Titelbild von Onkologie kompakt
Logo von Onkologie kompakt

Onkologie kompakt

28. Okt. 2021
Journal Club

Tumor-Gehirn? Kognitive und affektive Störungen durch Krebserkrankungen

Auch bei Tumoren außerhalb des ZNS kommt es oftmals zu affektiven Symptomen, wie Angststörungen, Depression oder kognitiven Beeinträchtigungen. Wie aber beeinflussen Tumoren das Gehirn? 1

Lesedauer: ca. 3 Minuten

In-Artikel Bild

Redaktion: Christoph Renninger

Interaktionen auf verschiedenen Ebenen

Auch metabolische Dysfunktionen und Schlafstörungen treten häufig bei einer Krebserkrankung auf und können Gedächtnis- und Stimmungsveränderungen noch verstärken. Lange wurde dies durch Nebenwirkungen einer Krebstherapie erklärt, allerdings zeigen Studien, dass die Symptome auch schon vor einer Behandlung vorhanden sind.

Umgekehrt kann auch das ZNS Einfluss auf den Tumor und seine Progression nehmen, etwa durch direkte oder indirekte Modulation der Tumor-Mikroumgebung über periphere neuronale Aktivität und Neurotransmitter. Die genauen Mechanismen sind jedoch noch unklar.

Es ist jedoch bekannt, dass sich die kognitiven Effekte negativ auf die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten auswirken, die Therapie-Adhärenz verschlechtern und die Überlebensprognose reduzieren.

Eine Reihe von Systemen und Strukturen wurde in Studien untersucht und scheinen eine Rolle bei der Kommunikation zwischen ZNS und Tumor zu spielen:

  • Die Blut-Hirn-Schranke,
  • der Hippocampus,
  • der Hypothalamus,
  • die Area tegmentalis ventralis

Allerdings ist das Wissen, wie Tumoren diese zentralen Hirnfunktionen kritisch beeinflussen noch begrenzt. Gezielt wirksame Neurotherapeutika, die Hirnregionen stimulieren, welche durch Tumorsignale herab reguliert werden, könnten eine Therapieoption und Forschungsziel darstellen. Bereits jetzt zeigt sich, dass nicht-pharmakologische Therapiemethoden, wie Achtsamkeitstraining oder Meditation, bei Brustkrebspatientinnen Entzündungsparameter und Stress reduzieren konnten, und das über die Stimulation der dopaminergen Area tegmentalis ventralis.

Expertenkommentar

Die Fortschritte in der Krebsbehandlung führen zu einer wachsenden Zahl von Krebsüberlebenden, weshalb Fragen der Lebensqualität während und nach der Krebsbehandlung zunehmend an Bedeutung gewonnen haben.

Chemotherapiebedingte kognitive Beeinträchtigungen (Cancer Related Cognitive Impairment, CRCI) sind ein solches Problem der Lebensqualität, über das nach der Verabreichung einer Chemotherapie bei Krebspatienten häufig berichtet wird.

Obwohl Berichte über kognitive Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit einer Chemotherapie bei Patienten mit Krebserkrankungen, die nicht das zentrale Nervensystem betreffen,
bereits seit den 1980er Jahren vorliegen, ist das Phänomen, das gemeinhin auch als „Chemo-Gehirn”, „Chemo-Brain“ oder „Chemo-Nebel” bezeichnet wird, nur wenig bekannt bzw. war bis vor kurzem weitgehend unbekannt.

Lange Zeit wurden deshalb die Bedenken vieler Patienten, die diese Probleme bei ihren Ärzten ansprachen, abgetan. Aber in neuerer Zeit erfährt das Thema zunehmend Beachtung, insbesondere weil in Bezug auf die Lebensqualität auch die mittel- und langfristigen Folgen der Therapie beachtet werden müssen und nur sehr wenige Behandlungsmethoden diesbezüglich völlig harmlos sind.

Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass CRCI noch Monate bis Jahre nach Abschluss der Behandlung bestehen bleiben können, was Auswirkungen auf den Verlauf des kognitiven Alterns bei der wachsenden Zahl von LangzeitKrebsüberlebenden haben könnte.

Die Ursachen für diese kognitiven Beeinträchtigungen sind allerdings noch immer nicht vollständig geklärt. Frühere Forschungen gingen davon aus, dass kognitive Probleme eine Folge der Chemotherapie allein sind. Neuere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Kombination von Chemo- und Hormontherapie oder sogar die Hormontherapie allein kognitive Veränderungen hervorrufen kann.

Zudem scheinen Patienten nicht nur nach einer Chemotherapie, sondern auch nach einer Operation, Bestrahlung und anderen Behandlungen ähnliche Beeinträchtigungen zu erfahren. Ebenso ist bislang unklar, ob die beschriebenen kognitiven und affektiven Störungen ausschließlich Behandlungsfolge oder auch aus direkten bzw. indirekten Effekten der Tumorerkrankung selbst resultieren können.

Jüngste Forschungsarbeiten zielen nun darauf ab, einerseits Faktoren zu ermitteln, die vorhersagen können, welche Patienten nach der Behandlung bzw. auf Grund der
Tumorerkrankung selbst kognitive Beeinträchtigungen entwickeln können, um darauf aufbauend herauszufinden, welche Maßnahme(n) deren Auswirkungen vermindern
oder gar verhindern können.

Zur Studie >>
In-Artikel Bild

Prof. Dr. Hans-Günter Mergenthaler ist Facharzt für Hämatologie und internistische Onkologie. Er war Professor an der Medizinischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und viele Jahre Ärztlicher Direktor der Klinik für Onkologie am Katharinenhospital in Stuttgart. Seit 2014 ist er in einer Privatpraxis für Internistische Onkologie und Hämatologie niederglassen.

Quellen anzeigen
Impressum anzeigen