S2k-Leitlinie Neurologische Manifestationen bei COVID-19
Die Leitlinie gibt Empfehlungen für die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion hinsichtlich neurologischer Manifestationen, von neurologisch Erkrankten mit und ohne SARS-CoV-2-Infektion, von Betroffenen mit neurologischer Long- bzw. Post-Covid-Symptomatik und für den Umgang mit möglichen neurologischen Impfkomplikationen.1,2
Lesedauer: ca. 5 Minuten

Redaktion: Dr. Linda Fischer
Basisdaten der Leitlinie
- Leitlinie: S2k-Leitlinie Neurologische Manifestationen bei COVID-19
- Stufenklassifikation: S2k (konsensbasiert)
- AWMF-Register-Nr.: 030 - 144
- Stand: 15.01.2024; gültig bis 14.01.2029
- Federführende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e. V. (DGN) 1
Einige Neuerungen aus der Leitlinie: Post-Covid, Impfung
Nach einer SARS-CoV-2-Infektion können neurokognitive Symptome persistieren. Ist dies für mehr als 3 Monate nach der Akutinfektion der Fall, spricht man von Post-Covid.
Bestehende neurologische Erkrankungen sind, Stand heute, keine Kontraindikation gegen eine SARS-CoV-2-Impfung. Die Impfung ist auch unter Immuntherapie sinnvoll.
In zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung wurden bisher verschiedene neuromuskuläre Manifestationen beschrieben. Ein wahrscheinlicher Zusammenhang ist allerdings nur zwischen Vektor-basierten Impfstoffen und dem Guillain-Barré-Syndrom (GBS) nachgewiesen. Nach der Impfung mit Vektorimpfstoffen kann es zudem zu einer Vakzin-induzierten immunthrombotischen Thrombozytopenie (VITT) mit Hirnvenen- und Sinusthrombosen kommen.2
In unserem Überblick zu Leitlinien der Neurologie finden Sie eine Auswahl neuer und aktualisierter Leitlinien und Empfehlungen, die besonders für Neurologinnen und Neurologen relevant sind.
Neuroimmunologische Manifestationen: Risikofaktoren bei MS
Für Patientinnen und Patienten unter einer Immuntherapie besteht nicht generell ein erhöhtes Infektions- und Mortalitätsrisiko. Lediglich für monoklonale CD20-Antikörper wird von erhöhten Risiken bei Covid-19 berichtet. Prognostisch ungünstig für den Covid-19-Verlauf bei Menschen mit Multiple Sklerose (MS):
- höheres Alter,
- hoher Grad der Behinderung
- Übergewicht
Enzephalopathie: höhere Mortalität, keine Evidenz für Therapien
Verglichen mit Menschen mit Covid-19 ohne Enzephalopathien zeigen Personen mit dieser neurologischen Manifestation eine höhere Morbidität und Mortalität. Belastbare Grundlagen für Therapiemaßnahmen fehlen bisher.
Enzephalitis: sehr selten mit SARS-CoV-2-Nachweis
Eine akute Enzephalitis kann u. a. para- oder postinfektiös infolge einer SARS-CoV-2-Infektion auftreten. Eine durch SARS-CoV-2 hervorgerufene Virusenzephalitis mit Virusnachweis im Liquor ist aber sehr selten.
Zerebrovaskuläre Erkrankungen
Eine SARS-CoV-2-Infektion ist mit einem erhöhten Risiko für ischämische Schlaganfälle verbunden – besonders in den ersten Wochen nach der Infektion. Patientinnen und Patienten mit typischem kardiovaskulärem Risikoprofil unterliegen dabei einem erhöhten Risiko.
Es kommt aber auch vereinzelt zu kryptogenen Schlaganfällen bei jüngeren Menschen mit Covid-19 ohne nennenswertes kardiovaskuläres Risikoprofil. Vermittelt wird die Assoziation vermutlich über eine inflammatorisch und immunologisch vermittelte Aktivierung des Gerinnungssystems oder über vaskuläre Komplikationen infolge schwerer Organschäden.
Patientinnen und Patienten mit zerebrovaskulären Erkrankungen in der Anamnese unterliegen einem höheren Risiko für einen schwereren Covid-19-Verlauf.
Neu auftretende Epilepsie bei Erwachsenen ist selten
Dass akut symptomatische Anfälle oder eine Epilepsie während oder nach einer SARS-CoV-2-Infektion neu auftreten, ist selten. In den ersten 6 Monaten nach Covid-19 treten signifikant häufiger als nach einer Influenza erstmals unprovozierte epileptische Anfälle auf. Die gilt v. a. für Menschen ≤ 16 Jahre und ambulant behandelte Patientinnen und Patienten. Die Mortalität bei Menschen mit Epilepsie, die an Covid-19 erkranken, ist nicht erhöht.
Neuromuskuläre Erkrankungen: Kein genereller Risikofaktor
Eine bereits existierende neuromuskuläre Erkrankung stellt nicht grundsätzlich einen Risikofaktor für erhöhte Morbidität und Mortalität bei einer SARS-CoV-2-Infektion dar. Jedoch kann sich eine Myasthenia gravis bei Infektion verschlechtern.
In zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung wurden neuromuskuläre Manifestationen wie Hirnnervenaffektionen, GBS, Polyneuritiden und Myositiden beschrieben. Im Falle eines intensivmedizinischen Covid-19-Verlaufs kann es zu Critical-Illness-Polyneuropathie und Critical-Illness-Myopathie kommen.
Ein GBS in Zusammenhang mit SARS-CoV-2 spricht laut Leitlinie auf intravenöse Immunglobuline oder Plasmaaustauschverfahren an.
Störungen der Chemosensorik: Anosmie, Ageusie
Bei mehr als 85 % der Patientinnen und Patienten, die im Zuge einer Covid-19-Erkrankung an Riechstörungen leiden, bilden sich diese innerhalb von 6 Monaten zurück. Eine Anosmie ist häufig durch die Infektion von Stützzellen im Riechepithel und lokale Entzündungsreaktionen bedingt. Seltener liegt die Ursache in einer Infektion der olfaktorischen Neurone oder des Riechhirns.
Neurologische Intensivmedizin
Bei intensivpflichtigen Patientinnen und Patienten umfassen die häufigsten neurologischen Manifestationen Enzephalopathien, Koma, Neuromyopathien und Schlaganfälle. Intrazerebrale Blutungen sind wohl mit Covid-19-assoziierter Endothelitis, therapeutischer Antikoagulation und ECMO (extrakorporale Membranoxygenierung) assoziiert.
Post-Covid: Gedächtnisstörung, Fatigue, Myalgie, Neuropathien
Beschwerden von Long-Covid oder Post-Covid sind unabhängig vom Schweregrad der Akutinfektion. Unterschieden werden Symptome, die gehäuft nach der SARS-CoV-2-Infektion beschrieben sind, von bekannten neurologischen Krankheitsbildern, die nach Covid-19 auftreten können.
Symptome, die Patientinnen und Patienten auch noch nach 3 Monaten nach der Akutinfektion beschreiben, umfassen Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Fatigue, Kopfschmerzen, Myalgien und Neuropathien. Pathophysiologisch werden psychosoziale Faktoren diskutiert, sowie metabolische Veränderungen, eine postinfektiös fortbestehende Entzündung, Koagulopathie oder immunvermittelte Mechanismen.
Eine kausale Therapie gibt es, Stand heute, nicht. Bei Hinweisen auf einen autoimmunologischen Erkrankungsmechanismus kann immunmodulatorisch therapiert werden.
Eine Covid-19-Impfung kann vor Post-Covid-Beschwerden schützen. Wegen der vielen Symptome bei Post-Covid, empfiehlt die Leitlinie eine interdisziplinäre Behandlung und weitere Versorgung der Betroffenen.
Rehabilitation bei neurologischen Manifestationen durch Covid-19
Um Covid-19-bedingte kognitive Störungen zu diagnostizieren, müssen eine stattgefundene SARS-CoV-2-Infektion nachgewiesen und die kognitiven Einbußen psychometrisch objektiviert werden. Es gilt, subjektive kognitive Beschwerden davon abzugrenzen.
Covid-19-bedingte Fatigue-Symptome können oft ambulant durch Trainingsbehandlung und kognitive Verhaltenstherapie behandelt und so Funktionen und Teilhabe von Betroffenen verbessert werden. Im Falle einer ausgeprägten belastungsinduzierten Symptomverschlimmerung (postexertionelle Malaise) bedarf es einer Betreuung, die Betroffene im Umgang mit der Erkrankung und im Rahmen eines Alltag- und Teilhabe-fördernden Selbstmanagements schult.
Covid-19-Impfungen: Stiko-Empfehlungen beachten
Die Covid-19-Impfungen gelten als nebenwirkungsarm. Beim Impfen und Boostern mit mRNA- und Vektorimpfstoffen sind die aktuellen Empfehlungen der Stiko zu beachten.
In sehr seltenen Fällen können die in Deutschland zugelassenen Impfstoffe nach Erstgabe zu einer akuten Rhabdomyolyse, Fazialisparesen oder einem GBS führen. Nach Vektorimpfstoffen wurden gehäuft Hirnvenen- und Sinusthrombosen beobachtet. Das Risiko dafür ist aber deutlich geringer als das Auftreten einer Thrombose im Rahmen einer Covid-19-Erkrankung.
Das häufigste Leitbild der VITT: starke Kopfschmerzen, reduzierte Thrombozytenzahl, erhöhte D-Dimere, spezifische Plättchenfaktor-4-Antikörper und positiver VITT-Funktionstest. Therapiert wird mit Immunglobulinen und heparinfreier Antikoagulation.


