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Psychiatrie kompakt

20. Juli 2023

Hochstapler-Syndrom: warum Ärzte besonders oft betroffen sind

Wer unter dem Hochstapler-Syndrom leidet, ist überzeugt davon, dass der eigene Erfolg unverdient und nicht auf Einsatz, Fachkompetenz und persönliche Fähigkeiten zurückzuführen ist. Eine Reihe neuer Studien trägt zu unserem Verständnis des Hochstapler-Syndroms bei.1 Die wichtigsten Charakteristika im Überblick.

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Hochstapler-Syndrom
(Foto: Dreamstime.com | Robert Kneschke )

Autor: Paolo Spriano | Redaktion: Nathalie Haidlauf

Die Erwartungen an Ärztinnen und Ärzte sind hoch. Selbstverständlich wird angenommen, dass sie mühelos über die normalen menschlichen Grenzen hinausgehen, dass sie ihrer Arbeit stets oberste Priorität einräumen und immer wissen, was zu tun ist. Diese stereotypen Vorstellungen führen dazu, dass viele Ärztinnen und Ärzte sich überfordern und ihre persönliche Gesundheit zugunsten ihrer Arbeit vernachlässigen. Als Konsequenz entwickeln sie Angstgefühle, wenn sie ihren Patienten nicht in dem gewünschten Maße helfen können.1

Das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit

Unter dem Hochstapler-Syndrom – auch als Impostor-Syndrom bekannt – wird ein psychologisches Phänomen von intellektuellen und professionellen Selbstzweifeln beschrieben. Wer davon betroffen ist, glaubt, dass andere ihre Fähigkeiten überschätzen, und hat Angst davor, als Betrüger entlarvt zu werden – trotz anhaltender Erfolge, die ihre Fähigkeiten beweisen. Eine solche Person weist Lob zurück, ist extrem selbstkritisch und schreibt ihre Erfolge äußerlichen Faktoren wie Glück, Fleiß oder zwischenmenschlichen Beziehungen zu und nicht ihren eigenen Fähigkeiten, Kenntnissen und Kompetenzen.

Das Hochstapler-Syndrom: 5 Typen

Das Hochstapler-Syndrom zeichnet sich durch Gefühle von Unsicherheit, Unzulänglichkeit und Zweifel an den eigenen Leistungen trotz gegenteiliger Beweise aus. Es handelt sich nicht um eine formelle psychiatrische Diagnose, aber das Syndrom kann in fünf Subtypen eingeteilt werden:4

  • Perfektionisten leiden aufgrund von selbst auferlegten und unerreichbaren Zielen an Unsicherheit.
  • Experten fühlen sich mangels ausreichender Kenntnisse unzulänglich.
  • Superhelden überladen sich mit Arbeit, um sich von ihren Kollegen geschätzt zu fühlen.
  • Naturgenies schämen sich, wenn sie sich anstrengen müssen, um eine Fertigkeit zu erlernen.
  • Solisten glauben, dass es ein Zeichen von Schwäche ist, andere um Hilfe zu bitten.

Wer ist vom Hochstapler-Syndrom betroffen?

Das Hochstapler-Phänomen tritt bei Männern und Frauen auf, doch in einigen Studien wird auf eine höhere Prävalenz unter Frauen verwiesen. Es kann sich als echtes Syndrom manifestieren, das sowohl mit persönlichen Konsequenzen wie schlechtem emotionalem Wohlbefinden, Problemen bei der Integration von Beruf und Privatleben, Angst, Depression und Suizid als auch mit beruflichen Konsequenzen wie beeinträchtigter Arbeitsleistung und beruflichem Burn-out verbunden ist.2 

Es zeigen sich vier zentrale Risikofaktoren:

  • Medizinstudierende scheinen anfälliger für das Hochstapler-Syndrom zu sein. Es wurde bei mehr als einem Viertel der Studierenden nachgewiesen. Außerdem zeigte sich, dass Betroffene auch ein höheres Burn-out-Risiko aufweisen.3
  • Studien deuten auf die Prävalenz des Hochstapler-Syndroms in den frühen Jahren des Medizinstudiums hin, doch über die Prävalenz in der klinischen Praxis gibt es nur begrenzte Informationen.
  • Häufig wechselnde Aufgabenbereiche sind ein Risikofaktor für das Hochstapler-Syndrom, zu dessen Prävalenz in diesen Fällen das Gefühl beiträgt, ein „ständiger Anfänger“ zu sein.1 
  • Negative berufliche Erfahrungen in der klinischen Praxis spielen ebenfalls eine Rolle, wie z. B. ungünstige Ergebnisse für Patienten oder Beschwerden, abgelehnte Bewerbungen oder Manuskripte, schlechte Bewertungen in Ausbildungsprogrammen oder Bewertungen der Patientenzufriedenheit.

Diagnose des Hochstapler-Syndroms

Die Clance Impostor Phenomenon Scale ist eine Möglichkeit, die Auswirkungen des Hochstapler-Syndroms zu beurteilen. Dabei handelt es sich um einen Fragebogen mit 20 Elementen, in dem die Teilnehmer gebeten werden, auf einer 5-Punkte-Skala anzugeben, inwieweit jedes Element ihren Erfahrungen entspricht – von „überhaupt nicht“ bis „sehr zutreffend“. Mit der Summe der Antworten wird ein aggregierter Score erstellt (IP-Score). Je höher der Score, desto häufiger und maßgeblicher beeinträchtigt das Hochstapler-Phänomen das Leben der befragten Person.5

In einer Analyse von 3237 Ärztinnen und Ärzten aus den USA wurde eine vereinfachte Version dieses IP-Scores herangezogen, um die Zusammenhänge zwischen dem Hochstapler-Syndrom und Burn-outs zu untersuchen und den Anteil der Betroffenen mit anderen Berufsrichtungen zu vergleichen1. Die durchschnittlichen Scores waren bei Ärztinnen höher als bei Ärzten (Mittelwert: 10,91 gegenüber 9,12; p < 0,001). Die Scores nahmen mit zunehmendem Alter ab und waren auch unter verheirateten oder verwitweten Personen niedriger. 

Höher waren die IP-Scores bei mit einer Universität verbundenen Ärztinnen und Ärzten. Unter Kinder- und Notärztinnen und -ärzten gab es höhere Scores, während die niedrigsten Scores bei Ärztinnen und Ärzten aus der Ophthalmologie, Radiologie und orthopädischen Chirurgie vorlagen.

5 Strategien zur Abschwächung

In einem redaktionellen Kommentar zur Studie wird auf verschiedene Strategien für Ärztinnen und Ärzte hingewiesen, die sich im Berufsleben vom Hochstapler-Syndrom betroffen fühlen:4

  • Erinnern Sie sich an Ihre Leistungen, die Sie zu Ihrer beruflichen Rolle geführt haben, und feiern Sie sie.
  • Teilen Sie Ihre Sorgen mit vertrauenswürdigen Kollegen, die Ihre Leistungen bestätigen und Ihre Gefühle normalisieren können, indem sie von ihren eigenen Kämpfen mit IS berichten.
  • Bekämpfen Sie den Perfektionismus, indem Sie akzeptieren, dass es in Ordnung ist, gut genug zu sein, wenn man die Herausforderungen eines anspruchsvollen Berufs bewältigt.
  • Üben Sie sich in Selbstmitgefühl, um sich nicht auf einen externen Ort des Selbstwerts zu verlassen.
  • Verstehen Sie, dass das Hochstapler-Syndrom häufig vorkommt, insbesondere bei Übergängen wie dem Beginn des Medizinstudiums, der medizinischen Weiterbildung oder einer neuen Karriere.

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