einen Einfluss auf die darauffolgenden biologischen Veränderungen und klinischen Symptome hat, und dass es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt.

Studie an Zwillingen und Geschwistern

In der Studie wurden Daten von TwinssCan ausgewertet, einer belgischen Kohorte von Zwillingen und Geschwistern im Alter von 15-35 Jahren, ohne Diagnose einer verbreiteten psychiatrischen Erkrankung.

Eingeschlossen wurden 477 weibliche und 314 männliche Personen. Alle hatten den Child Trauma Questionnaire (CTQ) und die Symptom Checklist-90 SR (SCL-90) ausgefüllt, um die Exposition mit Kindheitstraumata und die Psychopathologie zu erfassen.

Die Ergebnisse zeigten bei Männern und Frauen eine signifikante Assoziation hoher CTQ-Werte mit hohen SCL-90-Scores, ebenso mit allen neun Symptomdomänen des SCL-90 (p<0,001 für alle Zusammenhänge). Zu den Domänen zählen Psychotizismus, paranoide Vorstellungen, Angst, Depression, Somatisierung, Zwänge, zwischenmenschliche Sensibilität, Feindseligkeit und Phobien.

Es gab keine signifikanten Unterschiede bei der Assoziation mit dem CTQ-Gesamtscore zwischen Männern und Frauen.

Geschlechtsunterschiede bei genauerer Analyse

Als die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedoch die Traumasubtypen und die Psychopathologie analysierten, zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Es fand sich eine signifikante Assoziation zwischen emotionalem Missbrauch und dem SCL-90-Gesamtwert bei Männern (p<0,23) und Frauen (p<0,001). Der Zusammenhang war bei Frauen signifikant stärker als bei Männern (p=0,043).

Sexueller Missbrauch war signifikant mit dem SCL-90-Wert bei Frauen assoziiert (p<0,001), während emotionale und physische Vernachlässigung bei Männern mit höheren Psychopathologie-Werten assoziiert waren (p=0,26 bzw. p<0,001).

„Physische Vernachlässigung kann Erfahrungen von Nahrungsmangel, schmutziger Kleidung, fehlender Fürsorge oder ärztlicher Versorgung beinhalten“, so Prachason. „Emotionale Vernachlässigung kann sich durch das Gefühl nicht geliebt, geschätzt oder der Familie zugehörig zu sein zeigen.“

Sexueller Missbrauch eher bei Frauen

Bei Frauen war emotionaler Missbrauch mit allen neun Symptomdomänen assoziiert, bei sexuellem Missbrauch waren es sieben: Psychotizismus, paranoide Vorstellungen, Angst, Depression, Somatisierung, Zwänge und Feindseligkeit.

Körperliche Vernachlässigung war bei Männern mit acht der Symptombereiche assoziiert (außer Somatisierung), während emotionale Vernachlässigung nur mit Depressionen verbunden war, berichtet Fusar-Poli.

Gülöksüz merkt an, dass Frauen möglicherweise empfindlicher für Kindheitstraumata sind als Männer, da sie häufiger sexuellem und emotionalem Missbrauch ausgesetzt sein. Die Hintergründe der Unterschiede sind nicht nur biologisch zu sehen, sondern auch gesellschaftlich.

Dieser Beitrag ist im Original erschienen bei Medscape.

Quellen anzeigen
Impressum anzeigen