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Leben als Arzt

19. Dez. 2022
Die Wim-Hof-Methode

Eisbäder für die Stärkung des Immunsystems

Atmen, Meditieren und sich der Kälte aussetzen – das sind die 3 Säulen der Wim-Hof-Methode. Obwohl die positive Wirkung nicht zweifelsfrei belegt ist1, hat der Niederländer Wim Hof inzwischen viele Anhänger. Wir stellen die Methode vor.

Lesedauer: ca. 9 Minuten

Eisbaden Mann
(Foto: © Getty Images / Cavan Images)

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung des Kapitels „Die Wim-Hof-Methode – ein homöostatischer Weg“ von Daniel Ruppert aus dem Buch „Mindful Doctor“ | Redaktion: Nathalie Haidlauf

Unser heutiger Lebensstil hat sich weitestgehend von der natürlichen Welt, ihrer Wechselhaftigkeit und ihren natürlichen Stressoren abgekoppelt. Als Folge dieser Abkopplung werden unsere über Jahrtausende gelernten und auf die Natur abgestimmten Überlebensmechanismen und die damit verbundenen mentalen und physischen Benefits nicht mehr stimuliert.

Der niederländische Extremsportler Wim Hof hat mit seiner Wim-Hof-Methode (WHM) einen Weg geschaffen, um genau diese Überlebensmechanismen auf natürli­che Weise wieder zu reaktivieren.

Die 3 Säulen der Wim-Hof-Methode

Die WHM besteht in ihrem Kern aus drei Säulen. Der Atmung in Form von Atemtechniken, der Kälte in Form von Kälteexpositionen wie Eisbäder, kalten Duschen oder Frei­lufttrainings sowie dem dazugehörigen Mindset in Form von Meditation, Fokustrai­ning und einer veränderten Einstellung und Wahrnehmung (Abb. 1).

Alle drei Säulen arbeiten eng zusammen und erreichen ein gezieltes Training des Körpers gegenüber Stress über seine natürlichen Selbstregulationsmechanismen auf biochemischer, hormoneller und mentaler Ebene. Man nutzt quasi die ange­borene natürliche Anpassungsfähigkeit des Körpers und optimiert bzw. trai­niert ihn durch wiederholtes Anwenden.

Indem man drei Säulen – Atmung, Kälte und Mindset (bzw. Meditation) – miteinander kombiniert, zapft man eine spezielle innere Körperkraft an, die mit zwei natürlichen Ressourcen in Verbindung steht, Sauerstoff und Kälte. Der Effekt dieses Drei-Säulen-Trainings auf den Körper und den Gemütszustand wurde über Jahre wissenschaftlich untersucht. Sowohl die Forschungen als auch die Rückmeldungen von Praktizierenden zeigen, dass es möglich ist, das vegetative Nervensystem positiv zu beeinflussen und den Körper so zu optimieren, dass er seine Energiereserven erhöhen, sein Immunsystem stärken, Stress abbauen und insgesamt schneller regenerieren kann.

Die drei Säulen der Wim-Hof-Methode
Abb. 1: Die drei Säulen der Wim-Hof-Methode (Foto: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft)
Die drei Säulen der Wim-Hof-Methode
Abb. 1: Die drei Säulen der Wim-Hof-Methode (Foto: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft)

Eine wiederkehrende Stimulation durch eine niedrigere Dosis natürlicher Stres­soren hat einen schützenden Effekt vor intensivem Stress in jeglicher Art oder kurz gesagt: Niedrige Dosen von natürlichem Stress erhöhen auf längere Sicht die Resistenz gegenüber größeren Dosen von Stress jeglicher Art. Dieses Trainingsprinzip macht sich die Wim-Hof-Methode zunutze und durch die Kombination ihrer drei Säulen wird der Körper angeregt seine Widerstandskräfte zu trainieren und dabei seine Heil­kräfte zu aktivieren.

Die Wim-Hof-Atemtechnik – eine biochemische „Achterbahnfahrt“

Die Wim-Hof-Atemtechnik versteht man am besten über das Prinzip der norma­len Atmung beim Menschen. Beim normalen Atmen löst der steigende Kohlenstoffdioxid-Partialdruck (pCO2) im arteriellen Blut als wichtigster Atemreiz das Einatmen aus. D.h., übersteigt pCO2 einen gewissen Wert, erfolgt ein Atemzug und der Sauerstoff (hellblaue Linien) kehrt zurück in den Ausgleichswert, gemäß dem beschriebenen Prinzip der Homöostase.

Genau hier setzt die WHM-Atemtechnik an, d.h. zuerst wird durch kontrolliertes Abatmen im Teil 1 (Hyperoxigenation) der CO2-Wert im Blut willentlich gesenkt und dadurch der Atemreiz zeitlich verzögert. Dies macht man sich dann in Teil 2, der Atem-Anhalte-Phasen zunutze, indem auf kontrollierte Weise durch Luft anhalten mit leerer Lunge die Sauerstoffsättigung im Körper soweit abgesenkt wird, dass dieser in den Bereich der sogenannten intermittierenden Hypoxie, der Sauerstoffunterversorgung, rutscht. Danach wird bei Teil 3, dem sogenannten „Recovery Breath“, durch einmaliges Einatmen und kurzzeitigem Luft anhalten mit voller Lunge der CO2 Wert im Körper erhöht, wäh­rend gleichzeitig der Sauerstoff wieder in den Normalwert zurückkehrt.

Da die Wim-Hof-Atemtechnik dem Körper auf natürliche Weise Stress bereitet, findet wortwörtliche eine biochemische Achterbahnfahrt statt. Durch den Wech­sel der CO2/O2-Sättigung des Blutes in den verschiedenen Atem-Phasen 1–3 pendelt der Säure-Basen-Haushalt zwischen respiratorischer Alkalose (basisch) und respi­ratorischer Acidose (sauer), während sich das autonome Nervensystem phasengleich zwischen Sympathikus und Parasympathikus hin und her reguliert. Als Antwort auf all diese Stressoren ruft der Körper seine natürlichen Selbstregula­tionsmechanismen auf biochemischer, hormoneller und mentaler Ebene ab und reguliert das System in den Ausgleich zurück. Der gesamte Körper und seine Bio­chemie werden komplett neu geordnet, quasi „neu gestartet“.

In der Medizin ist dieser kontrollierte Zustand der Unterversorgung gefolgt von einer Überversorgung mit Sauerstoff als intermittierende bzw. kontrollierte Hypoxieatmung bekannt und wird gezielt genutzt, um im Körper sauerstoffregu­lierende, trainingsadaptative und präventiv gesundheitsfördernde Mechanismen zu stimulieren. Die Wirkung der Wim-Hof-Atemtechnik im Körper ist sehr ähn­lich und das führt zum Schluss, dass sie einerseits wirksam die Behandlungen verschiedener Erkrankungen unterstützen kann, andererseits auch zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und Regeneration z.B. im Sport genutzt werden kann.

  • Steigerung der Herz-Raten-Variabilität (HRV) und des parasympathischen Tonus = Stressresilienz, Regeneration, Entspannung und verbesserte Schlafqualität
  • effizientere mitochondriale ATP-Produktion (Phosphorylisierungsrate, mehr ATP pro O2) = Erhöhung der Grundenergie des Körpers
  • Stimulation der Erythropoiese. d.h. Erhöhung der Hämoglobinmasse und der Sauerstofftransportkapazität = Steigerung der aeroben Leistungsfähig­keit
  • gesteigerte Abwehr von Sauerstoffradikalen und Adaptation des Immun­systems durch mehr antioxidative Enzymen und Stressproteine = besserer Schutz in Stresssituationen wie z.B. Erkrankungen
  • Reduzierung der Entzündungen im gesamten Körper durch Erhöhung von Adrenalin und die damit verbundene Erhöhung von Interleukin(IL)-10 (Immunometabolismus)
  • Training der Vasomotion (Ader-Muskel-Bewegung) durch Öffnen und Schließen der Blutgefäße in Abhängigkeit der CO2/O2-Sättigung des Blutes = Unterstützung des Blutflusses und Entlastung der Herzarbeit
Die Wim-Hof-Methode und die Kälte

Die Wim-Hof-Methode nutzt den natürlichen Stressor „Kälte“ und trainiert damit unsere angeborene Anpassungs­fähigkeit darauf, mit schützenden und ausgleichenden Effekten im Körper zu reagieren.

Ist die Umgebungstemperatur zu niedrig, kontrahieren als Erstes die Blut- und Hautgefäße (Vasomotion), der Körper führt kontrolliert das Blut der Extremitä­ten nach innen zu den Organen. Dadurch wird die Wärme tief im Körper gespei­chert, bzw. zurückgehalten (Wärmerückhaltung). Im nächsten Schritt beginnt der Körper durch Muskelaktivierung und Erhöhung des Zellstoffwechsels (Meta­bolismus, erhöhte mitochondriale Aktivität, Aktivierung v. braunem Fettgewebe) selbst Wärme zu produzieren.

Die Wim-Hof-Methode macht sich diesen Regelkreis der kalten Thermogenese gezielt zunutze, um durch kontrollierte Kälteexpositionen die damit verbundenen ausgleichenden und schützenden Mechanismen im Körper anzuregen. D.h. wenn wir mit dem Stressor „Kälte“ in Kontakt kommen, springt als erstes der Sympathi­kus an und signalisiert dem Körper „Stress“. Der Hypothalamus startet unmittel­bar mit der „kalten“ Thermoregulation im gesamten Körper. Als Erstes wird als Antwort Adrenalin und Cortisol erhöht. Dies bewirkt eine Vertiefung der Atmung und eine Beschleunigung des Stoffwechsels, d.h. die Bereitstellung von Energie wird erhöht, in dem Glucose in der Leber mobilisiert und der Fettabbau angekur­belt wird. Weiterhin wird die geordnete Kontraktion der Blut- und Hautgefäße (Vasomotion) in den Gliedmaßen und der Hautoberfläche eingeleitet. Dadurch drückt der Körper das Blut von den Extremitäten in den Torso zurück und „spei­chert“ es dort. Die Wärmerückhaltung beginnt.

In einem zweiten Schritt beginnt nun der Körper aufgrund einer drohenden Hypo­thermie (Abfall der Körperkerntemperatur auf unter 36 °C), eigene Wärme zu pro­duzieren. Die physische Thermogenese wird über einen Erhöhung des Muskel­tonus vor allem der Atemmuskulatur (Interkostalmuskulatur), Gänsehaut und Zittern realisiert. Gleichzeitig startet die über Hormone gesteuert chemische Thermogenese und erhöht den Zellstoffwechsel und die mitochondriale Aktivität (Wärmeerzeugung ohne Muskeltätigkeit).

Auch wird als Reaktion auf den Kältekontakt die Gehirnaktivität verändert, d.h. die Selbstwahrnehmung von Körper und Emotionen (weniger Aktivität in der Inselrinde Insula) wird reduziert und die Schmerzhemmung erfolgt durch die Aktivierung des PAG (Periaquäduktales Grau, Schmerzwahrnehmung und -modu­lierung).2

Bei all diesen genannten Mechanismen spielen primär die Schilddrüse und ihre Hormone (T3, T4) als auch sekundär die Hormone Melatonin, Serotonin und Dopamin zur Stabilisierung der Körper-Kerntemperatur (Homöostase) eine ent­scheidende Rolle.

Die Wirkung all dieser Selbstregulationen zeigt sich physisch z.B. in einem ver­besserten Hormonhaushalt, einem gestärkten Immunsystem, der Reduzierung von Entzündungswerte und einer Erhöhung der Stoffwechselaktivitäten. Men­tal wird aufgrund der „Good Feel“-Hormone ein besseres Stressmanagement, eine tiefere Entspannung und eine verbesserte Stimmung wahrgenommen.

Die Wim-Hof-Methode in Aktion – Immunometabolismus

In einer Studie aus dem Jahre 20203, welche auf einer vorherge­henden Studie aus dem Jahre 20144 aufbaut, ist der Effekt der Steigerung der Immunabwehr durch die Anwendung der gesamten WHM-Methode (Atmung, Kälte, Mindset) als Trainingsvorbereitung zur Studie, aber explizit der unmittelbaren Anwendung der WHM-Atemtechnik bei der Durchfüh­rung der Studie beschrieben.

Der Fokus lag auf der Möglichkeit der willentlichen Aktivierung des sympathi­schen Nervensystems und damit verbunden dem Immunsystem. Bisher galten sowohl das autonome Nervensystem als auch das angeborene Immunsystem als

Systeme, die nicht willentlich beeinflusst werden können. Die Ergebnisse der vor­liegenden Studien zeigten jedoch, wie durch die WHM und das üben ihrer drei Säulen (Atmung, Kälte, Meditation) durch ein Kurzzeit-Trainingsprogramm, das sympathische Nervensystem und das Immunsystem tatsächlich willentlich beeinflusst werden können.

Das Experiment bestand darin, einer durch die Wim-Hof-Methode trainierte Gruppe von zwölf Personen und einer untrainierten Gruppe gleicher Anzahl eine intravenöse Verabreichung von bakteriellem Endotoxin zu unterziehen, um dann im Vergleich die Immunantwort und die Körperreaktionen zu untersuchen.

Das Ergebnis war, gesunde Probanden, die die erlernten WHM-Techniken übten und während des Experiments die WHM-Atemtechnik in einer Zeit von drei Stunden anwendeten, zeigten einen deutlichen Anstieg der Adrenalinausschüt­tung, was wiederum zu einer erhöhten Produktion von entzündungshemmenden Mediatoren und einer anschließenden Dämpfung der proinflam­matorischen Zytokinreaktion (Kox et al. 2014) führte, die durch die intravenöse Verabreichung von bakteriellem Endotoxin ausgelöst wurde.

D.h. als Folge der unmittelbaren Anwendung der WHM-Atemtechnik stiegen im Körper die Adrenalinausschüttung und leicht zeitversetzt das entzündungshem­mende Protein IL-10 stark an (ca. 200%). Die proinflammatorischen Mediatoren (IL-6, IL-8, TNF Alpha) im Körper (ca. 50%) sanken, während sich die Konzentration der weißen Blutkörperchen messbar erhöhte. Weiterhin stieg infolge der Effekte der Atemtechnik der pH-Wert des Blutes stark an und die CO2-Werte sanken, d.h. das Blut der Wim-Hof-Trainingsgruppe war basischer (respiratorische Alkalose).

Die Ergebnisse werden durch die Fallstudie von Kox, Stoffels et al. 2012 untermau­ert, in der man herausfand, dass ein erhöhter Adrenalinspiegel infolge von Kälte­exposition das Immunsystem angeregt/reguliert und die Entzündungen im Kör­per durch die Steigerung von IL-10 reduziert. D.h., unterschwellige Entzündung im Körper gehen effektiv zurück.

All diese Studien könnten wichtige Hinweise zur Behandlung einer Vielzahl von Erkrankungen geben, die mit übermäßigen oder anhaltenden Entzündungen ein­hergehen, insbesondere Autoimmunerkrankungen, bei denen Therapeutika, die proinflammatorische Zytokine antagonisieren, große Vorteile gezeigt haben.

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Anmerkung: Die Verlosung ist abgeschlossen und die Gewinnerin wurde bereits informiert.

Zusammenfassung – Es geht um die Summe, nicht nur die Teile

In unserer heutigen Welt ist unser Lebensstil von der Wechselhaftigkeit einer natürlichen Umwelt abgekoppelt und wir meiden weitestgehend natürliche Stressoren, obwohl diese für unsere Gesundheit, unseren Hormonhaushalt und für unser Immunsystem essenziell wichtig sind. Aufgrund dieser Abkopplung werden unsere uralten Überlebensmechanismen nicht mehr ausgelöst und wir verlieren die physischen und auch mentalen Benefits, die diese Mechanismen im Körper hervorrufen. Der künstliche Alltagsstress von heute kann diese natürlichen Mechanismen nicht hervorrufen und wir verlieren dadurch unsere Widerstandskräfte.

Die Wim-Hof-Methode stellt daher einen effektiven Weg dar, um diese tiefen physiologischen und mentalen Prozesse zu stimulieren und dadurch das volle Heilungs- und Regenerationspotenzial unseres Körpers zu nutzen, innere Stärke, Belastbarkeit und innere Ruhe aufzubauen und Stress abzubauen.

Über den Autor:

Daniel Ruppert berät als zertifizierter Wim-Hof-Methode Instruktor (Level 2), Atem- und Kältetrainer sowie Meditationslehrer Gruppen, Teams und Firmen, wie man durch bestimmte Techniken  Arbeits- und Alltagsstress managen und dabei seine Leistungsfähigkeit erhöhen kann. Er trainiert seit mehr als 15 Jahren asiatische Kampfkunst und Meditation, wurde in China und Deutschland ausgebildet. Er ist mehrfacher Deutscher Meister und Vize-Europameister im Gong Fu.

*Teilnahmebedingungen: Alle, die eine E-Mail mit dem Betreff „Buchverlosung“ an [email protected] senden, nehmen automatisch an der Verlosung teil. Der Gewinner bzw. die Gewinnerin wird von der coliquio-Medizinredaktion Anfang Januar ausgelost und über den Gewinn informiert. Die Adressdaten des Gewinners bzw. der Gewinnerin werden von coliquio an die Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft weitergegeben, damit der Gewinn versandt werden kann. Die Daten werden ausschließlich für den Zweck des Versands gespeichert und danach gelöscht. Für weitere Informationen lesen Sie bitte unsere Datenschutzhinweise.

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