Neuroimmunologische Krankheitsbilder im Spiegel der Dermatologie
Menschen mit autoinflammatorischen Syndromen haben oftmals neurologische und dermatologische Symptome. In diesem Fall sollte bei der Diagnostik auch an seltene Erkrankungen gedacht werden. Prof. Dr. Kümpfel von der LMU-München verdeutlicht dies anhand zweier Fallberichte. 1
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Dieser Artikel basiert auf dem Vortrag „Neuroimmunologische Krankheitsbilder im Spiegel der Nachbardisziplinen“ von Prof. Dr. Tania Kümpfel, Institut für klinische Neuroimmunologie Klinikum Großhadern, LMU-München auf dem DGN-Kongress 2021. Redaktion: Dr. Linda Fischer
1. Fall: Episoden mit Trigeminusneuralgie, Fieber, Urtikaria
Eine 77-jährige Patientin präsentiert sich mit einer episodenhaft auftretenden Trigeminusneuralgie, sowie einer chronisch-rezidivierenden Urtikaria und rezidivierenden Fieberschüben. Immer wieder werden erhöhte Entzündungswerte über Serumamyloid A (SAA) und C-reaktives Protein (CRP) festgestellt. Auch im Liquor zeigen sich entzündliche Veränderungen. Letztlich wird der Verdacht auf einen Normaldruckhydrozephalus gestellt, bei zunehmender Gangstörung und kognitiven Veränderungen.
Eine Hautbiopsie ergibt eine neutrophile Dermatose und den Verdacht auf ein autoinflammatorisches Syndrom. Der Verdacht bestätigt sich in einer molekulargenetischen Testung, welche eine Mutation im NLRP3-Gen zeigt und zur Diagnose Cryoporin assoziiertes periodisches Syndrom (CAPS) führt.
Autoinflammatorische Syndrome (AUIS) sind …
…seltene, meist monogenetische Erkrankungen, die mit episodenhaft auftretenden Fieberschüben und multisystemischen Entzündungsreaktionen einhergehen. In den letzten Jahren wurde eine Reihe autoinflammatorischer Erkrankungen beschrieben. Die häufigsten:
- TRAPS: Tumor necrosis factor-Receptor-1-Associated Periodic Syndrome (TNFRSF1A Gen)
- FMF: Familial Mediterranean Fever (MEFV gene, Pyrinopathie)
- CAPS: Cryoporin-Associated Periodic Syndrome (NLRP3 gene, Inflammasomopathie)
In Folge eines AUIS kommt es durch eine Aktivierung des Inflammasoms zu multisystemischen Entzündungsreaktionen. Entzündungsstoffe werden ausgeschüttet, v.a. Interleukin β. Dies führt zu multiplen Manifestationen an Auge, Haut, oder Zentralem Nervensystem (ZNS). 2
Cryoporin-Associated Periodic Syndrome (CAPS)
Das CAPS äußert sich phänotypisch unterschiedlich, von Kälteurtikaria bis hin zu dem schwer verlaufenden CINCA (Chronisch-infantil neuro-kutaneo-artikuläres) Syndrom mit schweren Skelettdeformitäten oder auch neurologischer Beteiligung.
Die Diagnose des CAPS wird im Wesentlichen klinisch gestellt: Neben erhöhten Entzündungswerten (SAA/CRP) müssen mindestens zwei der folgenden sechs Kriterien erfüllt sein:
- Urtikarieller Hautausschlag
- Kälte/Stress getriggerte Episoden
- Sensorineuraler Hörverlust/Hörminderung
- Muskuloskelettale Symptome (Arthralgien/Myalgien)
- Chronisch-rezidivierende aseptische Meningitis
- Skelettdeformitäten 3
Sowohl der urtikarielle Hautausschlag als auch die chronisch-rezidivierende aseptische Meningitis waren in dem initial vorgestellten Fallbeispiel vorhanden.
CAPS kann sich im ZNS manifestieren
Bei einem CAPS kann es zu einer intrakraniellen Hypertension kommen, die im weiteren Verlauf zu Hydrozephalus und Hirnatrophie führt. Prof. Kümpfel hebt deshalb hervor, dass bei Betroffenen bei einer Liquorpunktion auch der Liquor-Eröffnungsdruck zu messen ist.
Bei Kindern kann es zudem zu Entwicklungsverzögerungen kommen. Auch Kopfschmerzsyndrome, rezidivierend Lepto-meningoenzephalitische Krankheitsbilder im Sinne einer aseptischen Meningitis und Vaskulitiden sind beschrieben. Häufig kommt es zu Hirnnervenaffektionen, vor allem am Hörnerv und am Sehnerv mit Papillonödem und Atrophie des Sehnerv im weiteren Verlauf. 4,5
2. Fall: Multiple Sklerose, rezidivierende Urtikaria, Arthralgien/Myalgien
Autoinflammatorische Syndrome werden auch im Zusammenhang mit Multiple Sklerose (MS) beobachtet. In einem zweiten vorgestellten Fall wird bei einer 47-jährigen Frau MS diagnostiziert, viele Jahre später kommen rezidivierende urtikarielle Hautausschläge und Konjunktivitiden hinzu. In der Anamnese zeigt sich, dass die Patientin bereits vor Beginn der MS rheumatologische Beschwerden hatte. Außerdem traten in der Vergangenheit immer wieder Episoden mit Arthralgien und Myalgien und erhöhte Entzündungsparameter auf.
Wie im ersten vorgestellten Patientenfall, hilft auch hier eine Hautbiopsie: Sie zeigt entzündliche Infiltrate, sodass der Verdacht auf eine Vaskulitis, differenzialdiagnostisch auch autoinflammatorisches Syndrom, gestellt wird. Eine molekulargenetische Untersuchung liefert den Nachweis einer „niedrig-Penetranz“-Mutation (Q703K-Mutation) im NLRP3-Gen. Die Diagnose: CAPS und MS.
Mutation nicht selten mit neurologischer Manifestation assoziiert
Dass die Mutation im NLRP3-Gen nicht selten mit neurologischen Manifestationen einhergeht, zeigt eine Studie mit einer 15 Personen großen CAPS-Kohorte, in deren Rahmen Forschende klinische Charakteristika herausarbeiteten, bei denen Ärztinnen und Ärzte gegebenenfalls an ein CAPS denken sollten:
- Teils schwere Meningoenzephalitis
- Häufig Hirnnervenbeteiligung am Nervus trigeminus
- Häufig Optikusneuritis, Uveitis
- Kopfschmerzsyndrome
- 8 Personen mit zusätzlich gesicherter MS 6
Fließender Übergang zwischen Autoinflammation und Autoimmunität
Das gemeinsame Auftreten neuroinflammatorischer Syndrome mit einer Autoimmunerkrankung, ist laut Kümpfel nicht selten. Gerade bei der MS können andere autoinflammatorische Syndrome auftreten, beispielsweise FMF oder TRAPS.
Die Frage, ob dies dann zwei nebeneinander stehende Erkrankungen sind oder es eine Assoziation zwischen ihnen gibt, beantwortet Kümpfel mit einem „fließenden Übergang”: Bei der MS etwa spielt neben dem adaptiven auch das angeborene Immunsystem eine Rolle und sowohl bei CAPS als auch bei der MS das Inflammasom. Eine Assoziation zwischen beiden Erkrankungen ist also vorstellbar.
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