Titelbild von Neurologie
Logo von Neurologie

Neurologie

02. Nov. 2022
Schlaganfall, Demenz

Bedeutung der Ernährung zur Prävention

Die Literatur zu Ernährung und neurologische Erkrankungen scheint unüberschaubar und nicht alles, was geschrieben wird, ist sinnvoll. Prof. Dr. med. Agnes Flöel, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsmedizin Greifswald, präsentiert auf der Neurowoche 2022 aussagekräftige Studien zu den 2 großen Volkskrankheiten Schlaganfall und Alzheimer-Krankheit.

Lesedauer: ca. 7 Minuten

Mediterrane Ernährung

Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag von Prof. Dr. med. Agnes Flöel auf der Neurowoche 2022: „Die Bedeutung der Ernährung für die Prävention von Schlaganfall und Demenz“. Autorin: Dr. Linda Fischer

Risikofaktoren für Schlaganfall

Neben den nicht veränderbaren Risikofaktoren, wie Lebensalter oder familiäre Belastung und den Gefäßrisikofaktoren wie etwa Diabetes mellitus oder arterielle Hypertonie, können auch Umwelt- und Lebensstilfaktoren das Risiko für einen Schlaganfall beeinflussen. Grob umrissen zieht Prof. Flöel in ihrem Vortrag folgendes Fazit:

  • Übergewicht erhöht das Schlaganfallrisiko
  • mediterrane Diät, tägliches Obst und Gemüse, Fischkonsum, moderater Alkoholkonsum und regelmäßiger Konsum von Kaffee und Schokolade scheinen schützende Effekte bezüglich Herz-Kreislauf-Risiko zu haben
  • interventionelle Phase-III-Studien fehlen für viele Ernährungsformen, da sie schwierig durchführbar – grundsätzlich aber möglich4 – sind
  • keine klare Evidenz für die Rolle verschiedener Nahrungsergänzungsmittel
Körpergewicht: Assoziationsstudien zeigen, dass das Schlaganfall-...

Assoziationsstudien zeigen, dass das Schlaganfall-Risiko bereits ab einem Body-Mass-Index (BMI) von > 25 kg/m2 um bis zu 40 % pro weiteren 5 kg/m2 gegenüber dem Normalgewicht steigt.1 Interventionsstudien mit diesem Endpunkt gibt es in dieser Form nicht. Viele Interventionsstudien zeigen jedoch, dass kardiovaskuläre Faktoren durch die Gewichtsabnahme positiv beeinflusst werden, sodass Prof. Flöel eine Gewichtsabnahme-Intervention als empfehlenswert einstuft.2

Mediterrane Ernährung: Die mediterrane Diät beinhaltet Obst, ...

Die mediterrane Diät beinhaltet Obst, Gemüse, ungesättigte Fettsäuren, Nüsse und Hülsenfrüchte. Hier gibt es Metaanalysen, in deren Rahmen Forschende untersuchten, wie sich zusätzliches Obst und Gemüse auf das Schlaganfall-Risiko auswirkt. Sie kamen zu dem Schluss, dass jede Portion Obst oder Gemüse, die pro Tag zusätzlich konsumiert wird, eine Risikoreduktion um 6 % bewirken kann.3

In diesem Bereich zeigte zudem eine Interventionsstudie mit > 7000 Menschen, die bis zu 6 Jahre nachbeobachtet wurden, dass eine teilmediterrane Intervention mit zusätzlich 1 L Olivenöl pro Woche (≥ 4 EL/Tag) oder 30 g Nüssen/Tag das kardiovaskuläre Risiko senken kann. Hinsichtlich Schlaganfall zeigen die Daten eine signifikante Risikoreduktion auf 3,1 versus 5,9 Schlaganfälle/1000 Personenjahre.4

Fisch, Vitamine, Multivitamin- und Mineralstoffpräparate: Hier geht es ...

Hier geht es vor allen Dingen um die gefäßprotektiven Omega-3-Fettsäuren.5 Eine Studie aus dem Jahr 2011 zeigte hier assoziativ eine Risikoreduktion um 6 % bei einem Mehrkonsum von 3 Portionen Fisch pro Woche.6 Allerdings bewirkte eine Intervention mit Omega-3-Fettsäure-Kapseln keine signifikante Risikoreduktion – getestet an über 25.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.7

In dem Interventionsarm mit Vitamin D in derselben Studie zeigte sich ein ähnliches Bild: keine signifikante Risikoreduktion durch eine hochdosierte Substitution (2000 IU/Tag).7 Auch die Substitution mit B-Vitaminen (VitB12: 2 µg–1 µg; VitB6: 10–100 mg; 0,5–40 mg Folsäure) senkte das Risiko für Schlaganfall nicht.8

Zu Multivitamin- und Mineralstoffpräparaten erwähnt Prof. Flöel eine Metaanalyse mit > 2 Mio. Personen. Das Fazit: Kein geringeres Schlaganfallrisiko durch eine Substitution.

Schokolade, Kaffee & Alkohol: In diesem Bereich stellt Prof. Flöel eine ...

In diesem Bereich stellt Prof. Flöel eine Assoziationsstudie vor, in deren Rahmen Forschende zeigten, dass ein hoher Schokoladenkonsum (> 5x/Woche) mit einer 29 %-igen Risikoreduktion für Schlaganfall assoziiert war. Angenommen werden hier gefäßprotektive Eigenschaften, beispielsweise der Kakao-Inhaltsstoffe.9

Bezüglich Kaffee zeigten Assoziationsstudien, dass 3–5 Tassen Kaffee pro Tag mit dem niedrigsten Risiko assoziiert sind, verglichen mit anderen Kaffee-Mengen, so Prof. Flöel.  

In höheren Mengen hat Alkohol viele negative Eigenschaften, weshalb Prof. Flöel niemandem empfehlen würde, Alkohol aus gesundheitlichen Gründen zu sich zu nehmen. Doch selbst die strenge American Heart Association gibt laut Prof. Flöel zu, dass 1–2 kleine Gläser pro Tag bzw. 5–6 pro Woche gefäßprotektiv wirken können. Sie betont aber, dass sich ein höher Konsum negativ auf Gehirn und Gefäße auswirkt.

Risikofaktoren für Alzheimer

Auch bei der Alzheimer-Krankheit spielen unter anderem Lebensstil- und Umweltfaktoren eine Rolle:

  • Übergewicht im mittleren Lebensalter erhöht das Demenzrisiko
  • Mimetika für Kalorienreduktion (Spermidin, Resveratrol) nur in kleinen Studien getestet mit teils widersprüchlichen Ergebnissen
  • mediterrane Diät, regelmäßiger Fischkonsum, sehr moderater Alkoholkonsum und regelmäßiger Kaffeekonsum scheinen schützende Effekte zu haben; Schokolade könnte einen positiven Effekt auf die Kognition haben
  • keine klare Evidenz für die Rolle verschiedener Nahrungsergänzungsmittel
  • gute Zahngesundheit ist von Vorteil
Körpergewicht: Bezüglich der Alzheimer-Demenz besteht ein linearer ...

Bezüglich der Alzheimer-Demenz besteht ein linearer Zusammenhang zwischen hohem BMI im mittleren Lebensalter und früherem Beginn der Alzheimer-Demenz.10 Die Idee, dass eine Kalorienrestriktion dem Beginn der Alzheimer-Demenz entgegenwirken kann, beinhaltet den Gedanken, dass Prozesse, die im Körper in Antwort auf den Nahrungsmangel aktiviert werden, beispielsweise die Zellreinigung (Autophagie), positive Gesundheitseffekte zur Folge hätten, erklärt Prof. Flöel.

Im Tierexperiment gelinge das gut, bei Menschen sei dies hingegen weniger untersucht. Prof. Flöel selbst führte dazu kleine Studien durch11,12, in der beispielsweise über 3 Monate eine Gewichtsabnahme durch die Einnahme eines speziellen Getränks induziert wurde. Die Probandinnen und Probanden reduzierten so ihren BMI von > 35 kg/m2 auf < 30 kg/m2.  Die Gedächtnisleistung, gemessen über den Memory Score, stieg signifikant bei denjenigen Probandinnen und Probanden mit Kalorienrestriktion. Einschränkend weist Prof. Flöel auf den Phase-II-Charakter der Studie hin. Phase-III-Studien müssten die Ergebnisse noch nachweisen.

Auf Dauer sei eine Kalorienrestriktion allerdings wenig angenehm und wird als Lebensstil-Intervention nur schwer durchzusetzen sein. Können bestimmte Substanzen (Kalorienrestriktions-Mimetika) einen solchen Effekt der Kalorienrestriktion imitieren? Als mögliche Substanz erwähnt Prof. Flöel Resveratrol, ein Polyphenol, das beispielsweise in Trauben, Wein und weiteren Nahrungsmitteln vorkommt.

Diese Mimetika werfen ähnliche Stoffwechselprozesse an, wie die Kalorienrestriktion, mit einer verstärkten Autophagie als Folge. Bei gesunden älteren Personen zeigte eine Studie durch eine 6-monatige Resveratol-Gabe verbesserte Gedächtnisleistungen.11 Bei Patientinnen und Patienten mit Mild Cognitive Impairment (MCI) zeigten Forschende, dass sich die Abnahme des Hippocampus-Volumens durch Resveratrol zum Teil aufhalten ließ.13 Es gibt also positive Signale in Phase-IIa-Studien für Resveratrol.

Als zweite Substanz geht Prof. Flöel auf Spermidin ein. Das Polyamin findet sich in Soja, Weizenkeimen und verschiedenen Nüssen. Doch bessert eine Substitution durch Spermidin die Gedächtnisleistung? Eine kleine Studie mit 30 Menschen mit subjective cognitive decline, einer sehr frühen Vorstufe der Alzheimer-Erkrankung, konnte tatsächlich eine verbesserte Gedächtnisfunktion in der Spermidin-Gruppe zeigen.14 In einer darauffolgenden einjährigen, größeren Studie mit 100 Teilnehmenden konnte dieser Effekt allerdings nicht repliziert werden.15 Ob eine Erhöhung der Dosierung ein positiveres Ergebnis bringt, werden laufende Studien zeigen.

Mediterrane Ernährung: Zur mediterranen Diät zeigt Prof. Flöel eine ...

Zur mediterranen Diät zeigt Prof. Flöel eine bekannte Assoziationsstudie aus New York mit > 2200 Menschen, die an MCI leiden und bis zu 10 Jahre beobachtet wurden. Teilnehmende mit mittlerer oder hoher Adhärenz an die mediterrane Diät unterlagen einem verringerten Demenzrisiko um etwa 40 %.16

Fisch, Vitamine, Kombination verschiedener Nahrungsergänzungsmittel ...

Bezüglich Fischkonsum bzw. Omega-3-Fettsäuren gibt es laut Prof. Flöel epidemiologische Hinweise für einen protektiven Effekt von höherem Fischkonsum.5 Allerdings verbessert auch hier die Intervention mit Omega-3-Fettsäure-Kapseln nicht sicher die Kognition oder verhindert den Übergang in eine Demenz, so dass keine abschließenden Empfehlung möglich ist.17

Zu B-Vitaminen präsentiert Prof. Flöel eine Meta-Analyse von 201818, in deren Rahmen sich die Substitution von B-Vitaminen ohne Effekt auf die Kognition bei gesunden Älteren erwies. Möglicherweise gibt es aber einen Effekt bei Menschen mit MCI, was allerdings in weiteren Studien bestätigt werden muss.

Für eine Substitution mit Vitamin D (400 IU Vitamin D + 1000 mg Calcium) wurden zwar positive Effekte vermutet, in einer Interventionsstudie konnte jedoch keine Auswirkung auf die MCI/Demenz-Inzidenz gezeigt werden.19 Neue (kleinere) Studien bestätigen diese Daten.

Hinsichtlich der Kombination verschiedener Nahrungsergänzungsmittel geht Prof. Flöel auf Souvenaid ein. Zwei Jahre unter der Behandlung konnte einer Cochrane-Analyse zufolge nicht das Risiko der Progression zur Demenz in der prodromalen Phase reduzieren. Es gibt zudem keine überzeugende Evidenz, dass Souvenaid andere, für Patientinnen und Patienten wichtige, Zielparameter signifikant beeinflusst. Vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Evidenz zu kombinierten cognitive-functional outcomes in der Prodromal-Phase und milder Alzheimer-Demenz sind laut Prof. Flöel weitere Studien notwendig.24

Schokolade, Kaffee & Alkohol: Zu dem antiiflammatorisch wirksamen ...

Zu dem antiinflammatorisch wirksamen Flavanol zeigten Forschende in einer Interventionsstudie, in deren Rahmen über 8 Wochen Schokolade-haltige Getränke mit unterschiedlichem Flavanolgehalt konsumiert wurden, dass ein hoher Flavanolgehalt mit signifikant verbesserter Umstellfähigkeit, Schnelligkeit und Wortflüssigkeit einherging.20 Prof. Flöel betont jedoch, dass der primäre Endpunkt hier nicht die Demenz war.

Zum Thema Kaffee nennt Prof. Flöel eine Assoziationsstudie von 2017, in deren Rahmen Forschende zeigten, dass ein geringer Kaffeekonsum von 1–2 Tassen pro Tag im Vergleich zu anderen Konsummengen mit dem niedrigsten Demenzrisiko assoziiert war.21 Beim Alkoholkonsum können moderate Mengen (< 140 g/Woche) einen geringen Vorteil bringen im Vergleich zur Abstinenz und > 140 g/Woche.22 Allerdings zeigen neuere Studien, dass der Effekt auf verzerrende Parameter in der Auswahl der Teilnehmenden zurückzuführen ist. Dies verdeutlicht, dass der Effekt von Alkohol auf die Entwicklung einer Demenz weiterhin unklar ist. Es gilt: Nur geringe Mengen konsumieren, denn schon bei 140–210 g/Woche erhöht sich die Hirnatrophie um das 3-fache.23

Zahngesundheit: Zum Schluss geht Prof. Flöel auf die ...

Zum Schluss geht Prof. Flöel auf die Zahngesundheit ein. Die Paradontitis wird unter anderem durch das Bakterium Porphyromonas gingivalis verursacht. Als Folge wird die Protease Gingipain freigesetzt, die wiederum Neuroinflammation und Nervenzelldegeneration auslösen kann. Dieser Zusammenhang findet sich auch in einer Assoziationsstudie:25 Mehr Paradontitis (gemessen an der Tiefe der Zahnfleischtaschen) war assoziiert mit einem höheren Alzheimer Disease Score. Derzeit läuft eine Studie zu diesem Thema mit Atuzaginstat (COR388) (NCT03823404).26

Quellen anzeigen
Impressum anzeigen