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Praxismanagement

08. Juni 2022
Persönliche Leistungserbringung

Welche ärztlichen Tätigkeiten dürfen delegiert werden?

Bestimmte ärztliche Leistungen dürfen im Praxisalltag auch von nichtärztlichen Mitarbeitern ausgeführt werden – andere unterliegen dem Arztvorbehalt. Wo liegen die Grenzen der Delegation?

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Ärztin delegiert

Autorin: Nadine Ettling, Fachanwältin für Medizinrecht bei der Kanzlei Lyck+Pätzold. healthcare.recht. Redaktion: Marc Fröhling

Ärztinnen und Ärzte haben die Ausübung der Heilkunde grundsätzlich persönlich vorzunehmen. Es gilt der sogenannte Arztvorbehalt. Die Entscheidung darüber, welche konkreten Leistungen diesem Arztvorbehalt unterliegen, hat der Gesetzgeber jedoch nur in Einzelfällen ausdrücklich selbst getroffen. So dürfen z. B. nach § 48 des Arzneimittelgesetzes nur Ärzte oder Zahnärzte verschreibungspflichtige Arzneimittel verschreiben oder nach § 9 des Embryonenschutzgesetzes nur ärztliches Personal eine künstliche Befruchtung vornehmen. Demgegenüber finden sich zum Beispiel im Rahmen der Geburtshilfe auch Leistungen, zu denen Hebammen berechtigt sind (siehe § 4 des Hebammengesetzes).

Persönliche Leistungserbringung heißt folglich nicht, dass der Arzt oder die Ärztin jede Leistung auch wirklich höchstpersönlich erbringen muss. Es bedeutet vielmehr, dass der Arzt bei der Delegation ärztlicher Tätigkeiten an nichtärztliche oder ärztliche Mitarbeiter weiterhin leitend und eigenverantwortlich handelt. Hieraus folgt auch, dass Medizinerinnen und Mediziner, anders als gewerbliche Unternehmer, den Leistungsumfang ihrer Praxen durch Anstellung von Mitarbeitern nicht beliebig vermehren können, da nur eine begrenzte Anzahl von Helferinnen und Helfern persönlich angeleitet und überwacht werden können.

Wann ist die Delegation ausgeschlossen?

Besonders die Frage, welche ärztlichen Leistungen an nichtärztliches Personal delegiert werden dürfen, hat im Praxisalltag große Relevanz. Eindeutige gesetzliche Regelungen sucht man hierzu vergebens. Für besonders gefahrenträchtig angesehene Einzelfälle hat der Gesetzgeber die Delegation ausgeschlossen und ordnet einen Arztvorbehalt an. So darf beispielsweise die Behandlung bestimmter Erkrankungen nach dem Infektionsschutzgesetz oder die Verschreibung von Betäubungsmitteln nur durch den Arzt oder die Ärztin selbst erfolgen. Einigkeit besteht auch darüber, dass es einen Kernbereich ärztlicher Tätigkeiten gibt, die nicht delegierbar sind. Hierunter fallen:

  • Anamnese
  • Indikationsstellung
  • Untersuchung des Patienten einschließlich invasiver diagnostischer Leistungen
  • Diagnose
  • Entscheidung über Therapie
  • Durchführung invasiver Maßnahmen

Wo liegen die Grenzen?

In den meisten Fällen fehlt es jedoch an klaren Vorgaben. Ob eine bestimmte Leistung unter Arztvorbehalt steht, hängt in diesen davon ab, ob die betreffende Tätigkeit gerade die dem ärztlichen Personal eigenen Kenntnisse und Kunstfertigkeiten voraussetzt. Zu einer rechtssicheren Abgrenzung in der Praxis sind diese Kriterien allerdings kaum geeignet.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband haben mit einer zum 01.10.2013 in Kraft getretenen Vereinbarung über die Delegation ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Personal in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 28 Abs. 1 S. 3 SGB V versucht, einen exemplarischen Katalog zu erstellen. Die Vereinbarung findet sich als Anlage 24 zum Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) und wurde letztmalig im Jahr 2015 angepasst. Der Katalog hat zwar nicht den Status eines allgemeingültigen Gesetzes, kann jedoch zu einer qualifizierten Orientierung und Abgrenzung dienen.

Über die Autorin
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Nadine Ettling ist Fachanwältin für Medizinrecht bei der Anwaltskanzlei Lyck+Pätzold. healthcare.recht. Die Kanzlei hat sich ausschließlich auf die Beratung medizinischer Leistungserbringer und Industrieunternehmen aus der Gesundheitsbranche spezialisiert.

Der Katalog delegierbarer Leistungen

Neben der Beschreibung der Kernbereiche werden die Anforderungen für die Delegation ärztlicher Tätigkeiten konkretisiert. Ärztinnen und Ärzte haben demnach sicherzustellen, dass die jeweilige Arbeitskraft aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation oder allgemeinen Fähigkeiten und Kenntnisse für die Erbringung der delegierten Leistung geeignet ist (Auswahlpflicht). Zudem sind die Angestellten zur selbständigen Durchführung der zu delegierenden Leistung anzuleiten (Anleitungspflicht) sowie regelmäßig zu überwachen (Überwachungspflicht). Die Qualifikation der jeweiligen Arbeitskraft ist ausschlaggebend für den Umfang der Anleitung und der Überwachung.

Die allgemeine Liste zulässig delegierbarer ärztlicher Tätigkeiten

  1. Administrative Tätigkeiten, z.B. Datenerfassung und Dokumentation von Untersuchungsergebnissen und Therapieerfolgen; Unterstützung des Arztes bei der Erstellung von schriftlichen Mitteilungen und Gutachten
  2. Anamnesevorbereitung
  3. Aufklärungsvorbereitung
  4. Durchführung technischer Untersuchungen:
    - Röntgen
    - CT
    - MRT
  5. Früherkennungsleistungen:
    im Rahmen von Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten bei Erwachsenen:
    - Laboratoriumsuntersuchungen (Untersuchung auf Blut im Stuhl) im Rahmen der Krebsfrüherkennungsuntersuchung
    im Rahmen von Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen:
    - Unterstützung bei der Aufklärung der Eltern im Rahmen von Screeninguntersuchungen und Impfungen
    - U1-J2: Seh- und Hörtest, Erfassung Körpermaße
  6. Injektion: intramuskulär und subkutan (auch Impfungen)
  7. Injektion: intravenös
    Infusion: intravenös; Anlegen einer Infusion
    Die Anwesenheit des Arztes ist in der Regel  erforderlich. Die intravenöse Erstapplikation von Medikamenten ist nicht delegierbar.
  8. Labordiagnostik
  9. Unterstützende Maßnahmen zur Diagnostik/Überwachung:
    – Blutentnahme kapillär sowie venös
    – (Langzeit-)Blutdruckmessung
    – (Langzeit-)EKG
    – Lungenfunktionstest/Spirographie
    – Pulsoxymetrie
    – Blutgasanalysen
    – weitere Vitalparameter
  10. Wundversorgung / Verbandwechsel

Der Katalog listet darüber hinaus zahlreiche weitere versorgungsbereichs- und arztgruppenspezifische Besonderheiten auf. Es lohnt sich also ein eigener Blick in den Vertragstext. Dieser wird auf der Seite der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur Verfügung gestellt.

Praxistipp

Bestehen Zweifel, ob Leistungen an die jeweiligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter delegiert werden dürfen, ist es sinnvoll, dies einmal rechtlich überprüfen zu lassen, um langwierigen und möglicherweise teuren Haftungsfällen vorzubeugen. Anhand einer Überprüfung der gesetzlichen Vorgaben und aktuellen Rechtsprechung helfen wir Ihnen gerne die Risiken der Delegation in Grenzbereichen einzuschätzen und zu bewerten.

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