
Intersektionalität in der Onkologie
Mit gesundheitlicher Gleichstellung ist nicht die gleiche Therapie für alle gemeint. Für eine diverse Medizin eignet sich möglicherweise ein intersektionaler Ansatz, so Prof. Dr. Marie von Lilienfeld-Toal, Bochum, auf der Jahrestagung der DGHO.1
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Autor: Christoph Renninger
Die klassischen Diskriminierungserfahrungen
Der Begriff Intersektionalität bezieht sich auf ein von Kimberlé Crenshaw eingeführtes soziologisches Konzept aus dem Schwarzen Feminismus. Er bezeichnet die Gleichzeitigkeit verschiedener Diskriminierungen, vergleichbar mit einer Straßenkreuzung aus verschiedenen Richtungen (engl. Intersection).
In der Intersektionalitätstheorie wird von drei klassischen Diskriminierungsdimensionen ausgegangen:
- Sozioökonomischer Hintergrund (class),
- Genetischer Hintergrund, Ethnie (race)
- Geschlechtsidentität (Gender).
Zur Veranschaulichung stellte von Lilienfeld-Toal eine Fallvignette einer 69-jährigen Schwarzen Professorin mit einem therapiepflichtigen Multiplen Myelom vor. Die Patienten ist in einem sehr guten klinischen Zustand und hat keine relevanten Begleiterkrankungen.
Einfluss von Klasse, Ethnie und Geschlecht
Auch in Deutschland ist relative Armut mit einer erhöhten Krebsinzidenz assoziiert. Dies zeigte ein Vergleich nach gebietsbasiertem sozioökonomischem Index. Dabei hing der Zusammenhang auch von der Krebsart und dem Geschlecht ab, vor allem Männer sind stärker betroffen.² Der Versichertenstatus hat ebenfalls Einfluss auf die Behandlung. So Patientinnen und Patienten mit Darmkrebs im Stadium IV häufiger eine moderne zielgerichtete Therapie, wenn sie privat versichert waren.3
Hinsichtlich der Ethnie gibt es gerade mit Blick auf das Multiple Myelom Unterschiede. Schwarze Menschen erkranken mindestens doppelt so häufig wie Weiße und das Erkrankungsalter liegt im Durchschnitt ca. 4 Jahre früher. Bei der Behandlung mit modernen Medikamenten haben Schwarze Menschen einen überdurchschnittlich guten Verlauf.4
Beim Blick auf das Geschlecht zeigt sich, dass Frauen bei der Erkrankung im Multiplen Myelom älter sind als Männer und häufiger ein hohes Rückfallrisiko haben. Dennoch ist das Gesamtüberleben vergleichbar. Bei der Therapie haben Frauen häufiger schwerwiegende Nebenwirkungen, insbesondere Mukositis. Aber auch unter Therapie sind die Überlebenskurven vergleichbar mit der von Männern.5
Angesichts dieser Tatsachen stellte von Lilienfeld-Toal die Fragen welche Evidenz für die beschriebene Patientin vorliege, was das Publikum daraus ableite und was das Therapieziel für die Frau sei. Sie betonte aber auch, dass es häufig Evidenzlücken gebe, da Menschen aus marginalisierten Gruppen in klinischen Studien unterrepräsentiert seien.6
Vertrauen, Vorurteile und die Folgen
Eine fehlende Identifikation zwischen Patientinnen und Patienten und der behandelnden Person führt zu geringerem Vertrauen. Dies ist bei Unterschieden bei Alter, Einkommen und Ethnie der Fall. Insbesondere junge, arme Menschen verschoben eine Krebstherapie, was möglicherweise Folgen für den Ausgang hat.7
In der Tat zeigten sich bei der Rate moderner Medikamente beim Multiplen Myelom signifikante Unterscheide sowohl zwischen Schwarzen und Weißen als auch zwischen niedrigem und hohen sozioökonomischen Status.8
Für eine diverse Medizin ist es von Bedeutung zu wissen, welche Faktoren verändert werden können und worüber Ärztinnen und Ärzte Bescheid wissen sollten. Um eine gesundheitliche Gleichstellung zu erreichen ist es zudem wichtig, sich seiner Vorurteile bewusst zu werden und sie abzubauen, so das Fazit von von Lilienfeld-Toal.