
Pseudoprogression unter Immuntherapie: Fakt oder Mythos?
Kann es sein, dass Tumore unter einer Immuntherapie zunächst anwachsen, um dann doch auf die Therapie anzusprechen? Über die Pseudoprogression gibt es in der Onkologie eine lebhafte Debatte, welche auch auf der Jahrestagung der DGHO geführt wurde.1
Lesedauer: ca. 2 Minuten

Autor: Christoph Renninger
Pseudoprogression ist real
Die Position, dass die Pseudoprogression real ist, vertrat Dr. Markus Hecht, Saarbrücken, und stellte zunächst den Fall eines 64-jährigen Patienten mit weit fortgeschrittenem Hypopharynxkarzinom vor. Nach der Zweitlinientherapie war es erneut zum Progress gekommen und der Patient wurde in eine Studie mit Pembrolizumab aufgenommen. Nach Beginn der Immuntherapie war der Tumor zunächst weiter progredient, nach zwei Monaten kam es jedoch zum Ansprechen auf die Behandlung und schließlich zur kompletten Remission.
Auch in der CheckMate-141-Studie wurden 62 Patientinnen und Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren auch über einen Progress hinaus weiter mit Nivolumab behandelt. Dabei zeigte sich zumindest für eine Subgruppe ein besseres Gesamtüberleben im Vergleich zur Gruppe, die nach einem Progress kein Nivolumab mehr erhalten hatte.2
Beim Vergleich verschiedener Tumorentitäten zeigte sich, so Hecht, dass ein Pseudoprogress unter Immuntherapie häufiger beobachtet wurde, wenn es sich um immunogene Tumore handelt, wie etwa Melanome oder Nierenzellkarzinome.3
Als möglichen Mechanismus hinter der Pseudoprogression nannte Hecht eine Größenzunahme des Tumors durch Immunzellinfiltrate nach der Induktion. Er plädierte daher auch für eine erneute Bildgebung 4-6 Wochen nach der Therapie nach einem primären Progress. Ein sekundäres Ansprechen bei Fortführung der Immuntherapie ist seiner Ansicht nach in solchen Fällen möglich und sollte daher immer mit in Betracht gezogen werden.
Pseudoprogression ist nur ein Mythos
Die Gegenposition vertrat Dr. Konrad Klinghammer, Berlin. Für ihn gehört die Pseudoprogression in die Märchenbücher, ebenso eine Hyperprogression. In der Realität gebe es die vier Ansprechmuster:
- Stabile Erkrankung
- Anhaltendes Ansprechen
- Vorübergehendes Ansprechen
- Progression
Erstmals wurde eine Pseudoprogression beim fortgeschrittenen Melanom beschrieben, wo es unter Ipilimumab zu einer Größenzunahme der Tumorläsion ohne klinische Verschlechterung gekommen war. Dieser Befund wurde dann auch auf andere Tumorentitäten übertragen.
Auch Klinghammer ging auf die CheckMate-141-Studie ein. Hier seien es 3 von 240 Patientinnen und Patienten (1,3%) gewesen, bei denen eine Pseudoprogression festgestellt worden war. Außerdem sei diese nicht genau definiert gewesen.2 Auch bei Lungenkarzinomen und Kopf-Hals-Tumoren sei die Zahl an atypischem Ansprechen äußerst gering und klinisch im Alltag nicht relevant.
Er gibt außerdem zu bedenken, dass die Zeit bis zum Ansprechen bei einer Immuntherapie im Median bei ca. 2 Monaten liegt, mit großer Spannbreite. Eine zu frühe Bildgebung kann daher den Eindruck eines Pseudoprogresses erzeugen. Zumal im PET-CT nicht zwischen einer zunehmenden Entzündungsreaktion (Pseudoprogress) als auch einem wachsenden Tumor nicht unterschieden werden könne.
Ein weiterer Punkt sei, dass beim Glauben an eine Pseudoprogression der Umstieg auf eine wirksame Therapie verzögert werden könne. Zudem seien die hohen Kosten für Checkpointinhibitoren (20-25.000 Euro für drei Monate) zu beachten, so Klinghammer in seinem Fazit.