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Praxismanagement

11. Sep. 2023
Primärversorgungszentren

Ärztliche Zentren: Ausweg für selbstständige Praxisärzte?

Die Einführung von Primärversorgungszentren wird von vielen Ärztinnen und Ärzten kritisch gesehen. Warum die Politik in ihrem Gesetzesentwurf auf das Konzept von PVZ setzt und welche Vorteile das für alle Beteiligten haben kann, erläutert Rechtsanwalt Hans-Joachim Schade.

Lesedauer: ca. 5 Minuten

MVZ
(Foto: Getty Images / Morsa Images)

Der folgende Beitrag wird vertreten von der Anwaltskanzlei Broglie & Schade | Redaktion: Sebastian Schmidt

Ein Angriff auf die Struktur der ärztlichen Versorgung, das ist der Gesetzesentwurf zur Stärkung der Gesundheitsversorgung für viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Doch sind die Ideen des Bundesgesundheitsministers von Gesundheitskiosk, Gesundheitsregion und Primärversorgungszentren wirklich überflüssige Geldausgaben? Wird die ärztliche Funktion dadurch geschwächt wie befürchtet?

Der Gesetzesentwurf aus dem Haus von Karl Lauterbach greift im Wesentlichen auf, was Kassenärztliche Vereinigungen (KV) in ihren strategischen Zukunftspositionen zur Neustrukturierung des Arztberufes erarbeitet haben und gießt dies nun in Gesetzesform. Das Ziel: Die herausgehobenen Stellung der Ärzteschaft soll weiter gesichert werden. Namentlich übernimmt der Gesetzgeber die Vorschläge zur Praxisstruktur-Neuordnung, wie sie das Positionspapier „KBV 2025“ von KBV und den Kassenärztlichen Vereinigungen vorsieht.1

Über den Autoren:
Hans-Joachim Schade, Fachanwalt für Medizinrecht
Hans-Joachim Schade (Foto: Kanzlei Broglie & Schade)

Hans-Joachim A. Schade ist Fachanwalt für Medizinrecht und Wirtschaftsmediator von der Rechtsanwaltskanzlei “Broglie, Schade & Partner GbR” mit den Sitzen in Wiesbaden, Berlin und München.

Streit um EBM statt Mut zu notwendige Änderungen?

Man könnte die Initiative also durchaus auch als einen berufspolitischen Erfolg gegenüber der Pflege-Lobby sehen. Doch es bleibt fraglich, ob auch eine Mehrheit der unternehmerisch tätigen Ärztinnen und Ärzte in Haus- und Facharztpraxen diese Ansicht teilt, blickt man auf die Streitpunkte des Entwurfs:

  • Die maximale Delegation mit akademisierten Medizinischen Fachangestellten (MFA) als Physician Assistants (PA).
  • Der Einsatz von akademisierten Pflegefachpersonal.

Wird dieses Modell umgesetzt, könnten 75 % der selbst erbrachten, ärztlichen Routineaufgaben an eine neue Ebene akademisierter Gesundheitsberufe übergeben wird.

Der Streit der KBV und der Ärzteverbände um angemessene Erhöhung der EBM-Vergütung verdeckt dabei aktuell, dass schon jetzt ärztliche Einkommen durch den Einsatz von PA erhöht werden können.

Und die Abgabe ärztlicher Aufgaben ergibt aus unternehmerischer Sicht durchaus Sinn, wie man mit Blick in die übervollen Wartezimmer sieht. Die erklären sich auch angesichts zusätzlicher Aufgaben durch Corona, die Einführung der elektronischen Patientenakte, Rufen nach kürzeren Arbeitszeiten durch das Praxispersonal und einer anschwellenden Welle von Praxisab- und aufgaben. Weil es gesundheitspolitisch brennt und der Gesetzgeber Versorgungsengpässe fürchtet, handelt er jetzt.

Zukunftsmodell Teampraxis: So steigern Sie den Wert Ihrer Praxis
Physician Assistant
(Foto: Getty Images / LuckyBusiness)

Zu viel Versorgungsbedarf und viel zu wenig Zeit für das, wofür man ausgebildet wurde, nämlich die medizinische Arbeit am Menschen, darüber beschweren sich viele Praxisinhaber mit Recht. Eine Lösung könnten teambasierte Praxen sein mit Vorteilen für alle – nicht zuletzt, weil so der Wert der Praxis steigerbar ist.
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Mangel an Arztzeit, Mängel in der Patientenversorgung

Doch warum handelt der Bund so? Ein wichtiger Punkt neben dem Verlust der Babyboomer-Generation in der Ärzteschaft sind die Prognosen, dass in Hausarztpraxen 80 % Ärztinnen tätig sein werden. Und die wollen überwiegend nicht mehr 50 Stunden und mehr in unternehmerischer Verantwortung arbeiten. Sie präferieren viel mehr ein Angestelltenverhältnis in Teilzeit mit Fokus auf die rein medizinische Tätigkeit.

Der Schluss von Gesetzgeber und Selbstverwaltung: mit weniger ärztlicher Arbeitskraft müssen zukünftig mehr Menschen behandelt werden. Die Demographie verschärft das Problem auch auf der Patientenseite. Die Versorgungslücke für eine älter werdende und multimorbide Patientenstruktur ist nur schnell durch den Einsatz nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe zu schließen. Hier kommen die Physician Assistants, akademisierte Pflegekräfte, Physiotherapeuten und Co. ins Spiel. Sie sollen Routinefunktionen übernehmen und die Medizinerinnen und Mediziner so entlasten und das in Primärversorgungszentren.

Primärversorgungszentren rücken näher

Schon jetzt gibt es regionale ärztliche Versorgungsansätze, in denen sich freiwillig unternehmerische Haus- und Fachärzte zusammengeschlossen haben, um mit Hilfe von Physician Assistants die Versorgung sicherzustellen, wie beispielsweise die ze:ro Praxen als Zusammenschluss von 30 Haus- und Facharztpraxen im Rhein-Neckarraum. Interessant auch das von Medi mitgetragene Konzept der Hausarztpraxis am Spritzenhaus in Baiersbronn.

So soll statt des bisherigen Nebeneinanders der Beteiligten ohne feste Strukturierung, eine berufsgruppenübergreifende, koordinierte und kooperative regionale Versorgung ermöglicht werden. Bisher wurde vieles informell durch vor Ort wohnende und verankerte selbstständige Vollzeit-Praxisinhaber geregelt. Eine auf Teilzeit aufgebaute Versorgung mit angestellten Ärzten, die einpendeln, kann diese Unterstützung nicht bieten. Doch was sind die Anforderungen an PVZ?

Online-Seminar: Gründung von haus- und fachärztlich gemischten Primärversorgungszentren

Die Rechtsanwaltskanzlei Broglie, Schade & Partner GbR veranstaltet am 13. September 2023 von 18 bis 19.30 Uhr das Online-Seminar „Gründung von haus- und fachärztlich gemischten Primärversorgungszentren” für Ärzte, Zahnärzte und alle Unternehmer in der ambulanten Versorgung. 

Themen des Online-Seminars sind u.a.:

  • Hintergrund und Herausforderungen der Praxisstrukturen
  • Aufbau und Funktion von Primärversorgungszentren (PVZ)
  • Gründungskonstellationen und Partnerschaften
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(Foto: © Getty Images / Kittiphan Teerawattanakul / EyeEm)

Anforderungen und Ziele an ein Primärversorgungszentrum

  • Vertragsärzte, ärztliche Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) und Medizinische Versorgungszentren (MVZ) können Primärversorgungszentren mit mindestens 3 vollen hausärztlichen Versorgungsaufträgen als Kern errichten.
  • Die Mindestgröße soll einen Versorgungsumfang von gewissem Gewicht und eine Versorgungskontinuität gewährleisten. So kann der Ausfall eines Arztes durch interne Vertretung einfacher aufgefangen werden.
  • Ärztinnen und Ärzte sollen sich mehr um medizinische Kernaufgaben kümmern können.
  • Deshalb sollen Pflegefachkräfte oder MFA mit Zusatzqualifikationen wie Community Health Nurse/Physician Assistants eingestellt werden.
  • Zunächst ist die Absicht in Regionen mit eingetretener oder drohender Unterversorgung bei einer älter werdenden und multimorbiden Bevölkerung das Konzept einzuführen.
  • Ziel ist darüber hinaus, dass nicht-ärztliche Fachkräfte im PVZ, wenn notwendig, versicherte Personen mit besonderem medizinischem und auch sozialem Bedarf in gesteigertem Maße unterstützen.
  • Weiter soll eine vernetzte Struktur aufgebaut werden mit Gesundheitskiosk/ÖGD, Fachärzten, Krankenhaus, GKV und Pflegekassen.

Bessere Qualifikation und mehr Geld für Angestellte?

Durch die neue Struktur muss auch der Einheitliche Bewertungsmaßstab angepasst werden. Deshalb erhält laut Gesetzesentwurf der Bewertungsausschuss den Auftrag, innerhalb von 6 Monaten nach Definition der Einzelheiten für Primärarztzentren im Bundesmantelvertrag Vergütungsregelungen zu beschließen. Diese sollen die ärztliche wie auch die nicht-ärztliche, delegative Leistungen beschreiben, die sich um die besondere Versorgung im PVZ kümmern. Sie sollen zunächst nur in Regionen mit schon eingetretener oder drohender Unterversorgung zur Geltung kommen.

Auch wird diskutiert, ob man analog bundesweit mit besonderen Versorgungsverträgen dies freiwillig über die neuen Gesundheitsregionen mit Vereinbarungen mit den Landesverbänden der GKV zusätzlich ausrollen kann.5

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