Lebensverändernde Gentherapie zugelassen
Nach nur einer einzigen Injektion konnten die Probanden zweier Zulassungsstudien bis zu 3 Jahre auf eine Faktor-IX-Ersatztherapie verzichten. Die jährlichen Blutungsraten gingen um fast zwei Drittel zurück.
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Redaktion: Dr. Silke Fanta
Im September 2022 kam mit Valoctocogen Roxaparvovec (Roctavian®) das erste Gentherapeutikum zur Behandlung der Hämophilie A auf den deutschen Markt – nun folgte ein Gentherapeutikum für die seltene Hämophilie B: Im Februar diesen Jahres ließ die EMA (European Medicines Agency) Etranacogen Dezaparvovec (Hemgenix®) zu.1
Erste Gentherapie bei Hämophilie B: Indikation
Etranacogen Dezaparvovec ist weltweit die erste zugelassene Gentherapie für Erwachsene mit Hämophilie B.1
Hämophilie B tritt selten und fast ausschließlich bei Männern auf (Häufigkeit in der männlichen Bevölkerung: 1 von 20.000–50.000 Personen). Die Leber Betroffener kann selbst den Gerinnungsfaktor IX (FIX) nicht herstellen, da das FIX-Gen defekt ist.
Die Behandlung besteht bis dato in der Substitution des Faktor IX – prophylaktisch und/oder im Bedarfsfall, was lebenslang wiederholt Injektionen notwendig macht.1
Patientenleber kann Faktor IX selbst herstellen: Wirkmechanismus
Das Gentherapie-Arzneimittel Etranacogen Dezaparvovec enthält zahlreiche Kopien einer Genvariante des Faktor-IX-Gens, welches mittels eines AAV-Vektors (vermehrungsunfähiges Adeno-assoziiertes Virus, AAV) in die Leberzellen geschleust wird. Die Leberzellen, in welche das FIX-Gen damit eingebaut wurde, beginnen nun, funktionale Faktor-IX-Proteine herzustellen, die im Falle einer Blutung eine normale Gerinnung ermöglichen.1
Nur 1× Infusion: Anwendung
Empfohlen wird eine einmalige Dosis von 2 × 1013 Genkopien pro Kilogramm (kg) Körpergewicht (KG) (bzw. 2 ml/kg KG). Verabreicht wird die Dosis als intravenöse Infusion, nachdem sie in 0,9 %-NaCl-Infusionsbeuteln gelöst wird (500 ml/Stunde bzw. 8 ml/min).2,3
Bis zu 3 (oder gar 25?) Jahre Ersatztherapie-frei: Studienergebnisse
Die Zulassungsempfehlung stützt sich auf 2 multinationale, einarmige Open-Label-Studien mit insgesamt 57 Patienten mit mäßig schwerer bis schwerer Hämophilie B (FIX ≤ 2 %): eine Phase-IIb-Studie (n = 3) und die Phase-III-Studie HOPE B (n = 54). Die Studien dauern an, bis dato liegen 2- bzw. 3-Jahres-Daten vor.2,3
Die Probanden erhielten eine einmalige Infusion mit Etranacogen Dezaparvovec (2 × 1013 FIX-Genkopien). Im Falle der HOPE-B-Studie ging dieser eine 6-monatige Vergleichsphase unter prophylaktischer FIX-Ersatztherapie voraus, um die jährlichen Blutungsraten direkt vs. Gentherapie vergleichen zu können (Abb. 1):
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- Die Blutungsraten sanken von 4,19 (unter Faktor-IX-Ersatztherapie) auf 1,51 (unter Gentherapie) Blutungen pro Jahr.
- 96 % der Patienten benötigten keine Faktor-IX-Ersatztherapie mehr.
- 6 und 18 Monate nach Beginn der Gentherapie war das FIX-Aktivitätslevel um ≥ 30 Prozentpunkte höher verglichen mit den Ausgangswerten.
- Die positiven Behandlungseffekte und gesteigerten FIX-Aktivitätslevel hielten bei 3 Patienten (Phase-IIb-Studie) bis zu 3 Jahre, bei 54 Patienten bis zu 2 Jahre (HOPE B) nach der Infusion an.
Mittels statistischer Methodik (linear gemischte Modelle nach Bayes und Frequentist) berechneten Forschende, dass Patienten mit Hämophilie B, die Etranacogen Dezaparvovec erhalten, höchstwahrscheinlich dauerhafte Faktor-IX-Aktivitätslevel erreichen und bis zu 25 Jahre ohne Faktor-IX-Erhaltungsprodukte auskommen könnten.4
Leicht und gut kontrollierbar: Nebenwirkungen
Die Mehrzahl der in den klinischen Studien beobachteten Nebenwirkungen wurde als leicht eingestuft:
- Erhöhte Leberwerte (ALT/AST; kann erfolgreich mit Kortikosteroiden behandelt werden).
- Erhöhte Kreatininwerte.
- Weitere häufige und vorübergehende Nebenwirkungen sind Reaktionen an der Einstichstelle, Müdigkeit, Kopfschmerzen und grippeähnliche Symptome.