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Medizinrecht

21. Dez. 2022
Arbeitsrecht

Arbeiten trotz AU: 5 Fragen aus der Ärzteschaft

Kürzlich haben wir über weitverbreitete arbeitsrechtliche Mythen aufgeklärt. Heute geht es tiefer ins Detail: Ergibt sich aus der AU ein Arbeitsverbot? Oder darf ein krankgeschriebener Mitarbeiter z. B. täglich 2 Stunden arbeiten? Nadine Ettling, Fachanwältin für Medizinrecht, klärt diese und weitere Fragen aus der Ärzteschaft.

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Arbeiten trotz Krankschreibung
Wer ein gebrochenes Bein hat, ist nicht automatisch arbeitsunfähig, oder? (Foto: Getty Images / izusek)

Dieser Beitrag erscheint in Zusammenarbeit mit der Kanzlei Lyck+Pätzold. healthcare.recht.
Autorin: Nadine Ettling | Redaktion: Nathalie Haidlauf

Ärzte fragen, unsere Fachanwältin antwortet

Bedeutet Arbeitsunfähigkeit automatisch, dass ich eine „Bettruhe” einhalten sollte? 

Nadine Ettling: Nein. Wer arbeitsunfähig „krankgeschrieben“ ist, ist verpflichtet auf die Genesung hinzuwirken und insbesondere auch Tätigkeiten zu unterlassen, die zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands führen. Je nach Erkrankung kann damit das angemessene Verhalten von Bettruhe beim grippalen Infekt bis hin zum Wandertag bei einer depressiven Episode reichen.

Es gibt Situationen, in denen man nicht 8 Stunden am Tag arbeiten kann, aber vielleicht vier Stunden täglich. Gibt es für solche Fälle eine Teil-Krankschreibung?

Nadine Ettling: Eine stundenweise Krankschreibung ist im deutschen Recht nicht vorgesehen. Eine Person ist entweder arbeitsfähig oder nicht. Bedenkt man, dass die Zeit der attestierten Arbeitsunfähigkeit gerade dazu genutzt werden soll die Genesung herbeizuführen, erscheint dies auch sinnvoll. Bietet der Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter einzelne Stunden der Arbeitsleistung trotz Krankschreibung an und nimmt der Arbeitgeber dies an, so gilt dies als normaler Arbeitstag. Eine stundenweise Berechnung findet nicht statt.

Eine Besonderheit stellt die stufenweise Wiedereingliederung von Arbeitnehmern dar. Diese wird insbesondere nach längerer Erkrankung durchgeführt. Die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer arbeitet hierbei einzelne Stunden, die stetig erhöht werden, um sich wieder an die Anforderungen des Arbeitslebens zu gewöhnen. Hierbei gilt die Person weiterhin als durchgehend arbeitsunfähig bis zum vollen Wiedereintritt.

Wie wird es berechnet, wenn eine Mitarbeiterin zur Arbeit erscheint, sich nach wenigen Stunden nicht gut fühlt und, nach Hause geht. Vom Arzt wird sie dann für den ganzen Tag krankgeschrieben. Sind das dann Überstunden?

Nadine Ettling: Eine Arbeitnehmerin bzw. ein Arbeitnehmer, die/der während eines Arbeitstages erkrankt, erhält für den gesamten Arbeitstag die vereinbarte Vergütung. Die Bezahlung der an diesem Tag krankheitsbedingt ausgefallenen Stunden gilt nicht als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Diese beginnt, ist die Person längerfristig erkrankt, erst am Folgetag. Überstunden entstehen keine – die geleisteten Stunden stellen die übliche Arbeitsleitung dar.

Als Arbeitgeber erhalte ich Geld von der Krankenkasse, wenn ich die AU meiner MFA einreiche. Wenn ich gleichzeitig die Arbeitskraft meiner MFA wieder vorzeitig in Anspruch nehme, weil sie vor Ablauf der Krankschreibung zur Arbeit zurückkehrt, kassiere ich doch doppelt (Geld und Arbeitskraft)?

Nadine Ettling: Der Arbeitgeber würde sich nur dann bereichern, wenn er bewusst bei der Lohnabrechnung die tatsächliche Dauer der Krankheit verschweigt oder bewusst die Krankmeldung gegenüber der Krankenkasse falsch angibt. Wenn der oder die Angestellte früher wieder gesund ist und arbeitet, dann ist dies vom Arbeitgeber der Krankenkasse natürlich anzuzeigen – ebenso wie zuvor die Krankmeldung selbst. Mit der Anzeige kann dann auch die Ausgleichszahlung korrekt berechnet werden und es kommt nicht zu einer Überzahlung.

Wer beurteilt, ob medizinische Gründe gegen eine frühzeitige Wiederaufnahme der Arbeit sprechen? Für den Arbeitnehmer könnten auch Gründe wie Angst vor Kündigung oder Fehleinschätzung der eigenen gesundheitlichen Situation ausschlaggebend sein. Dem Arbeitgeber kommt die Einschätzung des Arbeitnehmers, der glaubt wieder gesund zu sein, möglicherweise sehr entgegen. Beiden fehlt jedoch die medizinische Expertise für diese Beurteilung.

Nadine Ettling: Grundsätzlich darf der Arbeitgeber der Einschätzung der Angestellten im Hinblick auf den eigenen Gesundheitsschutz vertrauen. Regen sich jedoch Zweifel an deren Arbeitsfähigkeit oder drängen sich solche sogar auf, sollten Arbeitgeber sich auf Ihre Fürsorgepflicht besinnen und genauer hinschauen. Sind Mitarbeitende objektiv nicht mehr in der Lage, die ihnen übertragenen Aufgaben zu verrichten, sollte das Arbeitsangebot bei Krankschreibung abgelehnt werden. Eine „Gesundschreibung“ zur Absicherung in diesen Fällen gibt es nicht. Legen jedoch besondere Umstände die Annahme nahe, dass der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin trotz Angebot der Arbeitsleistung nicht wieder arbeitsfähig ist, kann die Forderung nach einer ärztlichen Bestätigung in Frage kommen.

Auf der anderen Seite sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeit wahrheitsgemäß mitzuteilen. Ist damit zu rechnen, dass eine vorzeitige Wiederaufnahme der Beschäftigung der Genesung entgegensteht oder den Krankheitszustand verschlimmert, hat die bzw. der Angestellte der Arbeit fernzubleiben. Führt eine verschwiegene Arbeitsunfähigkeit dazu, dass vermeidbare Fehler im Rahmen der übertragenen Aufgaben entstehen, kann im Einzelfall eine persönliche Haftung der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers für eintretende Schäden aufgrund grober Fahrlässigkeit in Betracht kommen.

Über die Autorin
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Nadine Ettling ist Fachanwältin für Medizinrecht bei der Anwaltskanzlei Lyck+Pätzold. healthcare.recht. Die Kanzlei hat sich ausschließlich auf die Beratung medizinischer Leistungserbringer und Industrieunternehmen aus der Gesundheitsbranche spezialisiert.

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