
Wie viel Bedenkzeit vor dem Eingriff ist genug?
Der Bundesgerichsthof (BGH) hat in einem aktuellen Urteil konkretisiert, wie Patientinnen und Patienten rechtzeitig vor einem medizinischen Eingriff aufgeklärt werden sollen.1
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Dieser Beitrag erscheint in Zusammenarbeit mit Alexa Frey, Fachanwältin für Medizinrecht | Redaktion: Sebastian Schmidt
Wann müssen Patientinnen und Patienten vor einem medizinischen Eingriff aufgeklärt werden? Worauf müssen behandelnde Ärztinnen und Ärzten dabei achten? Mit der Beantwortung dieser Fragen beschäftigte sich der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil (20.12.2022, VI ZR 375/21).
Die Kernbotschaft: Es gibt keine pauschale einzuhaltende „Sperrfrist“, um rechtzeitig aufzuklären. Vielmehr stellte der Senat klar, dass Patientinnen und Patienten – sofern sie eine weitere Bedenkzeit für die Einwilligung benötigen – dies aktiv gegenüber behandelnden Medizinern zum Ausdruck bringen müssen. Eine Möglichkeit dafür sei beispielsweise zunächst von der Erteilung der Einwilligung abzusehen.
Der Fall: Aufklärungsgespräch und Eingriff mit weitreichenden Folgen
In dem Fall den der BGH zu entscheiden hatte, litt der klagende Patient unter einer chronischen rezidivierenden Ohrentzündung und Paukenergüssen. Der Patient stellte sich ambulant in einer Klinik vor, wo ihm empfohlen wurde, in einem ersten Schritt zur Optimierung der Nasenluftpassage die Nasenscheidewand begradigen und die Nebenhöhlen sanieren zu lassen.
Es erfolgte ein Aufklärungsgespräch über die Risiken und Erfolgsaussichten der Operation. Der Patient unterzeichnete das Formular zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff. Drei Tage später wurde der Patient stationär aufgenommen und der Eingriff durchgeführt.
Nachdem der Patient postoperativ nicht erweckbar war, wurde mittels CT eine Hirnblutung festgestellt. Es folgte eine lange stationäre und ambulante Weiterbehandlung des Patienten.
Über die Autorin
Alexa Frey ist selbständige Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht und Fachanwältin für IT-Recht. Sie berät Leistungserbringer im Gesundheitswesen in Fragen des Arzthaftungsrechts, IT-Rechts, Datenschutzes, Vertrags- und Gesellschaftsrechts, Vergütungsrechts und Medizinstrafrechts.

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Schadensersatzklage wegen fehlerhafter Aufklärung
Der Patient erhob Klage gegen die Klinik mit dem Vorwurf eines Behandlungsfehlers – und wegen unzureichender Aufklärung. Ein Schadensersatzanspruch des Patienten wurde dem Grunde bejaht. Unterschiedlich beurteilten die Gerichte aber die Frage der ordnungsgemäßen Aufklärung des Patienten.
Zur Frage der „Bedenkzeit“ zwischen Aufklärung und Entscheidung des Patienten hierzu nahm der BGH nun ausführlich zu Stellung. Hier dürften keine „überzogenen Anforderungen“ an die den Ärzten obliegenden Pflichten zur Einholung einer Einwilligung der behandelten Personen gestellt werden. Die gesetzliche Bestimmung (§ 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB) enthält kein Erfordernis, wonach zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müsste.
Vielmehr müsse vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden, dass Patientinnen und Patienten durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe die Entscheidungsfreiheit und damit auch ihr Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahrnehmen können.
Patientinnen und Patienten müssen Bedenken äußern
Bei einer konkludenten Einwilligung durch Unterzeichnung des Aufklärungsbogens müssen Patientinnen und Patienten bei Bedenken, diese konkret äußern. Zu welchem konkreten Zeitpunkt nach ordnungsgemäßer – insbesondere rechtzeitiger – Aufklärung behandelte Personen ihre Entscheidung über die Erteilung oder Versagung ihrer Einwilligung treffen, ist allein deren Sache.
Sehen sie bereits nach dem Aufklärungsgespräch zu einer wohlüberlegten Entscheidung in der Lage, ist es ihr gutes Recht, die Einwilligung auch sofort zu erteilen. Wünschen sie hingegen noch eine Bedenkzeit, so kann grundsätzlich erwartet werden, dass sie dies gegenüber dem Arzt bzw. der Ärztin zum Ausdruck bringen und von der Erteilung einer – etwa im Anschluss an das Gespräch erbetenen – Einwilligung zunächst absehen.
Eine andere Beurteilung ist – sofern medizinisch vertretbar – allerdings in den Fällen geboten, wenn für den Arzt oder die Ärztin erkennbare konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass die Patientin bzw. der Patient noch Zeit für die Entscheidung benötigt.
Was bedeutet das Urteil für Ärztinnen und Ärzte
Das Urteil gibt Sicherheit für die aufklärenden Ärztinnen und Ärzte. Bei einer rechtzeitigen Einwilligung bleibt es der behandelten Person überlassen, aufkommende Bedenken gegen die Operation und die von ihr erteilte Einwilligung konkret zu äußern. Fehlt es an der Äußerung solcher Bedenken, dürfen Behandelnde grundsätzlich – sofern nicht andere Tatsachen hinzutreten – von der Wirksamkeit einer zuvor erteilten Einwilligung ausgehen.
Der BGH hat den Fall zur erneuten Verhandlung und unter Einbeziehung der geäußerten Rechtsauffassung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Ein konkreter Ausgang des Falles steht daher noch nicht fest.
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