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Neurologie

11. Feb. 2021

Einsamkeit kostet Hirnsubstanz

Spärliche soziale Kontakte und Einsamkeit verändern die Gehirnstruktur – graue Zellen verschwinden und die weiße Substanz leidet. Die Folge: Kognitive Funktionen können bereits im mittleren Alter beeinträchtigt sein. Das zeigen Ergebnisse einer in der Fachzeitschrift Biological Psychiatry: Cognitive Neuroscience and Neuroimaging veröffentlichten niederländischen Studie. 1

Lesedauer: ca. 3 Minuten

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Redaktion: Dr. Linda Fischer

Geselliger Lifestyle gegen neurologische Erkrankungen

In den letzten Jahren rückten Lifestyle-Faktoren als Einflussgrößen, etwa bei der Entwicklung von Demenzerkrankungen, in den Fokus der medizinischen Forschung. Zu diesen Lifestyle-Faktoren zählt beispielsweise das soziale Umfeld. Der Einfluss des sozialen Umfelds auf die Gesundheit und die Fähigkeit, an sozialen Interaktionen teilzunehmen sind in dem Konzept „social health“ erfasst. 2

Forscherinnen und Forscher einer niederländischen Studie zeigten nun bei älteren Menschen den Zusammenhang der „social health“ mit pathophysiologischen Veränderungen im Gehirn, die mit Demenz assoziiert sind. Die Ergebnisse ihrer Studie zeigten für Personen, die sich einsam fühlten, ein geringeres Volumen an weißer Substanz im Vergleich zu Personen, die sich nicht einsam fühlten. Personen, die sozial gut unterstützt wurden, hatten ein größeres Volumen sowohl an gesamter Gehirnmasse als auch speziell an grauer Substanz. Darüber hinaus nahm ihr Gehirnvolumen über die Jahre weniger stark ab. Das Fazit der Studie: Soziale Faktoren spiegeln sich, zumindest teilweise, in der Gehirnstruktur wider. 1

Das Studiendesign

Im Rahmen der Studie wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vom Jahr 2002 bis 2008 zunächst zu ihrem sozialen Wohlbefinden bezüglich Einsamkeit, Grad der sozialen Unterstützung und Familienstand befragt. Bei insgesamt 3737 Personen (≥ 40 Jahre zu Studienbeginn, Mittel: 60 Jahre, 55 % Frauen) wurde zudem im Jahr 2005 eine erste kraniale Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt.

Für 3720 Personen der Kohorte wurde die MRT-Messung regelmäßig über zehn Jahre wiederholt, um beispielsweise das Gehirnvolumen und die Integrität der weißen Substanz über einen längeren Zeitraum zu untersuchen. 1

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Einsamkeit: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben über einen Selbstberichtsbogen an, ob sie sich einsam (Gefühl von Einsamkeit ≥ 1 Tag/Woche) oder nicht einsam (Gefühl von Einsamkeit < 1 Tag/Woche) fühlten.

Soziale Unterstützung: In einem fünf Fragen umfassenden Bogen gaben die Probandinnen und Probanden an, ob sie mit den Aussagen übereinstimmten, weniger übereinstimmten oder widersprachen. Die Summe von möglichen 0 bis 10 Gesamtpunkten gab an, ob die Personen gute soziale Versorgung erhielten (hohe Werte) oder nicht (niedrige Werte). 

Familienstand: Mögliche Antworten waren „verheiratet oder verpartnert“, „verwitwet/geschieden“ und „nie verheiratet gewesen“.

Einsamkeit schlägt sich in geringerem Gehirnvolumen nieder

Zu Studienbeginn war das Volumen der weißen Substanz bei einsamen Personen geringer als bei denjenigen, die sich nicht einsam fühlten (im Mittel: -4,63 mL, 95 % KI: -8,46; -0,81). Waren die Menschen sozial gut unterstützt, spiegelte sich das in einem größeren Volumen sowohl des gesamten Gehirns (im Mittel: 1,21 mL pro Punkt in der Gesamtpunktzahl, 95 % KI 0,11; 2,31) als auch der grauen Substanz wider (im Mittel 0,99 pro Punkt in der Gesamtpunktzahl, 95 % KI 0,01; 1,97).

Im Vergleich zu verheirateten oder geschiedenen Personen, ergaben die Daten für diejenigen, die nie verheiratet waren, ein kleineres Gehirnvolumen (im Mittel: ‑8,27 mL, 95 % KI -13;16; -3;39), was sich am deutlichsten in der Vermessung der grauen Substanz zeigte (im Mittel: -4,75 mL, 95 % KI -9,09; -0,40). 1

Bessere Integrität der weißen Substanz bei sozial Unterstützten

Im Hirngewebe von Personen, die gute soziale Unterstützung erfuhren, wurde eine höhere Anisotropie und ein geringeres Diffusionsvermögen durch die Zellmembranen gemessen. Dies deutet auf eine bessere Integrität der weißen Substanz auf mikrostruktureller Ebene hin. 1

Gehirnvolumen nimmt bei sozial Unterstützten über Jahre weniger ab

Die Ergebnisse zeigten außerdem eine geringere Abnahme des gesamten Gehirnvolumens über die Jahre bei Personen, die im Interview zu Studienbeginn einen optimalen Score zur sozialen Unterstützung angegeben hatten, im Vergleich zu Personen mit einer niedrigeren Gesamtpunktzahl (im Mittel: 0,13 mL pro Jahr pro Punkt in der Gesamtpunktzahl, 95 % KI 0,01; 0,24). 1

Frauen fühlen sich öfter einsam als Männer

Während sich 15,2 % der Frauen einsam fühlten, waren es bei den Männern lediglich 8,1 %. Interessanterweise zeigte sich der Trend eines geringeren Volumens an weißer Substanz bei einsamen Personen nur bei den Männern. Auf die weiblichen Teilnehmerinnen traf dies nicht zu. 1

Soziale Unterstützung als Stress-Puffer

Basierend auf den Ergebnissen ihrer Studie nehmen die Autorinnen und Autoren an, dass die untersuchten sozialen Faktoren bestimmte Gehirnstrukturen und somit kognitive Funktionen beeinflussen und wohl auch die Entwicklung einer Demenzerkrankung fördern können.

Eine gute soziale Unterstützung begünstigt womöglich ein gesundheitsförderndes Verhalten und könnte als Stress-Puffer fungieren. Das könnte kardiovaskulären Erkrankungen vorbeugen und sich vorteilhaft auf das neuroendokrine System und das Immunsystem auswirken. 1

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