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Praxismanagement

20. Sep. 2022
Zeitenwende in den Praxen

Sind Physician Assistants die Lösung?

Mehr Delegation an Physician Assistants, das scheint sich in den rechtlichen und berufspolitischen Diskussionen immer mehr abzuzeichnen. Skepsis weicht dabei zunehmendem Handlungsdruck. Ein Beitrag über die Herausforderungen aus Sicht von Hans-Joachim Schade, Rechtsanwalt für Medizinrecht.

Lesedauer: ca. 6 Minuten

Physician Assistant

Der folgende Beitrag wird vertreten von der Anwaltskanzlei Broglie & Schade. Redaktion: Sebastian Schmidt

Als die geburtenstarken Medizinerjahrgänge in den 1990er Jahren unter Gesundheitsminister Seehofer in die Niederlassung drängten, waren Einzelpraxis die Norm. Aus Kostengründen wurde überwiegend ungelerntes nicht ärztliches Personal eingesetzt. Gesetzliche Kataloge für Delegation gab es nicht – anders als in der Zahnärzteschaft.

Massiver Wettbewerb um jeden einzelnen Patienten durch zu viele Ärzte war im Großteil des Landes die Folge. Mit Hilfe der Berufspolitik legte man eine Plausibilitätsprüfung fest, die oberhalb von 1000 Behandlungsfällen pro Quartal oft zu Rückfragen durch die KV führte. Die Norm war die persönliche Leistungserbringung des Einzelarztes bei vielen heute von nichtärztliche Praxisassistenten (NäPa) und Versorgungsassistenten in der Hausarztpraxis (VERAH) erbrachten Tätigkeiten.

Physician Assistant: Gefahr oder Chance für die ärztliche Versorgung?

Den Konflikt spiegelt die Analyse von Rechtsanwalt Torsten Münch zum Thema „Delegation – Was darf ungelerntes Personal?“ wider. Fehlt es nämlich an der ausreichenden Qualifikation und verursacht die Hilfsperson einen Schaden bei einem Patienten, haftet der Arzt auf zivilrechtlichen Schadensersatz und Schmerzensgeld. Im Prozess muss dieser dann im Einzelnen darlegen und beweisen, wann und wie er die Person ausgebildet und beaufsichtigt hat. Die Abrechnungsziffern des EBM 03060, 03062 und 03063 brachten Rechtssicherheit für die NäPa und entsprechende Regelungen in der hausarztzentrierten Versorgung.1

Hier übernahm der Hausarztverband Baden-Württemberg eine Vorreiterrolle in Richtung Delegation durch seine Vereinbarungen mit der AOK Baden-Württemberg. Die innere Zerrissenheit der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen beim Thema Delegation wird in einem Beitrag von Dr. med. Johannes Stürmer mit dem Titel „Physician Assistant – Eine kritische Betrachtung“ deutlich. Darin wendet er sich gegen die Entwicklung, dass immer mehr Personen nicht nur für den Krankenhaussektor, sondern auch für die niedergelassenen Haus- und Facharztpraxis nichtärztlich ausgebildet werden. Er vertritt die Meinung mit dem Berufsbild des PA schafft sich der Berufsstand der Ärzte selbst ab. Die Entwicklung sorge überdies für eine Qualitätsminderung der Versorgung und damit letztlich zu einer Gefährdung der Patientinnen und Patienten.2

Über den Autoren:
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Hans-Joachim A. Schade ist Fachanwalt für Medizinrecht und Wirtschaftsmediator von der Rechtsanwaltskanzlei “Broglie, Schade & Partner GbR” mit den Sitzen in Wiesbaden, Berlin und München.

Indirekt verläuft in Deutschland mit der Ausbildung zum PA sowohl an staatlichen wie privaten Ausbildungsinstitutionen eine Art Frontlinie. Auf der einen Seite sind es die niedergelassenen Hausärztinnen und Hausärzte, die in noch überversorgten Gebieten weiter um jeden Patienten im urbanen Raum kämpfen müssen. Auf der anderen Seite kommt der Druck zu Gunsten der Delegation am Beispiel des PA von den primärversorgenden Haus- und Fachärzten des ländlichen und des eher sozial schwachen urbanen Ballungsraumes, der in Richtung Unterversorgung tendiert.

Ein Befürworter der Delegation ist der Hausarzt Dr. Volker Eissing. Er versorgt mit zwei weiteren Kollegen im MVZ-Birkenallee in Papenburg (Emsland) in Vollzeit pro Vollzeitarzt jeweils 2500 Patientinnen und Patienten. Der Versorgungsdurchschnitt bei der KV Niedersachsen sind 913 Behandlungsfälle pro Quartal. Eissing hat deshalb die emsländische Versorgungsinitiative EVI ins Leben gerufen, die die Ausbildung zum PA berufsbegleitend fördert.

Ist das „Emsland-Modell“ attraktiv für Nachahmer?

Unter dem Titel „Physician Assistant bald auch für die Hausarztpraxis?“ schreibt Christian Beneker zum Ausbildungsprojekt von Dr. Eissing. Dieser orientiert sich am Beschluss der Delegierten des Deutschen Ärztetages zum Ausbildungsgang PA. Darin ist festgelegt, dass Ärztinnen und Ärzte die Hoheit über Diagnose, Indikationsstellung und Therapie behalten müssen, um Arztvorbehalt und ärztliche Gesamtverantwortung zu sichern. Da es für den PA im niedergelassenen Bereich keine Abrechnungsziffern gibt, schlägt Eissing vor, dass jeder Niedergelassene, der einen PA einstellt, etwa 500 Patienten mehr pro Hausarzt behandeln darf im Quartal.3

Der Hausarztverband BW engagiert sich mit der KV BW für die Ausbildung zum PA an der Dualen Hochschule BW. Die neue Vorsitzende des Berufsverbandes der Hausärzte in BW, Frau Allgemeinärztin Prof. Dr. Nicola Buhliner-Göpfarth, geht bei einer solchen Delegation in gefährdeten Gebieten davon aus, dass eine Berufsausübungsgemeinschaft von 3 bis 4 vollzähligen Hausärzten an einem solchen Standort sinnvoll ist, die durch PA entlastet werden.

Im Emslandmodell hat jeder Vollzeithausarzt drei ihm zugewiesene eigene Behandlungsräume, wo die PA unter Aufsicht Anamnese und Diagnostik durchführen. Diese wird dann in der Schlussphase von ärztlicher Seite überprüft. Bedingt durch den starken Anstieg von Teilzeitärzten, sichern inzwischen die PA das Betreuungskontinuum für den Patienten. Die Zeitersparnis wird bei Normalpatienten auf drei bis vier Minuten pro Kontakt geschätzt.

Die von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten zu tätigenden Investitionen in die Ausbildungskosten, den Raumbedarf und die erhöhte Vergütung des PA liegen im Verhältnis zur bisher normalen Einzelpraxis wesentlich höher. Aus diesem Grunde werden PA wahrscheinlich überwiegend in Berufsausübungsgemeinschaften und MVZ eingesetzt werden. 500 Patienten mehr pro Quartal sind nach den Berechnungen aus dem Emsland ein unverzichtbarer Deckungsbeitrag, solange es keine Abrechnungsziffern gibt. An diesen wird im Projekt Teampraxis von der KV SH gearbeitet. In BW werden sich die Abrechnungsziffern aus der dortigen HZV ergeben.

Zentral: Höhere Rechtssicherheit bei Delegation an PA

Dr. Eissing sieht im Einsatz an PA ein Element für eine höhere Rechtssicherheit im ärztlichen Alltag. Dies betont er in seinen Vortragsfolien mit dem Titel „Emsländische Versorgungsinitiative – durch neue Strukturen Versorgung sichern“.

Sein Ziel ist es berufsbegleitend – mit Sonderprüfung – auch bisher nichtärztliche Praxisassistentinnen ohne Abitur den Zugang zur akademischen Ausbildung und damit zum Berufsbild PA zu gestatten. Je nach Qualifikation und Prüfung können bis zu drei Semester der sechs-semestrigen Ausbildung angerechnet werden. Der Präsenzanteil ist in der Regel Freitag und Samstag, einmal im Monat.

Den juristischen Wandel zu mehr Rechtssicherheit bei umfassenden Ausbildungsgängen zeigt auch der Beitrag „Physician Assistant - eine juristische Einschätzung“ der Rechtsanwälte P. Hüttl und J. Die Autoren formulieren, dass eine klassische gesetzliche Grundlage, was im Rahmen von Delegation auf PA zulässig wäre, nicht existiert. Gleichwohl gäbe es Richtlinien und Gesetze, die einen Rahmen für die Zulässigkeit von Delegationen bilden. Wichtig sei der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, dass die in der PA-Ausbildung erlernten Tätigkeiten nicht nur in Krankenhaus und Praxis, sondern auch außerhalb der Modellvorhaben angewandt werden.4

Die Autoren unterscheiden zu Delegation zwischen drei Gruppen:

  1. Grundsätzlich nicht delegationsfähige Leistungen
  2. Im Einzelfall delegationsfähige Leistungen
  3. Im Allgemeinen delegationsfähige Leistungen

Diese Aufgaben können PA übernehmen

Hüttl und Heberer kommen in ihren Überlegungen zu dem Schluss, dass die Delegation vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünscht ist, und das sogar in einem größeren Maße als bisher.

Beispiele von auf den PA zu delegierenden Leistungen sind nach dem Beispielkatalog der Anlage 24 zum Bundesmanteltarif Ärzte u.a.:

  • Standardisierte Erhebung der Anamnese (vorbereitende Anamnese), wenn eine spätere Überprüfung und ggf. Ergänzung im Patientengespräch durch den Arzt erfolgt.
  • Die Unterstützung bei der Vermittlung und Erläuterung standardisierter Informationsmaterialien bei der Aufklärung, wenn eine spätere Überprüfung und Ergänzung durch den Arzt im persönlichen Gespräch erfolgt.
  • Unterstützende Leistungen bei der Blutentnahme, Langzeit Blutdruckmessung, Langzeit EKG, Lungenfunktionstest, Pulsoxymetrie, Blutgasanalyse und Erhebung weiterer Vitalparameter.

Insbesondere die Gesetzesmaterialien zum Thema Delegation machen nach Aussage der beiden Rechtsanwälte deutlich, dass eine grundlegende, formell und erfolgreich erworbene Kompetenz dann auch generell und dauerhaft ausgeübt werden soll.

Der Arzt hat für die Tätigkeit des PA sicherzustellen, dass dieser geeignet und bei selbstständiger Durchführung der zu delegierenden Leistungen hat er anzuleiten und regelmäßig zu überwachen.

Fazit: Damit zeigt sich, dass durch die steigende Zahl von Berufsbildern im nichtärztlichen Personalbereich ein Zusammenwirken von Berufsverbänden, Kassenärztlichen Vereinigungen, Krankenkassen und der Bundesärztekammer zum Thema Delegation möglich ist und rechtssicher zu einer Entlastung des niedergelassenen Arztes führen könnte.

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