Geschlechtsangleichende Betreuung kann psychische Gesundheit bei transsexuellen und nicht-binären Jugendlichen verbessern
Ist eine geschlechtsbestätigende Betreuung für transsexuelle und nicht-binäre Jugendliche mit Veränderungen bei Depressionen, Angstzuständen und Suizidalität verbunden? Diese Frage beantworten Forscherinnen und Forscher in einer im JAMA Network Open veröffentlichten Studie. 1
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Autor: Michael van den Heuvel, redaktionelle Bearbeitung: Dr. Linda Fischer
Therapien einschließlich Pubertätsblockern (PB) und Hormonen waren in der Studie mit einer um 60 % geringeren Wahrscheinlichkeit für mittelschwere oder schwere Depressionen und einer um 73 % geringeren Wahrscheinlichkeit für Suizidalität innerhalb eines zwölf-monatigen Follow-ups verbunden. „Der Zugang zu pharmakologischen Interventionen könnte bereits kurzfristig zu einer Verbesserung der psychischen Gesundheit bei transsexuellen und nichtbinären Jugendlichen führen“, so das Fazit der Autorinnen und Autoren.
Warum überhaupt geschlechtsangleichende Behandlung?
Zum Hintergrund: TNB Jugendliche sind aufgrund geringerer sozialer Unterstützung und häufiger Stigmatisierung und Diskriminierung unverhältnismäßig stark psychischen Belastungen ausgesetzt, verglichen mit anderen Jugendlichen. Ob eine geschlechtsangleichende Betreuung mit einer Verringerung der negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit verbunden ist, sei laut Tordoff und ihren Kolleginnen und Kollegen jedoch unbekannt.
Die Forscherinnen und Forscher wollten vor allem wissen, welche Effekte direkt nach Beginn der Therapie eintreten. Deshalb planten sie, zu untersuchen, wie sich die psychische Gesundheit im ersten Jahr nach der geschlechtsangleichenden Behandlung verändert. Ihr besonderes Augenmerk galt der Frage, ob die Einführung von PB und geschlechtsangleichenden Hormonen (GAH) mit Veränderungen bei Depressionen, Angstzuständen und Suizidalität verbunden ist.
Studie mit mehr als 100 Jugendlichen
Ihre prospektive Kohortenstudie wurde in einer städtischen, multidisziplinären Gender-Klinik in Seattle mit TNB-Jugendlichen und jungen Erwachsenen durchgeführt, die sich von August 2017 bis Juni 2018 mit dem Wunsch einer geschlechtsangleichenden Behandlung vorstellten.
Daten zur psychischen Gesundheit wurden mit Hilfe der Skalen des Patient Health Questionnaire 9-Item (PHQ-9) und des Generalized Anxiety Disorder 7-Item (GAD-7) erfasst, vor allem zur Messung von mittelschwerer oder schwerer Depression bzw. Angst. Selbstberichte über Selbstverletzungen oder Suizidgedanken in den letzten zwei Wochen wurden mit PHQ-9 Frage 9 erfasst. Die Forscherinnen und Forscher bewerteten Veränderungen der einzelnen Scores gegenüber dem Ausgangswert nach drei, sechs und zwölf Monaten.
Unter den 104 Jugendlichen im Alter von 13 bis 20 Jahren (mittleres Alter 15,8 Jahre), die an der Studie teilnahmen, waren 63 transmaskuline Personen (60,6 %), 27 transfeminine Personen (26,0 %), zehn nicht-binäre oder geschlechtlich unbestimmte Personen (9,6 %) und vier Jugendliche, die Fragen zur Geschlechtsidentität mit „Ich weiß nicht“ antworteten oder offenließen (3,8 %).
Zu Beginn der Studie litten 59 Personen (56,7 %) an mittelschweren bis schweren Depressionen und 52 (50,0 %) an mittelschweren bis schweren Ängsten. 45 Teilnehmende (43,3 %) berichteten über Selbstverletzungen oder Selbstmordgedanken. Am Ende der Studie hatten 69 Jugendliche (66,3 %) PB, GAH oder beide Therapien erhalten, während 35 Jugendliche (33,7 %) ohne Intervention geblieben sind.
Geringere Wahrscheinlichkeit für Depression und Suizidalität
Nach Bereinigung um potenzielle Störfaktoren beobachtete Tordoffs Arbeitsgruppe bei Jugendlichen, die PB oder GAH in Anspruch genommen hatten, eine um 60 % geringere Wahrscheinlichkeit für Depressionen (bereinigte Odds Ratio aOR 0,40; 95 %- Konfidenzintervall KI 0,17-0,95) und eine um 73 % geringere Wahrscheinlichkeit für Suizidalität (aOR 0,27; 95 %-KI 0,11-0,65) im Vergleich zu Jugendlichen, die keine PB in Anspruch genommen hatten.
Es gab jedoch keinen Zusammenhang zwischen PB oder GAH und Angst (aOR 1,01; 95%-KI 0,41-2,51).
Autorenteam plädiert für geschlechtsangleichende Betreuung
Bleibt als Fazit: Die Autorinnen und Autoren haben festgestellt, dass geschlechtsspezifische medizinische Interventionen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit von Depressionen und Suizidalität über einen Zeitraum von zwölf Monaten verbunden waren.
„Diese Daten ergänzen die vorhandenen Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass eine geschlechtsspezifische Betreuung bei TNB-Jugendlichen über einen kurzen Zeitraum mit einer Verbesserung des Wohlbefindens verbunden sein kann“, schreiben sie. Wichtig sei die Erkenntnis angesichts der hohen psychischen Belastung dieser Gruppe, speziell durch hohe Selbstverletzungs- und Suizidraten.
Einschränkungen der Studie
- In dieser Studie handelt es sich um eine klinische Stichprobe von TNB-Jugendlichen, was zu einer wahrscheinlichen Selektionsverzerrung führt in Bezug auf Jugendliche mit unterstützenden Betreuungspersonen. Die familiäre Unterstützung und der Zugang zur Betreuung stehen in Zusammenhang mit dem Schutz vor schlechten psychischen Gesundheitsergebnissen, so dass die tatsächlichen Raten von Depressionen, Angstzuständen und Suizidalität in nicht-klinischen Stichproben von TNB-Jugendlichen abweichen können.
- Die Stichprobe umfasste hauptsächlich weiße und transmaskuline Jugendliche.
- Es lag keine Information zur Einnahme von Psychopharmaka vor, die mit Depressionen, Angstzuständen, Selbstverletzungen und Suizidgedanken in Verbindung gebracht werden könnten.
- Es wurden symptombasierte Messungen von Depressionen, Ängsten und Suizidalität verwendet.
Dieser Beitrag ist im Original auf Medscape.com erschienen.