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Pädiatrie kompakt

08. Juli 2022
Dicke Kinder und Autoimmunerkrankungen

Juvenile Adipositas geht mit einem erhöhten Risiko für Typ-1-Diabetes einher

Nach neueren Untersuchungen ist eine juvenile Adipositas mit einem erhöhten Risiko für den Ausbruch eines Typ-1-Diabetes im Erwachsenenalter verbunden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie an israelischen Rekruten, die über ein Jahrzehnt lang begleitet wurden.1,2

Lesedauer: ca. 5 Minuten

Maßband Bauchumfang

Autorin: Miriam E. Tucker | Redaktion: Sebastian Schmidt

Die Adipositas könnte, so die Studie, nicht nur beim Typ-2-, sondern auch beim Typ-1-Diabetes eine ursächliche Rolle spielen. Die Inzidenz des Typ-1-Diabetes hat in den letzten Jahrzehnten jährlich um etwa 2% bis 3% zugenommen. Die Gründe dafür sind unklar. In dieser Studie wird erstmals die Rolle der juvenilen Adipositas bei der Entwicklung eines Typ-1-Diabetes im jungen Erwachsenenalter untersucht. Sie ist zugleich auch die erste, welche der Frage der Verwendung des Antikörperstatus als Teil der Kriterien für eine Typ-1-Diagnose nachgeht.

Prof. Dr. Gilad Twig, Professor am Sheba Medical Center im israelischen Tel HaShomer, stellte die Ergebnisse auf dem 82. Jahreskongress der American Diabetes Association (ADA) vor 1. „Für Personen mit einem hohen Typ-1-Risiko unterstreichen diese Ergebnisse, wie wichtig es ist, ein normales Gewicht zu halten“, sagte er in einem Interview und wies darauf hin, dass diese Empfehlung zwar für alle Menschen gelte, „doch hier wird sie für die Menschen in dem Sinn konkreter, dass ihnen dies speziell und individuell helfen könnte.“

Prof. Dr. Naveed Sattar forscht an der Universität Glasgow über kardiovaskuläre Erkrankungen. Er erklärte in einem Interview, dass ein zu hohes Gewicht die Bauchspeicheldrüse härter für die Insulinproduktion arbeiten lässt, um den Blutzucker normal zu halten. „Wenn man also das System belastet und die Bauchspeicheldrüse bereits versagt, wird sie noch schneller versagen.“

„Der Lebensstil spielt für das Erkrankungsrisiko eines Typ-1-Diabetes eine Rolle. Die Gewichtung kann anders sein als beim Typ 2. Der Hauptfaktor beim Typ 1 ist immer noch die Genetik, aber wenn man eine für den Typ 1 positive Familienanamnese hat und das persönliche genetische Potenzial für die Erkrankung erhöht ist, lässt sich das Risiko minimieren, indem man schlank bleibt“, so Sattar weiter.

Typ-1-Diabetes nicht immer „juvenil“

Die Daten widerlegen nicht nur die lange Zeit vorherrschende Meinung, wonach der Typ-1-Diabetes in erster Linie eine Erkrankung dünner Menschen sei und nichts mit Übergewicht zu tun habe, sondern sie untermauern auch die sich zunehmend abzeichnende Erkenntnis, dass der Typ-1-Diabetes nicht immer „juvenil“ ist und häufig erst im Erwachsenenalter auftritt.

„Etwa die Hälfte aller Fälle von Typ-1-Diabetes entwickelt sich nach dem 18. Lebensjahr. Manche Menschen halten ihn für eine Art Kinderkrankheit. Aber die Fallzahlen steigen, und heute sehen wir 50% der Fälle nach der späten Adoleszenz“, so Twig.

Sattar verwies auf eine Studie mit Daten der „UK Biobank“, nach der ebenfalls beinahe 50% aller Typ-1-Fälle nach dem 30. Lebensjahr diagnostiziert werden. „Man kann durchaus im Erwachsenenalter an einem Typ-1-Diabetes erkranken. Das ist keine Seltenheit.“

Direkte Korrelation bei ansonsten gesunden jungen Menschen

Die retrospektive, landesweite Kohortenstudie umfasste mehr als 1,4 Mio. 17-Jährige (834.050 Männer und 592.312 Frauen), die sich ab Januar 1996 vor der Einberufung zum Militär einer medizinischen Untersuchung unterzogen hatten. Diese wurden dann bis 2016 begleitet. Zu Beginn der Studie wies keiner der Teilnehmer eine Störung des Glukosestoffwechsels auf.

Die Daten wurden mit Informationen zum Typ-1-Diabetes im Erwachsenenalter aus dem israelischen nationalen Diabetesregister verknüpft. Insgesamt wurden während des Studienzeitraums 777 Fälle eines Typ-1-Diabetes registriert (4,9 pro 100.000 Personenjahre).

Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 11,2 Jahre. Es gab eine abgestufte Inzidenz für den Typ-1-Diabetes in den BMI-Gruppen zwischen Untergewicht und Adipositas von 3,6 bis 8,4 Fälle pro 100.000 Personenjahre.

Nach der Adjustierung der Daten – hinsichtlich des Geschlechts, Geburtsjahrs, Alters zu Studienbeginn, der Bildung und des kognitiven Leistungsvermögens – mit dem Body-Mass-Index (BMI) der 5. bis 49. Perzentile als Referenzwert betrugen die Hazard Ratios (HR) :

  • 1,05 für die 50. bis 74. BMI-Perzentile,
  • 1,41 für die 75. bis 84. Perzentile,
  • 1,54 für Übergewichtige und
  • 2,05 für Adipöse.

Jeder BMI-Anstieg um 5 Punkte entsprach einer um 35% höheren Inzidenz des Typ-1-Diabetes (adjustierte HR: 1,35), und auch jeder Anstieg um 1 war mit einem um 35% höheren Risiko (aHR: 1,25) verbunden; beide Werte waren signifikant.

Nach einer Sensitivitätsanalyse waren die Ergebnisse für diejenigen, die zu Beginn der Studie keine anderen chronischen Gesundheitszustände hatten, ähnlich. Die Ergebnisse änderten sich auch nicht nach einer separaten Analyse von 574.720 Personen, bei denen Daten zum Autoantikörperstatus als Bestätigung der Diagnose eines Typ-1-Diabetes vorlagen.

Mögliche Pathomechanismen

Der Pathomechanismus hinter diesem Zusammenhang ist bisher nicht klar. Twig und seine Kollegen formulieren jedoch in einem zeitgleich in Diabetologia veröffentlichten Artikel mehrere Hypothesen 2. Eine davon bezieht sich auf die wachsenden Belege für einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Autoimmunerkrankungen. Dies ließe an die Möglichkeit denken, dass erhöhte Adipokine und Zytokine bei der Adipositas die Selbsttoleranz verringern, indem sie proinflammatorische Prozesse fördern.

Die Autoren weisen dabei auf Daten aus der „TrialNet Pathway to Prevention“-Studie hin. Diese umfasst Angehörige von Personen mit Typ-1-Diabetes. Übergewichtige und adipöse Personen aus dieser Gruppe hatten ein erhöhtes Risiko für die Expression von Inselautoantikörpern. Allerdings wurde dieses Ergebnis nicht von allen Daten bestätigt.

„Es gibt einen Zusammenhang zwischen einer Adipositas und verschiedenen Autoimmunerkrankungen. Es ist also nicht völlig überraschend, dass auch eine Verbindung zum Typ-1-Diabetes bestehen könnte“, so Twig.

Andere mögliche Ursachen seien ein Vitamin-D-Mangel, fettreiche Kost und Veränderungen der Darmflora.

Und dann gibt es noch die sogenannte Beschleuniger-Hypothese: Nach dieser seien sowohl der Typ-1- als auch der Typ-2-Diabetes auf eine Insulinresistenz mit einer genetischen Basis zurückzuführen. Dies wirke sich auf die Geschwindigkeit des Betazellverlusts und den Phänotyp der Krankheit aus. Für Sattar ergibt diese Hypothese „absolut Sinn. Weil die Bevölkerung so fettleibig ist, sehen wir es jetzt häufiger, während wir es vor 40 Jahren, als die BMI-Unterschiede in der Gesellschaft viel geringer waren, vielleicht nicht sehen konnten.“

Dieser Beitrag ist im Original auf Medscape.com erschienen.

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