Titelbild von Onkologie kompakt
Logo von Onkologie kompakt

Onkologie kompakt

20. Nov. 2023

Onkolytische Viren: Tumore wieder angreifbar machen

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Krebsforschung der letzten zwei Jahrzehnte ist, dass Tumore einen Schutz gegen das Immunsystem aufbauen können. Eine neue Studie hat einen Weg gefunden, diesen Schutzschild zu durchbrechen, um die Krebsbehandlung zu verbessern, indem ein Virus genutzt wird, das gezielt Krebszellen infizieren kann.1

Lesedauer: ca. 5 Minuten

Injektion in Tumorzelle
Wenn die Injektion in den Tumor so einfach wäre (Getty Images / Science Photo Library )

Autor: Christoph Renninger

Onkolytische Viren in der Therapie angekommen

Onkolytische Viren vermehren sie sich im Inneren von Tumorzellen und zerstören diese, indem sie sie aufbrechen und das Zellinnere dem Immunsystem preisgeben. Die Viren zerstören nicht nur auf natürliche Weise den Tumor, sondern sie können auch so modifiziert werden, dass sie andere Gene direkt in die Krebszellen einschleusen, welche die Behandlung zur Tumorzerstörung verbessern.

Ein onkolytisches Virus, eine Therapie namens T-VEC, wurde bereits 2015 von der Food and Drug Administration (FDA) für die Behandlung des metastasierten Melanoms zugelassen.2 Onkolytische Virustherapien für weitere Krebsarten sind momentan noch nicht zugelassen, mehrere werden jedoch in klinischen Studien getestet.

Modifizierung und Verbesserung

In der neuen Studie haben Dr. Greg Delgoffe von der University of Pittsburgh und seine Kollegen ein modifiziertes onkolytisches Virus entwickelt, das die genetischen Anweisungen für eine wirksame Krebsbehandlung direkt in die Krebszellen transportieren kann.

Diese Informationen veranlassen die Zelle, ein Protein zu produzieren, das die Aktivität von TGF-beta blockiert, das dazu beiträgt, Krebszellen davor zu schützen, vom Immunsystem angegriffen zu werden (Abb.1).

Onkolyse durch modifizierte Viren
Abb. 1 Modifizierte onkolytische Viren infizieren gezielt Tumorzellen und blockieren TGF-beta sowie regulatorische T-Zellen (Treg). Dadurch können T-Zellen den Tumor attackieren. (DePeaux K et al. J Exp Med 2023; 220(10): e20230053. )
Onkolyse durch modifizierte Viren
Abb. 1 Modifizierte onkolytische Viren infizieren gezielt Tumorzellen und blockieren TGF-beta sowie regulatorische T-Zellen (Treg). Dadurch können T-Zellen den Tumor attackieren. (DePeaux K et al. J Exp Med 2023; 220(10): e20230053. )

Bei Mäusen mit Kopf- und Halstumoren ließ die Behandlung mit dem modifizierten Virus die Tumore schrumpfen, die durch das nicht modifizierte onkolytische Virus nicht beeinträchtigt werden konnten, so die im Journal of Experimental Medicine veröffentlichten Ergebnisse.3

Die Forschenden fanden außerdem heraus, dass die Kombination der Behandlung mit dem modifizierten onkolytischen Virus mit einer anderen Art von Immuntherapie noch wirksamer war als die Behandlung mit dem onkolytischen Virus allein.

Weniger Nebenwirkung durch onkolytische Viren

Die neue Studie zeigt nicht nur das Potenzial der Verwendung eines Virus zur Verabreichung von Medikamenten", so Dr. James Gulley, Co-Direktor des NCI-Zentrums für Immuno-Onkologie, sondern ist auch ein weiteres Puzzlestück, das die Bedeutung von TGF-beta bei der Unterdrückung der Immunantwort gegen Krebs zeigt.

Viele experimentelle Medikamente blockieren TGF-beta, so Dr. Gulley weiter, aber sie verursachen oft schwerwiegende Nebenwirkungen, weil sie auch gesunde Zellen beeinträchtigen. Das in dieser Studie entwickelte onkolytische Virus "ist interessant", sagte er, weil es TGF-beta nur in Tumorzellen blockiert, was die Nebenwirkungen der Behandlung verringern könnte.

Herausforderungen bei der Anwendung

Seit langem kennt die Forschung Viren, die Krebszellen infizieren und abtöten können, ohne gesundes Gewebe zu schädigen. Obwohl diese onkolytischen Viren sicher zu sein scheinen und viele von ihnen in klinischen Versuchen eine vielversprechende Wirkung gegen Krebs gezeigt haben, haben einige logistische Herausforderungen ihren weit verbreiteten Einsatz als Krebstherapie verhindert.

Eine Herausforderung ist die Notwendigkeit, onkolytische Viren direkt in den Tumor zu injizieren, damit das Immunsystem das Virus nicht eliminiert, bevor es die Krebszellen infizieren kann. Darüber hinaus sind spezielle Ressourcen erforderlich, um diese Viren sicher zu lagern und zu verabreichen.

Vollkommen neuer Ansatz

Einige onkolytische Viren wurden so konzipiert, dass sie die Fähigkeit von Immunzellen, Krebs zu bekämpfen, verbessern. In dieser neuen Studie verfolgte das Team von Dr. Delgoffe den umgekehrten Ansatz: Sie entwickelten ein onkolytisches Virus mit einer Nutzlast, die die Signale blockiert, mit denen Tumorzellen Immunzellen davon abhalten, sie anzugreifen.  "Dieser Ansatz ist völlig neu auf dem Gebiet", sagte er.

Das Team versuchte zunächst, die stärksten immununterdrückenden Signale im Tumor zu identifizieren. Dazu nutzten sie ein Mausmodell für Kopf- und Halskrebs, das gegen einige Formen der Immuntherapie resistent war. Eine Reihe von Experimenten mit einem unveränderten onkolytischen Virus wies auf TGF-beta als entscheidende Quelle für diese Resistenz hin.

Bekanntes Protein wird blockiert

Dieses Ergebnis war nicht unbedingt überraschend. Viele andere Studien haben gezeigt, dass TGF-beta Krebs begünstigt. Und Forscher versuchen schon seit Jahrzehnten, Medikamente zu finden, die die Aktivität von TGF-beta in Tumoren blockieren.

Da das Protein auch eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung normaler Zellfunktionen spielt, haben die Forscher nach Möglichkeiten gesucht, TGF-beta nur in Krebszellen zu bekämpfen, sagte Dr. Delgoffe.

Zu diesem Zweck schloss sich Dr. Delgoffe mit Dr. Andrew Hinck, einem Strukturbiologen der Universität Pittsburgh, zusammen, der ein Protein entwickelt hatte, das die TGF-beta-Aktivität blockieren kann. Sie fügten den genetischen Code für das TGF-beta-blockierende Protein in ein onkolytisches Virus ein, um es gezielt in Tumorzellen einzuschleusen.

Anschließend injizierte das Team das modifizierte onkolytische Virus direkt in die Tumore von Mäusen mit onkolytischem Virus-resistentem Kopf- und Halskrebs. Im Laufe von etwa zwei Monaten schrumpften die Tumore und verschwanden bei etwa der Hälfte der Mäuse vollständig. Darüber hinaus schien die Behandlung keine offensichtlichen Nebenwirkungen zu haben.

Dieser letzte Befund ist ermutigend, da experimentelle Therapien, die auf TGF-beta in allen Zellen des Körpers abzielen, in früheren klinischen Versuchen besorgniserregende Nebenwirkungen hatten, darunter starke Blutungen.

Kombination mit Checkpoint-Inhibitoren

Als Nächstes testete das Team das modifizierte onkolytische Virus an einem anderen, aggressiveren Krebs: einem Mausmodell des Melanoms, das gegen Immuntherapie-Medikamente, sogenannte Immun-Checkpoint-Inhibitoren, resistent ist.

Diese Medikamente, zu denen Nivolumab und Pembrolizumab gehören, sind bereits Standardbehandlungen für Melanome. Obwohl die Medikamente bei einigen Patienten hochwirksam sein können, entwickeln sie häufig Resistenzen.

Nach der Injektion einer einzigen Dosis des modifizierten onkolytischen Virus allein verschwanden die Tumore bei 20 % der Mäuse. Wenn die Mäuse jedoch nach der Behandlung mit dem onkolytischen Virus einen Immun-Checkpoint-Inhibitor erhielten, verschwanden die Tumore bei mehr als zwei Drittel der Mäuse. 

Im Gegensatz dazu starben alle Mäuse, die nur den Checkpoint-Inhibitor oder ein nicht modifiziertes onkolytisches Virus erhielten, innerhalb eines Monats an ihrer Krankheit.

Um das Immunsystem zur Krebsbekämpfung zu nutzen, wie es bei Immun-Checkpoint-Inhibitoren der Fall ist, müssen immunsupprimierende Signale blockiert werden, betonte Dr. Delgoffe. Dieser neue Ansatz mit onkolytischen Viren sei eine Möglichkeit, "das Blatt zu wenden" und "einen resistenten Tumor in einen empfindlichen umzuwandeln", sagte er.

Limitationen überwinden

Ein wichtiger limitierender Faktor bei onkolytischen Viren ist nach wie vor die Notwendigkeit, sie direkt in den Tumor zu injizieren. Die Injektion ist bei Krebserkrankungen der Haut, wie z. B. dem Melanom, relativ einfach, aber bei Tumoren, die tiefer im Körper liegen viel schwieriger.

Um ihre Anwendung auszuweiten, müssen die Forscher also Wege finden, onkolytische Viren herzustellen, die logistisch einfacher an Patienten zu verabreichen sind.

Dr. Delgoffe und sein Team haben ihr modifiziertes onkolytisches Virus für die weitere Entwicklung zu einem klinischen Wirkstoff an ein Biotechnologieunternehmen lizenziert. Er hofft, dass die Behandlung so verändert werden kann, dass sie per Infusion in den Blutkreislauf verabreicht werden kann, so dass sie auch schwer zugängliche Tumore erreicht.

Quellen anzeigen
Impressum anzeigen