Gesundheitshubs: Chance für Zukunft der ambulanten Versorgung?
Arbeiten in Coworking Spaces ist in. Die Möglichkeit, sich flexibel Tisch oder Raum mieten zu können, ist ungebrochen attraktiv. Für die ärztliche Arbeit im ambulanten Bereich schien das jedoch lange undenkbar. Gesundheitshubs sollen genau das möglich machen – und liefern ein interessantes Muster für Praxisinhaber mit Nachwuchssorgen.
Lesedauer: ca. 4 Minuten

Der folgende Beitrag wird vertreten von der Anwaltskanzlei Broglie & Schade. Redaktion: Sebastian Schmidt
Das Geschäftsmodell Gesundheitshub ist für bestehende inhabergeführte Praxen aus mehreren Gründen interessant. Denn es bietet ein Muster, um Nachfolger zu finden und erfüllt dem Arztnachwuchs dabei den Traum von der Selbstständigkeit.
Niederlassung attraktiv, aber unerreichbar?
Selbstständig arbeiten, das ist in den Augen des ärztlichen Nachwuchses immer noch das Leitbild im ambulanten Sektor. Das belegt auch die apo-Bank- Studie „Niederlassen oder lieber lassen?“. Doch die traditionellen Strukturen in der ambulanten Versorgung treffen schier unvereinbar auf die Anforderungen des Arztnachwuchses. Der sieht sich gezwungen, den Wunsch der selbstständigen ärztlichen Tätigkeit mit den Bedürfnissen eigener Kinder, dem Beruf des Partners in einer urbanen Wettbewerbswelt und der Sorge für Elternteile in einer defizitären Pflegelandschaft zu vereinen.
Junge Ärztinnen und Ärzte suchen also eine selbstständige, flexible Tätigkeit, vereinbar mit den familiären Anforderungen und deshalb ohne Ortsbindung, weitreichende Finanzierung und medizinferne Praxismanagementtätigkeit – kurz: die eierlegende Wollmilchsau.
Über den Autoren:

Hans-Joachim A. Schade ist Fachanwalt für Medizinrecht und Wirtschaftsmediator von der Rechtsanwaltskanzlei “Broglie, Schade & Partner GbR” mit den Sitzen in Wiesbaden, Berlin und München.
Echte Option für ärztliche Selbstständigkeit
Die Idee des Gesundheitshubs ist simpel: Es braucht einen Ort, an dem Ärztinnen und Ärzte selbstständig und flexibel mit anderen selbstständigen Praxisinhabern Infrastrukturen und Management-Dienstleistungen mieten können.
Doch wie könnte das gelingen? Der Ansatz ist, dem gerne selbstständigen Haus- oder Facharzt an einem gemeinschaftlichen Standort eine flexible Praxistätigkeit ohne Basisinvestitionen in Raum, Einrichtung und gemeinsam nutzbare Medizintechnik zu gestatten. Außerdem können sie das von allen Ärzten nutzbare allgemeine Praxismanagement für Reception, Einkauf, Praxisverwaltungssystem, Qualitätsmanagement, Datenschutz, Bürokratie und Abrechnung hinzubuchen.
Auch zeitlich sind die Medizinerinnen und Mediziner flexibel. Die Infrastruktur steht an 6 Tagen von Montag bis Samstag von 7 bis 20 Uhr zur Verfügung und der selbstständige Praxisinhaber ist nur für die für ihn spezifisch zugeschnittene Technikeinrichtung und die für ihn am Patienten arbeitenden MFA verantwortlich. Dies betrifft Investition und Arbeitgeberfunktion.
Somit können sich Voll- und Teilzeitärzte für Selbstständigkeit ohne langfristige Bindung an Standort und Einrichtung ohne Weisungsgebundenheit und Arbeitszeitvorschriften für eine Tätigkeit in Einzelpraxis oder Berufsausübungsgemeinschaft entscheiden.
Chance für die Praxisnachfolge auf dem Land
Diese Überlegung könnten aber auch erfolgreiche Unternehmerärzte im ländlichen und sozialschwachen Ballungsraum mit starkem Patientenzulauf nutzen, um an fachgleichen Nachwuchs zu kommen. Denn die Mehrheit des ärztlichen Nachwuchses ist weiblich und wählt bisher die Angestelltenvariante. Der zentrale Engpass für die Ärztin – gebunden an das urbane Umfeld ihrer Familie – ist dabei die Menge der Wochenarbeitstage und der Verlust von An- und Abfahrtszeiten beim Pendeln in den ländlichen Raum. Und das spricht oft genug gegen eine Tätigkeit mit Auspendeln in den ländlichen Raum.
Böte nun ein nachgefragte Hausarztpraxis keine Angestelltentätigkeit und auch keine Gemeinschaftspraxis, sondern eine selbstständige Tätigkeit in einer zweiten Gemeinschaftspraxis aus besitzlosen Teilzeitärztinnen und Teilzeitärzten mit umfassender Infrastruktur, Personalnutzung und Managemententlastung an, könnte dies psychologisch und ökonomisch reizvoll sein.
Die Ärztin könnte sich entscheiden montags 2 Schichten von 7 bis 20 Uhr zu arbeiten und dienstags bis 13 Uhr. Sie könnte noch Hausbesuche machen und übernachtet in einer Praxiswohnung vor Ort. Dienstag kehrt sie mittags ohne Verkehrsstau zurück. So wird eine Vollzeittätigkeit in 3 Arbeitstagen mit 2 Übernachtungen möglich.
Vorteile für ärztliche Vermieter der Infrastruktur
Der vermietende Arzt gründet eine Betriebsgesellschaft, die an seine Praxis und die zweite fachgleiche Ärztegesellschaft vermietet. Die Vorteile:
- Die ursprüngliche Praxis mit ihren lokal verwurzelten Vollzeitärzten erfährt indirekt durch weitere Privatpatienten eine Aufwertung
- Zusätzliche Investitionen, z.B. in Arztassistenten werden möglich
- Der vermietende Praxisinhaber erspart sich unvermeidliche Konflikte durch Mitsprache von Mitgesellschaftern.
Die Rechtsanwaltskanzlei Broglie, Schade & Partner GbR veranstaltet am 24. Mai 2023 von 18 bis 19.30 Uhr das Online-Seminar „Gesundheitshubs als neues Geschäftsmodell” für Ärzte, Zahnärzte und alle Unternehmer in der ambulanten Versorgung.
Themen des Online-Seminars sind u.a.:
- Vorstellung des neuen Unternehmenskonzeptes und die Chancen
- Stolpersteine aus Berufs-, Steuer-, Arbeits-, Zulassungs-, und Zivilrecht
- Anwendungsbeispiel:
- Im unterversorgten Gebiet als Unternehmer
- In der Großstadt niedergelassen und doch in Kooperation
- Auslaufmodell für ältere Ärzte, die gern weiterarbeiten möchten

Praxisgemeinschaft: Stolperfalle Vertretungskonflikte vermeiden
Die fachgleiche Praxisgemeinschaft hat durch die gemeinsame Nutzung von Räumen und Personal in der Vergangenheit bei geringen Fallzahlen durch geschickte Wahl von Urlaubszeiten die Patientenmenge durch Vertretungen erhöht. Darin sehen die Kassenvereinigungen bei einer Überschreitung von 20% gemeinsamer Patienten einen Gestaltungsmissbrauch.
Schließen sich nun aber mehrere Teilzeitärzte mit ähnlichen Bedürfnissen nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu einer Berufsausübungsgemeinschaft zusammen, können bei spontaner Abwesenheit bei Krankheit, familienbedingter Abwesenheit und Urlaub die Patienten in der eigenen BAG aufgefangen und weiterbehandelt werden und es entsteht kein Vertretungsfall. Ohne Hierarchiegefälle können die Ärzte zudem auf Augenhöhe miteinander kommunizieren und Lösungen entwickeln. Zu berücksichtigen sind nur die abgesprochene Mietdauer und Kündigungsfristen.
Diese flexible Form von Teilzeitselbstständigkeit könnte bei entsprechenden Angeboten von Raum, Einrichtung, Medizintechnik, Personal und Kollegenmix ärztlichen Nachwuchs veranlassen im ländlichen und sozialschwachen Raum tätig zu sein. Entscheidend ist, dass so der urbane Lebensmittelpunkt erhalten bleiben kann und die Bindungsfristen überschaubar sind.