18. Januar 2021
Reanimation beim Neugeborenen
Was sagen die neuen Leitlinien?
In den für 2021 geplanten, neuen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Reanimation (ERC) zeichnen sich bei der Wiederbelebung von Säuglingen und Neugeborenen einige Änderungen ab. Manche davon sind durchaus auch umstritten.1
Lesedauer: 3,5 Minuten
Der folgende Beitrag basiert auf dem Vortrag von Manuela Scharf, der im Rahmen des Kongresses der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (02.-04.12.2020) vorgestellt wurde. 1 Redaktion: Dr. med. Horst Gross, Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin.
Gar nicht so selten
Reanimationen bei Neugeborenen, meist respiratorisch bedingt, sind häufiger als landläufig vermutet. Bei etwa 5 % der Kinder muss nachgeburtlich die Atmung durch CPAP per Maske stabilisiert werden. Bis zu 2 % werden intubationspflichtig, gibt Frau Dr. Manuela Scharf (DIAKONEO – Cnopfsche Kinderklinik, Nürnberg) zu bedenken. Sie verweist auch auf Befunde aus ihrer eigenen Klinik: Bei 2393 Geburten war in acht Fällen eine Reanimation des Neugeborenen notwendig.
Abnabelung
Zu den prophylaktischen Maßnahmen gehört das möglichst optimierte Abnabeln des Kindes. Bei unkomplizierten Verläufen und ,,gesunden” Kindern sollte die Abnabelung nach einer Minute erfolgen. Bedingung ist eine adäquate Belüftung der Lunge. Typisch in dieser Situation ist eine passagere Bradykardie, da sich das Blutvolumen (Nabelschnurverlust) umverteilt. Bei Frühgeburten nach der 28. Schwangerschaftswoche empfehlen die Leitlinien in spe die Nabelschnur auszustreichen, um die enthaltenen ca. 25 ml Blutvolumen für die Zirkulation bereitzustellen. Empirisch gesichert ist, dass sich hierdurch der potenzielle Katecholaminverbrauch verringert und der Hb des Kindes steigt. Auf den Mortalitätsverlauf hat dieses Manöver allerdings keinen Einfluss.
Mekonium
Bei mekoniumhaltigem Fruchtwasser sehen die geplanten Leitlinien kein routinemäßiges Absaugen mehr vor, wenn die Kinder ohne sonstige Risiken sind. Auch die prophylaktische Intubation wird nicht empfohlen. Beide Maßnahmen sind ungünstig, da sie den spontanen Beatmungsbeginn des Kindes verzögern. Abgesaugt werden sollte nur bei einer erkennbaren Obstruktion der Atemwege. Empirisch hat sich auch gezeigt, dass die routinemäßige, laryngoskopische Inspektion des Rachenraums in dieser Situation keine Vorteile bringt.
Maskenbeatmung
Ist nach der Geburt eine Maskenbeatmung notwendig, dann sehen die neuen Leitlinien ein differenziertes Prozedere vor. Die ersten fünf Beatmungszüge sollten mit relativ hohem Druck appliziert und für 2–3 Sekunden gehalten werden. Der inspiratorische Druck (PIP) sollte beim reifen Kind 30 cm Wassersäule, beim Frühgeborenen 25 cm Wassersäule betragen. Die vorherige Empfehlung (20-25 cm Wassersäule) wurde verlassen. Der höhere Druck führt zu einer besseren Rekrutierung verschlossener Lungenareale.
Larynxmaske
Für den Einsatz der Larynxmaske sehen die Leitlinien nun einen unteren Grenzwert von 1,5 kg Körpergewicht vor. Eingesetzt werden sollte die Larynxmaske bei frustraner Maskenbeatmung und wenn die Intubation nicht gelingt. Die Anwendung der Larynxmasken sieht zwar theoretisch einfach aus, muss aber ebenfalls trainiert werden, gibt Frau Dr. Scharf zu bedenken. Nachteilig ist die Larynxmaske auch, weil hierüber keine intratracheale Medikamentengabe erfolgen kann. Ein Applikationsweg, der weiter als Notfallmaßnahme empfohlen wird.
Sauerstoffgabe
Bei reifen und gesunden Kindern wird die routinemäßige Sauerstoffapplikation, auch bei Maskenbeatmung, nicht empfohlen. Für ältere Frühchen dagegen sehen die Leitlinien eine Sauerstoffapplikation im Bereich 21–30 % vor. Neu ist, dass bei Frühchen vor der 28. Schwangerschaftswoche der inspiratorische Sauerstoffanteil prinzipiell auf 30 % erhöht werden soll. In der 5. Minute nach Entbindung wird eine Sauerstoffsättigung von mindestens 85 % (gesunde, termingerechte Kinder) angestrebt.
Bei Frühgeburten (< 32. Schwangerschaftswoche) liegt dieser Grenzwert bei 80 % in Kombination mit einer Herzfrequenz über 100 pro Minute. Empirisch zeigt sich, dass bei reifen Kindern eine zu hohe Sauerstoffkonzentration die Initiierung der Spontanatmung verzögert. Frühgeburten dagegen reagieren auf höhere Sauerstoffkonzentrationen mit einem schnelleren Einsetzen der Spontanatmung.
Reanimationsmaßnahmen
Auch bei korrekter Beatmung gilt ein Abfall der Herzfrequenz unter 60/min weiterhin als Indikation zur Herzdruckmassage. Dem intravenösen Zugang (Nabelvene) wird, gegenüber dem Intraossären, der Vorzug gegeben. Erst nach einer Frist von zwei Minuten frustraner Punktionsversuche soll der intraossäre Zugang etabliert werden. Eine Regelung, die in der anschließenden Diskussion heftig kritisiert wurde. Schließlich sei der intraossäre Zugang bereits ein etabliertes Verfahren und ein sicherer Zugangsweg, was empirisch belegt sei.
Die Gabe von intratrachealem Adrenalin bei fehlendem venösen Zugang wird weiter in einer Dosis von 50-100 µg/kg (3-5 Minuten Repetitionsintervall) empfohlen. Gelingt der venöse Zugang, kann die tracheale Repetitionspause ignoriert werden und sofort mit einem neuen Injektionszyklus begonnen werden. Allerdings mit einer reduzierten Dosis von 30–50 µg/kg. Kompressionstechnik und Beatmungsfrequenz bleiben im neuen Entwurf unverändert (Neugeborenes 3:1)2.
Glukosebolus
Neu in die Leitlinie aufgenommen ist die repetitive Gabe von Glucose während einer prolongierten Reanimation. Grund für diese Ergänzung ist die Erkenntnis, dass sich beim Säugling die endogenen Glukosespeicher schnell erschöpfen. Es resultiert eine gefährliche Hypoglykämie. Um neurologischen Spätschäden vorzubeugen, wird deshalb die prophylaktische Gabe von Glukose, zum Beispiel 2,5 ml/kg KG einer 10 %-igen Glukoselösung, empfohlen.
- 20. Kongress der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V., Seminar: Reanimation von Säuglingen und Kindern – Ursachen und Besonderheiten, Neugeborenen-Reanimation – ein Ausblick auf die neuen Leitlinien, Manuela Scharf (Nürnberg)
- PAEDIATRIC LIFE SUPPORT; European Resuscitation Council; 12.01.2021.
Bildquelle: © GettyImages/Jana Richter
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