Individualisierte Schmerztherapie
Bis heute wird die Individualisierung der Schmerzmedizin oft irrtümlicherweise mit dem Verzicht auf solide Studien assoziiert und die Evidenz als Gefahr für die Freiheit der Therapieentscheidung gesehen. Doch mittlerweile hat sie Eingang in Leitlinien gefunden.1
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Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag von Herrn Dr. Dipl. Lic. Psych. Johannes Horlemann, Leiter des regionalen DGS-Schmerzzentrums Kevelaer, auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag 2021: „Individualisierte Schmerztherapie für mehr Lebensqualität – Es lohnt ein dritter Blick“. Redaktion: Dr. Linda Fischer
Bis zu 85 % der Bevölkerung in Deutschland erkrankt einmal krankheitswertig an Rückenschmerzen. In Umfragen betrifft das 25 % der Frauen und 17 % der Männer.2 Für die Therapietreue der Patienten spielen dabei, über die Beseitigung der Schmerzen hinaus, die Nebenwirkungen eine entscheidende Rolle.
Individualisierung der Therapieziele – wer wird behandelt?
Eine individualisierte Schmerztherapie berücksichtigt Eigenschaften der zu behandelnden Person, etwa das Alter und die damit verbundenen Therapieziele. In jedem Falle sollten die Wertvorstellungen der zu behandelnden Person, ihr Lebensraum und ihre familiären Ressourcen miteinbezogen werden.
Hintergrund hierfür ist die Leitlinie der AWMF zur Multimorbidität von 2017, welche alle Parameter miteinbezieht, die die Lebensqualität, die funktionellen Einschränkungen, die Hospitalisierung und die Mortalität betreffen. Dr. Horlemann bekräftigt, dass eine derartige Leitlinie, die auf der gemeinsamen Sicht von Arzt und Patient beruht, in der Schmerzmedizin gut umsetzbar ist.3
Behandlung sollte sich an der Nebenwirkungsquote orientieren
Eine RCT-Studie fand etwa deutliche Unterschiede in dem Nebenwirkungsauftreten zwischen Oxycodon/Naloxon und Tapentadol, für Obstipation (25,8 und 15,4 % der Patienten) und Übelkeit (46 und 32 %) bei Personen mit schweren, chronischen Rückenschmerzen und einer neuropathischen Komponente.4
Basierend auf derart aussagekräftige Studien erfolgt der Einsatz von Medikamenten nicht unbedingt nach dem Prinzip des wirkstärksten Vorgehens, sondern orientiert sich auch an der Nebenwirkungsquote.
Tumorschmerz: 4 Studien zur Evidenz
Für die Behandlung von Krebsschmerz stellt Dr. Horlemann am Beispiel der Wirkstoffe Tapentadol, Oxycodon und Morphin die Evidenzgrundlage der Tumorschmerz-Leitlinie vor: In den vier einbezogenen Studien wurden die Wirkstoffe an Erwachsen mit Tumorschmerzen erprobt.
Das Ergebnis: Tapentadol ist vergleichbar effektiv wie Oxycodon oder Morphin, die Evidenz zeigt derzeit jedoch keinerlei eindeutige Überlegenheit von Tapentadol in der Schmerzgruppierung. Die Vorteile für Tapentadol liegen vielmehr eindeutig in der Vermeidung von Nebenwirkungen in der Therapie sowohl in der Eintitrationsphase als auch in der Dauermedikation. 5-8
Tumorschmerz-Leitlinie wird derzeit kommentiert und konsentiert
In der inzwischen neu erarbeiteten Praxisleitlinie Tumorschmerz wurden einige alte und neue Medikamente neu bewertet. Insbesondere wurde das Kapitel zur Patientenautonomie überarbeitet vor dem Hintergrund von nebenwirkungsarmen, und damit vom Patienten präferierten Therapiemöglichkeiten, bei eindeutiger Evidenz.
Dabei wurde das Kapitel der Patientenautonomie mit einem Evidenzgrad C festgehalten. Die Tumorschmerztherapie berücksichtigt damit insbesondere den Willen des Patienten und versucht Bewusstseinseinschränkungen durch die Erkrankung selbst oder durch die Therapie zu vermeiden.
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