
Die Situation an Kinderkliniken ist noch immer kritisch
Seit Monaten klagen Pädiater über schwere Versorgungsprobleme der Kinderkliniken hierzulande. Die Klagen wurden zwar gehört, aber die Lage bleibt angespannt.
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Autorin: Ute Eppinger | Redaktion: Dr. Nina Mörsch
Schwerkranke kleine Patienten, die nicht aufgenommen werden können, dauerhaft gesperrte Betten aufgrund des Personalmangels, überlastete Ärzte und Pflegende: Deutschlands Kinderkliniken sind am Limit. „Das ist eine katastrophale Situation – anders ist es nicht zu bezeichnen“, beschrieb Prof. Dr. Florian Hoffmann, Kinder-Intensivmediziner am Dr. von Haunerschen Kinderspital München, die Situation der Kinderkliniken Anfang Dezember 2022. Im Winter hatten an Grippe, RSV und COVID-19 erkrankte Kinder den ohnehin überlasteten Kinderkliniken zusätzlich schwer zu schaffen gemacht.
Wirklich entspannt hat sich die Situation seither nicht: „Auch im Sommer ist es mittlerweile Normalität, dass 1 bis 2 Kinder hier über 12 oder auch über 24 Stunden verbringen und alle auf Bettensuche sind“, berichtet Dr. Sabrina Juranek, Leiterin der Kindernotaufnahme am Dr. von Haunerschen Kinderspital München.
Wie alarmierend die Situation der stationären Kinder- und Jugendmedizin ist, zeigen die Ergebnisse einer Umfrage von NDR und Hartmannbund: Knapp die Hälfte der rund 700 Befragten aus Pflege und Ärzteschaft kann Pausenzeiten selten oder nie einhalten, 45% springen mehrmals im Monat für erkrankte Kollegen ein, und rund 60% empfinden eine mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit.
Umfrage macht deutlich, weshalb Krankenhausreform überfällig ist
Nicht überrascht von den Ergebnissen der Umfrage ist Dr. Theodor Uden, Kinder- und Jugendmediziner und Vorstandsmitglied des Hartmannbundes: Zwar ist die Pädiatrie besonders kritisch von Personalmangel und Zeitdruck betroffen, denn der medizinische und pflegerische Aufwand junger Patienten ist noch weniger steuerbar als bei Erwachsenen, sagt Uden. Es dürfe aber nicht übersehen werden, dass die ursächlichen systemischen Fehler auch alle anderen Fachbereiche beträfen, betont Uden in einer Pressemitteilung des Hartmannbundes.
„Wenn 60% der Befragten angeben, die Situation habe sich in den letzten 5 Jahren verschlechtert, so dokumentiert das den dringlichen Handlungsbedarf und macht deutlich, warum eine Krankenhausreform längst überfällig ist – strukturell und finanziell“, sagt Udden, Kinder- und Jugendarzt an der Medizinischen Hochschule in Hannover.
Denn Personalmangel, ökonomischer Druck und ungesicherte Investionskosten-Finanzierung betreffen nicht nur die Pädiatrie. Eine Umfrage des Hartmannbundes unter 1.258 Assistenzärzten hatte 2021 gezeigt, wie schwierig die Arbeitsverhältnisse sind: Über 70% der Befragten gaben an, trotz Tarifvertrages mindestens 45 Wochenstunden oder mehr zu arbeiten, bei fast jedem Zweiten werden die Überstunden nicht angemessen dokumentiert.
Die hohe Arbeitsbelastung hat zur Folge, dass 36% der Befragten über einen Berufswechsel nachdenken und 56% sich eine Teilzeitstelle wünschen – um auf eine normale 40- bzw. 42-Stundenwoche zu kommen. Zahlen und Umfragen für andere Fachbereiche hat der Hartmannbund allerdings nicht vorliegen, auch sind „aktuell keine weiteren Umfragen für andere Fachbereiche geplant“, sagt Gitta Dietrich vom Referat Verbandskommunikation beim Hartmannbund auf Nachfrage.
Ökonomischer Druck muss aus dem System
Uden verweist auf die negativen Folgen der DRGs: „Wenn man möchte, dass Ärztinnen und Ärzte und Pflegepersonal sich konzentriert um die Patientinnen und Patienten kümmern können, muss der ökonomische Druck aus dem System“. Dazu brauche es eine – zumindest teilweise – Fallzahl-unabhängige Vorhaltevergütung, die auch die Personalkosten enthalte und eine zusätzliche Komponente, die unterschiedliche Komplexitätsgrade der Patienten abbilde.
Der in fast allen Fällen personalbedingte Bettenmangel ziehe eine massive Arbeitsverdichtung nach sich, da dennoch die gleiche Anzahl an Patienten zu behandeln ist, verdeutlicht Uden. Dies führe auch dazu, dass die Arbeitsbelastung nicht nur physisch, sondern auch psychisch steige – was im Worst Case auch Kranke gefährden kann. „Bei der aktuellen Betrachtung sind die saisonalen Infektwellen noch gar nicht berücksichtigt. Genügend Personal auch dafür vorzuhalten, ist eine dringend zu lösende Aufgabe.“
Wunsch nach Delegation und besseren Arbeitsabläufen
Uden hält eine bessere Lenkung der Patientenwege für notwendig, um stationäre Kapazitäten effizient einsetzen zu können, und mahnt eine sinnvolle Digitalisierung der internen, externen und sektorübergreifenden Dokumentations- und Behandlungsprozesse an, die Ärzten und Pflegepersonal Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben schaffe.
Wir haben in Deutschland ein Problem damit, die Lebensrealität von Kindern wirklich wertzuschätzen. Prof. Dr. Christoph Klein
Dass die Investitionskosten-Finanzierung der Kliniken derzeit nicht ausreichend gesichert ist, ist, so Uden, „völlig inakzeptabel“ und zwingt Kliniken immer wieder zu Querfinanzierungen auch zu Lasten des Personals. „Die verbleibenden Mitarbeiter werden überbeansprucht, da eine Patientenversorgung nicht aufgeschoben werden kann sowie mit dem eigenen Berufsbild auch nicht vereinbar ist, und denken immer häufiger ans Aufhören“, berichtet Uden.
„Alles, was man takten kann, standardisieren kann, was personalarm und technikintensiv ist – das wird im deutschen Gesundheitswesen belohnt. Gute Medizin für kranke Kinder ist genau das Gegenteil davon“, erklärt Prof. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunersches Kinderspital München. Er fügt hinzu: „Wir haben in Deutschland ein Problem damit, die Lebensrealität von Kindern wirklich wertzuschätzen.“
Kindermedizin ist nicht wirtschaftlich, und die Ökonomie spielt im aktuellen Gesundheitssystem einfach eine sehr große Rolle. Prof. Dr. Gesine Hansen
Kinder stünden im deutschen Gesundheitssystem auf den letzten Rängen, konstatiert auch Prof. Dr. Gesine Hansen, Direktorin der Klinik für Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Neonatologie der Medizinische Hochschule Hannover: „Kindermedizin ist nicht wirtschaftlich, und die Ökonomie spielt im aktuellen Gesundheitssystem einfach eine sehr große Rolle.“ Um Kinder und Jugendliche wieder angemessen versorgen zu können, sind – so Klein und Hansen – grundlegende Änderungen nötig.
Prof. Dr. Jutta Gärtner, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Göttingen, betont, dass die Zusatzfinanzierung von 300 Millionen Euro für die Pädiatrie „nicht ausreicht, um Strukturen zu verbessern. Um die Kindermedizin langfristig zu verbessern, bedarf es wirklich der Krankenhausstrukturreform.“
Wie eine bessere stationäre Pädiatrie aussehen könnte – dazu liefern die Umfrageergebnisse konkrete Anregungen. An oberster Stelle steht laut Uden der Wunsch nach mehr nicht-pflegerischem bzw. nicht-ärztlichem Personal zur Delegation. Bessere Arbeitsabläufe, eine bessere Vergütung und mehr Möglichkeiten, die Arbeitszeit flexibel zu gestalten bzw. Teilzeit zu arbeiten stehen ebenfalls ganz oben auf der Wunschliste.
Häufig genannt wird eine solide Finanzierung – im speziellen Fall – für die Pädiatrie unter der Berücksichtigung des größeren Aufwands für die kleinen Patienten und eine bessere Ausstattung mit Pflegekräften, die auf Kinderheilkunde spezialisiert sind.
Dieser Beitrag ist im Original erschienen auf Medscape.de.