Warum Regresse zunehmen und wie im Ernstfall zu handeln ist
Regressforderungen nehmen zu. Wir haben mit Udo von Langsdorff vom Verein für Therapiefreiheit e. V. darüber gesprochen, wie es dazu kommt und wie Ärztinnen und Ärzte in solchen Situationen am besten reagieren.
Lesedauer: ca. 5 Minuten

Redaktion & Interview: Nathalie Haidlauf
Herr von Langsdorff, Sie sind Geschäftsführer des Vereins für Therapiefreiheit e.V. und beschäftigen sich viel mit Regressen. Welche derzeitigen Trends sehen Sie da?
Von Langsdorff: Dazu muss ich kurz ausholen. Es ist so, dass die Richtgrößenprüfung im Jahr 2017 abgeschafft wurde. Daher könnte man davon ausgehen, dass die Zahl der Regresse seitdem sinken müsste. Diesen Trend konnten wir jedoch nicht beobachten. Stattdessen gibt es nach wie vor – teilweise sogar vermehrt – Repressalien in Form von Regressen. Zwischen 2020 und 2022 kam es zu einer Verdopplung der Fälle. Am häufigsten sind Einzelfallregresse unter dem Rechtsinstitut des sonstigen Schadens. Bei sonstigen Schäden geht es meist um die Verordnung von Arzneimitteln oder um Therapiekosten.
Welche Erklärung gibt es dafür, dass es verstärkt zu Regressen kommt?
Von Langsdorff: Man kann als Faktor zwar den steigenden Kostendruck im Gesundheitswesen anführen, aber das würde ich nicht als alleinigen Grund sehen. Krankenkassen greifen immer wieder ein Arzneimittel auf und prüfen dieses flächendeckend. Ich denke es geht darum, Aufmerksamkeit für solche Prüfverfahren zu erzeugen. Ähnlich wie das Radargerät auf den deutschen Straßen, das stichprobenartig das Bewusstsein dafür schärft, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen einzuhalten sind.
Es geht also um eine Signalwirkung?
Von Langsdorff: Genau. Und: was positiv zu vermelden ist, ist, dass die Regresshöhen in der Regel nicht exorbitant hoch sind. Sie bewegen sich meist im Bereich zwischen 100 und 1.000 €. Vielen Ärztinnen und Ärzten fehlt jedoch im Alltag die nötige Zeit, um sich dagegen zu wehren. Deshalb hat unser Verein für Therapiefreiheit ein Regress-Schutzprogramm ins Leben gerufen, das auf einem Solidaritätsprinzip beruht.
Was können sich Ärztinnen und Ärzte hierunter vorstellen?
Von Langsdorff: Das Rechtsschutzprogramm beinhaltet, dass Ärztinnen und Ärzte mit bis zu 100.000 € pro Fall versichert sind. Wer zum Beispiel immunsuppressive Medikamente bestellt und dabei nicht richtliniengetreu vorgeht, muss durchaus mit Summen von 20.000 bis 30.000 € rechnen. Was aber den Ärztinnen und Ärzten wichtiger ist als der Versicherungsschutz selbst, ist die dauerhafte Rechtsberatung. Denn bei Regressfällen von 100 € ist es schwierig bis unmöglich, dafür einen Rechtsbeistand zu finden. Bei so geringen Streitwerten können Kanzleien nicht kostendeckend arbeiten, da der Arbeitsaufwand gleich hoch ist – egal ob es um 30.000 € oder um 100 € geht. Mit unserem Solidarprinzip können wir solche Fälle auffangen und auch wirtschaftlich betreuen.
Dabei sind Regressforderungen sicherlich für viele Ärztinnen und Ärzte ein emotionales Thema.
Von Langsdorff: Ja, durchaus. Ich entsinne mich z. B. eines Hautarztes, der sehr gute Erfahrungen mit speziellen Wundauflagen gemacht hat, die häufiger gewechselt werden und etwas teurer sind. Dadurch konnte er seine bettlägerigen Dekubitus-Patienten gut betreuen. Und als es diesbezüglich zu einem Prüfverfahren kam, war er sehr erleichtert, dass wir den Fall für ihn managen und ihm die Ängste nehmen konnten.
Würden Sie sagen, dass Ärztinnen und Ärzte, die unter Regressängsten leiden, auch ihr Therapieverhalten anpassen?
Von Langsdorff: Ja, das ist definitiv so. Wir hatten vorhin das Beispiel der Geschwindigkeitsüberwachung. Wenn Sie eine Radarfalle sehen, bremsen Sie ab und fahren dann die nächste Stunde vielleicht etwas langsamer. Und so ähnlich ist es in der Medizin auch. Die Ärztinnen und Ärzte möchten nicht in Konflikte kommen und unnötigen Papierkram vermeiden. Wie stark man die Risiken scheut oder eingeht, ist aber auch eine Persönlichkeitsfrage.
Oftmals beginnt die Einleitung eines Prüfverfahrens mit einem Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung oder der Prüfstelle mit der Bitte um Stellungnahme – welche Tipps haben Sie in dieser Situation für betroffene Ärztinnen und Ärzte?
Von Langsdorff: Zunächst einmal wäre mein Tipp, gelassen zu bleiben. Ich würde mir anhand meiner Dokumentation eine nachvollziehbare ärztliche Stellungnahme formulieren – in kurzen Sätzen. Der rechtliche Hintergrund ist folgender: Die Prüfbehörde ist von Amts wegen verpflichtet, den Sachverhalt mit aufzuklären. Und wenn der Arzt bzw. die Ärztin die nötigen Hinweise gibt, kommt er der Feststellungslast nach und gibt sie wie einen Spielball wieder zur Behörde rüber. Dann kann man in der Regel gelassen in das Verfahren gehen. Und ein weiterer Tipp, wenn man nicht unbedingt einen Rechtsanwalt einschalten möchte: Nehmen Sie das Telefon in die Hand und telefonieren Sie mit den Behörden. So können Sie herausfinden, wie es aussieht und wie der Behördenleiter den Fall einschätzt. Wenn Sie dann noch kurz im Internet recherchieren und vielleicht einen Anwalt fragen, wissen Sie in der Regel, wie Sie sich am besten verhalten.
Und umgekehrt: Das Schlimmste, was man tun kann, ist – vermutlich – gar nicht auf das Schreiben der Behörde zu reagieren, oder?
Ich würde sagen, das Ungünstigste, was man tun kann, ist die Behörde so zu verärgern, dass man sozusagen einen roten Reiter an die Akte bekommt und dann in Zukunft vielleicht noch weitere Prüfverfahren anstehen. Man sollte dem Gegenüber das Gefühl geben, dass man zuverlässig arbeiten kann und kooperieren möchte. Wir haben oft Fälle, in denen Ärztinnen und Ärzte verärgert sind und empörte Stellungnahmen formulieren – in solchen Fällen helfen wir dabei, die Betroffenen zu beruhigen und die Stellungnahmen entsprechend zu glätten.
Udo von Langsdorff ist Geschäftsführer der Verwaltungs GmbH des Vereins für Therapiefreiheit e. V. Der Verein setzt sich seit 2006 dafür ein, die uneingeschränkte medizinische Arbeit der Ärztinnen und Ärzte zu gewährleisten, ohne sie rechtlichen Probleme auszusetzen.
Und wie können Ärztinnen und Ärzte Regressverfahren im Vorfeld vermeiden? Lassen sie sich überhaupt vermeiden?
Aus meiner Sicht sind Regressverfahren ein Berufsrisiko, das sich wahrscheinlich irgendwann in der Laufbahn einmal manifestiert. Die Gesetze sind so umfangreich, dass nicht davon auszugehen ist, dass man im gesamten ärztlichen niedergelassenen Leben durchkommt, ohne einmal so ein Verfahren gehabt zu haben.
Gibt es bestimmte Punkte oder Aspekte, die bei der Dokumentation besonders wichtig sind – oder welche ich vernachlässigen kann?
Es gibt einen Leitsatz, den ich seit ungefähr 25 Jahren mantraartig wiederhole: wenn die medizinische Indikation vorhanden ist, können Sie eigentlich nicht regressiert werden. Es gilt also in jedem Fall zu klären, ob die medizinische Indikation vorhanden ist. Eine gute Dokumentation ermöglicht es, die ärztliche Denkweise nachzuvollziehen und die medizinische Indikation zu erkennen. Problematisch sind allerdings Folgeverordnungen von Medikamenten, die vonseiten eines Krankenhauses verordnet wurden. Diese sollten immer hinterfragt werden, denn für Kliniken gelten andere Regeln – sie können beispielsweise auch Arzneimittel verschreiben, die noch nicht die deutsche Zulassung haben. Wird die Verordnung einfach fortgeführt, ist das unter Umständen unsicheres Terrain.
Und was mache ich dann eigentlich, wenn ich nicht ordentlich dokumentiert habe? Also wenn ich nicht mehr ganz nachvollziehen kann, warum ich so entschieden habe?
Sie dürfen die Dokumentation nicht im Nachgang verändern – das wäre ein Straftatbestand. Aber es ist erlaubt, anhand der Erinnerung an den Fall Ergänzungen zu schreiben.
Vielen Dank für das Gespräch.
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