Experten diskutieren: Reichen die neuen Corona-Regeln ab 1. Oktober?
Ab dem 1. Oktober gelten in Deutschland neue Corona-Regeln. Aber reichen die? Der Virologe Drosten rechnet mit einer starken Corona-Welle - mit Auswirkungen auch für die Wirtschaft.1 Virologin Protzer erwartet derweil keine Überlastung der Krankenhäuser.2
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Experten geben unterschiedliche Prognosen zum Corona-Geschehen im Herbst und Winter in Deutschland. Der Virologe Christian Drosten rechnet mit einer ,,starken Inzidenzwelle" von Corona-Infektionen ,,noch vor Dezember", der Bioinformatiker Lars Kaderali erwartet hingegen einen nicht allzu heftigen Anstieg. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geht von einer ,,mittelschweren" Herbstwelle aus.
Drosten, Direktor der Virologie am Berliner Universitätsklinikum Charité, sagte der ,,Süddeutschen Zeitung", neue Virusvarianten sorgten immer noch für viele neue Krankheitsfälle. Selbst bei leichten Krankheitsverläufen werde dies wahrscheinlich zu erheblichen Arbeitsausfällen führen. ,,Infizierte kommen vielleicht nicht ins Krankenhaus, aber sehr viele sind eine Woche krank. Wenn es zu viele auf einmal sind, wird es zum Problem", so Drosten.
Kaderali geht von nicht zu heftiger Winterwelle aus
Hingegen meint der Greifswalder Bioinformatiker Kaderali, der dem Corona-Expertenrat der Bundesregierung angehört, in den zurückliegenden Monaten seien viele Menschen durch Kontakt mit dem Virus immunisiert worden. Die Infektionszahlen seien gesunken, ohne dass besondere Maßnahmen ergriffen worden sein. ,,Das bedeutet eben, das Virus ist wirklich durchgelaufen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Wegen der breiteren Immunität zusätzlich zu Impfungen rechnet Kaderali nach eigenen Worten damit, dass die Winterwelle nicht zu heftig wird - solange keine völlig neue Variante auftaucht.
Drosten geht von Firmenschließungen im Winter aus
Drosten wies allerdings auf Indizien dafür hin, dass der Schutz vor Weiterübertragung bei einer Infektion mit Omikron nicht lange anhält. ,,Ein Infizierter, dessen letzte Infektion länger als drei Monate zurückliegt, trägt genauso viel Virus im Rachen und kann deshalb wahrscheinlich genauso viele andere infizieren wie jemand, der noch nie infiziert war." Das gelte auch für Geimpfte.
Wichtig werde sein, dass die Politik die Situation genau beobachte, sagte Drosten. ,,Bevor so viele krank werden, dass man nichts mehr einkaufen kann, dass die Krankenhäuser nicht mehr funktionieren oder kein Polizeibeamter auf der Wache sitzt, muss man Maßnahmen ergreifen." Er forderte die Politik auf, schon jetzt auf einen Konsens hinzuarbeiten, ,,bei welchen Signalen man wie handeln will".
,,Im Notfall braucht es sofortige und durchaus einschneidende Entscheidungen". Drosten erwartet zum Beispiel, dass das Maskentragen in Innenräumen wieder notwendig wird. Mit Blick auf die Wirtschaft sagte er: ,,Ich gehe auch davon aus, dass es durchaus auch Firmen geben wird, die mal für zwei Wochen schließen müssen."
Virologin Protzer erwartet keine Überlastung der Krankenhäuser
Die Münchner Virologin Ulrike Protzer erwartet keine Überlastung der Krankenhäuser in einer möglichen Corona-Winterwelle. «Wir haben durch die Impfungen und durch die durchgemachten Infektionen eine sehr gute Immunlage aufgebaut», sagte die Medizinerin der TU München der «Augsburger Allgemeinen» (Dienstag). In einigen Wochen werde man zwar mit einem Anstieg bei Atemwegserkrankungen, darunter auch Corona, rechnen müssen. Aber: «Unser Immunsystem ist viel besser vorbereitet als in den letzten zwei Jahren.» Deshalb erwarte sie nicht, dass es zu einem massiven Anstieg der Krankenhausaufnahmen wegen Covid-19 komme.
Die Corona-Impfungen nannte die Medizinerin einen echten «Gamechanger». Vor den Impfungen habe Corona gerade bei älteren Menschen schwere, teils dramatische Verläufe verursacht. «Seit ein Großteil dreifach geimpft ist, ist das komplett anders.» Dagegen müsse man eine verstärkte Grippewelle durchaus befürchten, sagte Protzer. «Da hatten wir durch das konsequente Maskentragen in den vergangenen zwei Jahren sehr wenige Fälle, aber das wird uns dieses Jahr wieder treffen.»
Lauterbach sieht Deutschland gut vorbereitet
Bundesgesundheitsminister Lauterbach zeigte sich in der ,,Rheinischen Post" zuversichtlich, dass die Regierung ,,auf alle Szenarien sehr gut vorbereitet" ist. ,,Wir werden die Corona-Welle in diesem Jahr im Griff behalten." Auf Twitter wies er am Samstagmorgen auf Drostens Interview hin und erwähnte dabei als Schutzmaßnahme auch ,,Obergrenzen im Innenraum", die die Länder bei Bedarf festlegen können. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) kritisierte am Samstag, bei den Handlungsregeln drohe ein Flickenteppich in Deutschland.
Neues Gesetzespaket erlaubt schärfere Vorgaben
Der Bundestag hatte am Donnerstag Corona-Regeln für Herbst und Winter beschlossen. Das Gesetzespaket ermöglicht generell wieder schärfere Vorgaben zu Masken und Tests. Die Zustimmung des Bundesrats steht noch aus - das Thema steht am Freitag auf der Tagesordnung. Die Regeln sollen ab dem 1. Oktober bis zum 7. April 2023 gelten. Dazu gehören etwa Maskenpflichten in Fernzügen, Kliniken und Arztpraxen, aber nicht mehr in Flugzeugen. Die Bundesländer können auch in Restaurants und anderen Innenräumen wieder das Tragen von Masken vorgeben.
Das Robert Koch-Institut gab die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz der Corona-Neuinfektionen am Samstag mit 230,6 an. Am Vortag hatte der Wert pro 100 000 Einwohner und Woche bei 229,5 gelegen (Vorwoche: 230,5; Vormonat: 366,8). Diese Angaben zeigen aber nur ein sehr unvollständiges Bild. Experten gehen von einer hohen Zahl nicht erfasster Fälle aus - vor allem weil bei weitem nicht alle Infizierten einen PCR-Test machen lassen. Nur positive PCR-Tests zählen in der Statistik. Nachmeldungen oder Übermittlungsprobleme können zudem zu einer Verzerrung einzelner Tageswerte führen.