Pflaster gegen Erdnussallergie bei Kleinkindern
In einer Phase-3-Studie mit kleinen Kindern mit Erdnussallergie hat sich die epikutane Immuntherapie im Vergleich zu einer Scheinbehandlung als klinisch wirksam erwiesen. Die Pflaster waren gut verträglich, schwere Nebenwirkungen traten nur selten auf - doch laut Expertinnen und Experten sind noch einige Fragen offen. 1-5
Lesedauer: ca. 5 Minuten

Quelle: Science Media Center | Redaktion: Dr. Nina Mörsch
Gut 4 % aller Säuglinge in Deutschland sind von einer Nahrungsmittelallergie betroffen, die unbehandelt dauerhaft bestehen kann. Mitunter kommt es nach dem Verzehr bestimmter Lebensmittel zu teils lebensbedrohlichen allergischen Reaktionen (Anaphylaxie). Der häufigste Auslöser dafür sind Erdnüsse.2 Von allen getesteten Kindern weist jedes zehnte einen positiven Bluttest gegen Erdnüsse auf.3 Gegen die Allergie ist derzeit lediglich eine orale Immuntherapie zwischen 4 und 17 Jahren zugelassen. 4
Ein internationales Team aus Forschenden präsentiert im renommierten Fachblatt „The New England Journal of Medicine“ nun Ergebnisse einer klinischen Phase-III-Studie zur Behandlung von Kindern im Alter von einem bis drei Jahren mit einem Erdnusspflaster.
Diese epikutane Immuntherapie, bei der geringe Dosen des Allergens über die Haut aufgenommen werden, war der Studie zufolge gegenüber einem Placebo überlegen.
Der primäre „Wirksamkeitsendpunkt“ wurde bei 67 Prozent der Kinder in der Interventionsgruppe im Vergleich zu 33,5 Prozent in der Placebogruppe beobachtet. Die Kinder sprachen laut Studiendefinition auf die Therapie an, wenn die eine Immunreaktion auslösende Allergendosis zu Beginn der Studie deutlich niedriger war als nach zwölf Monaten Behandlung (10 beziehungsweise bis zu 3444 mg Erdnussprotein). Die tägliche Therapiedosis der Pflaster lag bei 250 µg Erdnussprotein, was ungefähr einem Tausendstel einer Erdnuss entspricht.
Ziel dieser Desensibilisierung ist es, das Immunsystem schrittweise mit geringen Dosen an das Allergen zu gewöhnen und eine Toleranz dagegen zu entwickeln. Bei Kindern im Alter von vier bis elf Jahren wurde die epikutane Therapie gegen eine Erdnussallergie ebenfalls erprobt.5
Kaum schwere Nebenwirkungen
Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, die auf die jeweilige Behandlung zurückzuführen waren, traten in der aktuellen Studie nur bei einem Kind (0,4 Prozent) in der Interventionsgruppe auf. In der Placebogruppe war kein Kind betroffen. Eine aus der Therapie resultierende Anaphylaxie zeigte sich bei vier (1,6 %) Kindern beziehungsweise keinem in der Placebogruppe.
Hautreaktionen waren in der Placebogruppe ebenfalls seltener. Dass der echte Wirkstoff bei klinischen Studien eine stärkere Immunreaktion auslöst, ist meist zu erwarten. Unbekannt ist bisher, wie lange die Desensibilisierung mit dem Erdnusspflaster für den bestmöglichen Erfolg tatsächlich dauern muss. In der Studie war der Endzeitpunkt auf ein Jahr festgelegt.
Experten-Statements
Prof. Dr. Randolf Brehler,
Oberarzt der Klinik für Hautkrankheiten, Allergologisches Studienzentrum, Universitätsklinikum Münster
Oberarzt der Klinik für Hautkrankheiten, Allergologisches Studienzentrum, Universitätsklinikum Münster
„Die epikutane Immuntherapie (EPIT) mit Erdnussallergen ist schon länger in der Diskussion, dazu sind in der Vergangenheit schon Studien veröffentlicht worden. Die jetzige Studie zeigt, dass die Behandlung bei Kindern im Alter von einem bis drei Jahren durchaus klinische Erfolge zeigt, Kinder vertragen nach EPIT mehr Erdnussallergen als vorher. Die insgesamt vertragene Menge ist allerdings relativ klein und unter der Therapie sind durchaus Nebenwirkungen aufgetreten.“
„Zugelassen ist aktuell eine orale Immuntherapie mit Erdnuss (OIT), mit der ebenfalls erreicht wird, dass die Menge an Erdnuss, die vertragen wird, steigt. Bislang ist aber kein dauerhafter Effekt der oralen Immuntherapie gezeigt worden, dies könnte ein Unterschied zur ansonsten üblichen subkutanen oder sublingual Immuntherapie sein (die mit Erdnuss bislang aber nicht möglich ist). Wie lange die OIT tatsächlich durchgeführt werden muss, ist noch nicht klar. Kinder müssen unter der Therapie ihre Diät weiter (genauso wie vorher) durchführen.“
„Bei Betrachtung der Ergebnisse der EPIT wird auch unter dieser Therapie die Diät vermutlich fortgeführt werden müssen, auch hier ist unklar wie lang die Therapie durchgeführt werden muss. Abgewartet werden muss ein genauer Vergleich der Nebenwirkungen dieser beiden Therapieformen. Unter den Pflastern der EPIT treten häufig Hautreizungen auf, zumindest in der Vergangenheit war ein Problem, das die Pflaster nicht immer gut auf der Haut gehalten haben.“
„Damit handelt sich insgesamt um eine interessante und wichtige Studie. Es ist damit zu rechnen, dass auch die epikutane Immuntherapie mit Erdnussallergen zugelassen werden wird. Wichtig wird ein Vergleich der Ergebnisse der Therapiemöglichkeiten sein.“
Prof. Dr. Kirsten Beyer
Leiterin des Kinderallergologischen Studienzentrums, Klinik für Pädiatrie m.S. Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Leiterin des Kinderallergologischen Studienzentrums, Klinik für Pädiatrie m.S. Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin
„In der aktuellen Studie wird eine epikutane Immuntherapie für Kinder im Alter von ein bis drei Jahren vorgestellt. Es gibt zwar keine direkte Vergleichsstudie, aber insgesamt hat man den Eindruck, dass die OIT ein bisschen wirksamer zu sein scheint, aber auch etwas mehr Nebenwirkungen hat als die EPIT.
Zum Beispiel brechen ungefähr zehn Prozent der älteren Kinder die OIT ab, vor allem aufgrund gastrointestinaler Beschwerden. Bei der EPIT kommt es bei nahezu allen Patienten zu Lokalreaktionen im Bereich des Patchs, aber bei vier Kindern in der Studie, also 1,6 Prozent der Patienten, die die Erdnuss-EPIT bekommen haben, sind auch behandlungsbedingte anaphylaktische Reaktionen aufgetreten.“
„Beim Vergleich der Wirksamkeit zwischen OIT und EPIT muss man aber ein bisschen aufpassen: Bei der oralen Therapie isst der Patient jeden Tag seine Erdnuss – zwar in Form von standardisiertem Erdnusspulver, aber er isst sie – und wir können sehen, wie er darauf reagiert, also wie er die Erdnuss verträgt. Bei einem Pflaster, das täglich aufgeklebt wird, weiß ich letztlich nicht, was passiert, wenn der Patient tatsächlich eine Erdnuss essen würde. In anderen Studien zur EPIT bei älteren Kindern wurde zum Beispiel gezeigt, dass einige Kinder nach einem Jahr mehr Erdnuss vertrugen als nach drei Jahren Therapie.“
„Weitere Einschränkung: Der Wirksamkeitsendpunkt von einem Jahr sagt natürlich erst einmal gar nichts darüber aus, wie lange eine Immuntherapie durchgeführt werden muss. Das gilt für die OIT und die EPIT. Wir müssen uns also fragen, wie lange das Pflaster kleben bleiben soll. Ein Jahr? Ein Leben lang? Bei der OIT können wir die Patienten gegebenenfalls nach einigen Jahren auf echte Erdnüsse umstellen. Was machen wir bei der EPIT? Solche Fragen stellen dann natürlich vor allem die Zulassungsbehörden beziehungsweise hierzulande auch der Gemeinsame Bundesausschuss, der dann darüber entscheiden muss, ob diese Therapie Kassenleistung wird.“
„Das medizinische Interesse für weitere Therapien gegen die Erdnussallergie ist auf jeden Fall da. Im Vergleich zu anderen Allergien sehen wir bei der Erdnussallergie – aber auch bei Allergien gegen Schalenfrüchte wie Haselnuss oder Cashew – einen steigenden Trend. Und sie ,verwächst‘ sich nur selten. Wir gehen zurzeit auch davon aus, dass je früher die Therapie beginnt, desto vielversprechender scheint sie zu sein. Wobei es hier in erster Linie nicht um eine ,Heilung‘ geht, sondern um eine Desensibilisierung. Wir wollen also den Schwellenwert erhöhen, das heißt die Menge, die der allergische Patient verträgt, sodass Betroffene problemlos andere Nahrungsmittel essen können, die womöglich durch Erdnüsse kontaminiert wurden. Wirklich Erdnüsse essen wollen die meisten Erdnussallergiker sowieso nicht.“
„Noch erstrebenswerter als die orale oder die epikutane Immuntherapie mit nur einem Allergen wäre natürlich ein multisystemischer Ansatz, zum Beispiel eine Multi-Erdnuss/Nuss-OIT oder -EPIT, eine Anti-IgE-Therapie oder auch die Kombination hiervon, denn viele Kinder mit Erdnussallergie haben nicht nur eine Nahrungsmittelallergie.“
„Insgesamt kann man sagen, dass wir froh über jede weitere Therapieoption sind, sodass wir unseren Patienten eine individualisierte Therapie anbieten können.“
Interessenskonflikte: Prof. Dr. Kirsten Beyer hat Honorare und Forschungsgelder von verschiedenen Firmen erhalten, die Therapien für die Erdnussallergie entwickeln, unter anderem von DBV, die die aktuelle Studie durchgeführt haben.
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