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Leben als Arzt

26. März 2021
Leben als Schiffsarzt

Maritime Besonderheiten, Arbeitsalltag, Gehalt

Im zweiten Teil des Beitrags berichtet PD Dr. Christian Ottomann über den Arbeitsalltag eines Arztes an Bord und zieht Vergleiche zur ärztlichen Tätigkeit an Land. Außerdem erfahren Sie, ob sich das Anheuern auf einem Schiff auch finanziell lohnt.

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Interview und Redaktion: Dr. Nina Mörsch

Auf welche maritim-medizinischen Besonderheiten sollte ein Arzt vorbereitet sein?

Ein Schiffsarzt sollte nicht nur in der Notfallmedizin firm sein, sondern sich mit Diagnosen und Therapien verschiedenster Fachgebiete auskennen. Auch Notfälle aus Dermatologie, Neurologie, Gynäkologie oder der Zahnmedizin müssen unter Umständen versorgt werden.

Maritime-medizinische Besonderheiten sind Unterkühlung und Ertrinkungsnotfälle. Hinzu kommen tropische und reisemedizinische Erkrankungen bei der Crew, die oftmals aus exotischen Ländern stammen und nach dem Heimaturlaub erkrankt, aber zum Teil noch symptomlos an Bord kommen. Vor Corona war das Management von Norovirus-Ausbrüchen eine Besonderheit. Seit der Pandemie gibt es leider auch Corona-Superspreader-Ereignisse.

Schiffsarzttraining
Schiffsarzttraining
Schiffsarzttraining
Schiffsarzttraining

Für das Management von Virenausbrüchen liegen spezielle Rollen- und Notfallpläne bereit. Auch der Umgang mit Todesfällen an Bord, gegebenenfalls Beweissicherung, sexuelle Belästigung sind besondere Herausforderungen. Um Schiffsärzte – und ärztinnen für diese Besonderheiten zu wappnen, veranstalten wir einmal im Jahr den Kompaktkurs Maritime Medizin.

Medizinische Ausstattung der Schiffe
Bordhospital auf der Queen Mary 2
Bordhospital auf der Queen Mary 2
Bordhospital auf der Queen Mary 2
Bordhospital auf der Queen Mary 2

Die medizinisch-technische Ausstattung ist auf Schiffen ausgezeichnet und entweder durch den Flaggenstaat oder durch die CLIA (Cruise Lines International Association) vorgegeben. Auf den großen Kreuzfahrtschiffen entsprechen die Bordhospitäler einer kleinen ICU. Der Flaschenhals ist da eher der Schiffsarzt, der die Geräte nicht richtig bedienen kann, weshalb Anästhesisten als Schiffsärzte so beliebt sind. Sie können eine intensivmedizinische Therapie bis zum nächsten Hafen durchführen, ansonsten erfolgt die Evakuierung (Abbergung) mittels Rettungshubschrauber.

Mini-Bordhospital auf dem Segelkreuzfahrtschiff Seacloud
Mini-Bordhospital auf dem Segelkreuzfahrtschiff Seacloud
Mini-Bordhospital auf dem Segelkreuzfahrtschiff Seacloud
Mini-Bordhospital auf dem Segelkreuzfahrtschiff Seacloud

Bei der luftgebundenen Abbergung hat interessanterweise das amerikanische Militär eine weltweit unerreichte Expertise. Nur die Navy schafft es Rettungshubschrauber in der Luft aufzutanken und so den Hubschrauber-Radius entsprechend unlimitiert zu erhöhen. Obgleich ich Zivilist und Pazifist bin, ist diese logistische Rettungskette bewundernswert. Aber um auf die Ausstattung des Bordhospitals zurückzukommen, der Schiffsarzt sollte auf jeden Fall alle Geräte bedienen können, da er sonst in ein sogenanntes Übernahmeverschulden geraten kann.

Kurz vor Beginn der Pandemie sind die ersten asiatischen Kreuzfahrtschiffe mit einem MRT an Bord vom Stapel gelaufen, dieses dient vornehmlich der Differenzierung eines Gefäßverschlusses gegenüber einer Hirnblutung beim Schlaganfall. Bei einem Verschluss kann der Schiffsarzt bereits an Bord die Lysetherapie starten, da das Zeitfenster ja sehr limitiert ist.

Möglichkeiten der Telekonsultation von Kollegen an Land

Telekonsulationen sind eine Selbstverständlichkeit auf hoher See. Auf den großen Kreuzfahrtschiffen werden sogar alle Röntgenbilder zur radiologischen Zweitbefundung telemedizinisch an Land übertragen. Aber zum Beispiel kann sich der Schiffsarzt auch bei einem auffälligen EKG jederzeit von einem kardiologischem Kollegen telemedizinisch beraten lassen.

Dafür steht für jedes Schiff, das weltweit unter deutscher Flagge operiert, an 24 Stunden und 365 Tagen die funkärztliche Beratung Cuxhaven zur Verfügung. Er wurde weltweit 1931 als erster medizinischer Beratungsdienst für Schiffe gegründet. Jedes Küstenland hat einen Telemedical Maritime Assistance Service (TMAS), den der Schiffsarzt in Anspruch nehmen kann.

Vorgehen, wenn Patienten eine weiterführende Behandlung benötigen

Ja nachdem wo das Schiff gerade operiert und wie zeitkritisch die notwendige Weiterbehandlung an Land ist, wird in Abstimmung mit den nautischen Offizieren und dem Kapitän entschieden, ob eine luftgebundene (Rettungshubschrauber), wassergebundene (Rettungsboot) oder landgebundene (Fahrt mit maximaler Geschwindigkeit in den nächsten Hafen) Abbergung des Patienten durchgeführt wird.

Allerdings muss man als Schiffsarzt wissen, dass Kreuzfahrtschiffe zu 95% in Landnähe operieren. Fühle ich mich als Schiffsarzt in der Notfallmedizin nicht sicher genug für eine Behandlung an Bord ohne landgebundene Rettungskette im Hintergrund, muss ich zum Beispiel bei den Atlantiküberquerungen nicht anheuern.

Konkludierend kann ich jedem Kollegen und jeder Kollegin zu einer Tätigkeit als Schiffsarzt raten, nichts ist schlimmer als Monotonie im Leben. Und denjenigen, die zweifeln sage ich immer: Sprung ins kalte Wasser!

Wie sieht der Arbeitsalltag aus? Welche Unterschiede gibt es zur Tätigkeit an Land? 

Crew Training in Erste-Hilfe-Maßnahmen
Crew Training in Erste-Hilfe-Maßnahmen
Crew Training in Erste-Hilfe-Maßnahmen
Crew Training in Erste-Hilfe-Maßnahmen

Die Einsatzzeiten an Bord sind völlig unterschiedlich und reichen von einer Woche bis mehreren Monaten – je nach Schiff und Ziel. Der klassische Arbeitsalltag besteht in der Sprechstunde für die Gäste von 09:00 – 12:00 Uhr und am frühen Nachmittag für die Crew. Hinzu kommen Hygieneaufsicht, insbesondere bei einem Norovirus-Ausbruch, und zahlreiche Trainings der Crew, sogenannte Drills (rechts im Bild) in Erste-Hilfe-Maßnahmen. Leider bleibt uns auch an Bord eine gewisse bürokratische Dokumentationspflicht nicht erspart.

“Wundervolle Abwechselung zum medizinischen Alltag”

Die Schiffsarzttätigkeit ist eine wundervolle Abwechslung zum medizinischen Alltag und zur Praxismonotonie. Da der Schiffsarzt nicht 24 Stunden on duty sein kann, gibt es auf fast allen größeren Schiffen mindestens zwei Schiffsärzte. Das heißt ich habe abwechselnd 24 Stunden Dienst und dann 24 Stunden frei.

Da der Schiffsarzt als medizinischer Offizier 3 bis 3,5 Streifen hat, steht er mit den nautischen Offizieren ganz oben in der Bordhirarchie. Nur der Kapitän hat 4 Streifen. Je mehr Streifen, umso mehr Annehmlichkeiten, wie Nutzung des Spa und der Bezahlrestaurants, und umso mehr Ansehen und Autorität an Bord. Auch die Teilnahme an Landgänge ist gern gesehen.

Konkludierend kann ich jedem Kollegen und jeder Kollegin zu einer Tätigkeit als Schiffsarzt raten, nichts ist schlimmer als Monotonie im Leben. Und denjenigen, die zweifeln sage ich immer: Sprung ins kalte Wasser!

Infobox

Schiffe mit mehr als 100 Personen an Bord und Fahrten über mehr als 3 Tage müssen einen Schiffsarzt an Bord haben. Ab 800 Personen muss ein zweiter Arzt an Bord sein. Die Besetzung von Schiffen mit medizinischem Personal wird durch jeweilige nationale Vorschriften geregelt. Gültig sind die Vorschriften des Landes, unter dessen Flagge das Schiff fährt.

Wieviel verdient ein Schiffsarzt bzw. wie hoch ist die Heuer?

Die Heuer beträgt bei den großen deutschen Kreuzfahrtreedern AIDA und TUI Cruises pro Monat für den Juniordoktor 7500,- Euro und für den Seniordoktor 8500,- Euro. Junior- und Seniorstatus hat nichts mit dem Alter oder der Berufserfahrung zu tun, sondern Seniordoktor wird derjenige, der mindestens 3 Monate an Bord angeheuert war.

Der Seniordoktor hat mehr repräsentative Aufgaben, so dass einige Kollegen den Juniordoktor-Status bevorzugen. Allerdings kann mit dem Seniordoktorstatus eine Begleitperson kostenlos mitgenommen werden.

Welche außergewöhnliche Situation haben Sie selbst an Bord als Schiffsarzt erlebt?

Am liebsten erzähle ich die Anekdote, dass es immer wieder vorkommt, dass Gäste an Bord die Scopolamin-Pflaster gegen Seekrankheit nicht richtig anwenden. Es gibt die sogenannten Doppelkleber, die denken zwei Pflaster helfen mehr als eins. Gerade bei älteren Passagieren, die dann noch grenzwertig exsikkiert sind, können leichte Vergiftungssymptome entstehen, die einem Schlaganfall sehr ähnlich sind.

Daneben gibt es die Sparfüchse, die das Pflaster in zwei Hälften schneiden und sich nur eine Hälfte applizieren. Wenn Sie sich dann unmittelbar das Auge reiben führt das am Finger haftende Sympathomimetikum zu einer einseitigen Pupillenvergrößerung, dass das klassische Symptom einer Hirnblutung ist.

Welche Schiffe bevorzugen Sie persönlich?

Das ist schwer zu sagen. Ich persönlich bevorzuge kleine Schiffe, da dort die Arbeitsbelastung entsprechend niedriger ist. Das schönste Schiff der Welt ist meines Erachtens das Segelkreuzfahrtschiff Seacloud, nicht aber die Seacloud II oder Seacloud III als Replica. Auch die Expeditionsschiffe Ortelius und Plancius sind wundervolle Schiffe, die das Meer und die Seefahrt noch authentisch erleben lassen.

Im übrigen kaufen wir gerade als Eignergemeinschaft unser erstes eigenes Schiff und suchen noch Kollegen und Kolleginnen als Mitstreiter. Dabei verfolgen wir das sogenannte Citizen Science, das bisher nur im angelsächsischen Raum wirklich bekannt ist. Ziel der Eignergemeinschaft ist es, ein Schiff für forschungbegleitete Expeditionskreuzfahrten zu chartern oder zu kaufen.

Unser Schiff soll hochschulunabhängig Foschungsprojekte von NGOs ermöglichen, die ich als Passagier nicht nur begleiten kann. Auf Wunsch kann der Gast an Bord aktiv an dem Forschungsprojekt teilhaben. Mehr Informationen zur “Eignergemeinschaft Poseidon” lesen Sie hier.

Broschüre Eignergemeinschaft Poseidon

So finden Sie eine Anstellung

Wie bei anderen Jobs auch, können sich interessierte Mediziner bei ihrer Suche nach einer Anstellung als Schiffsarzt oder Schiffsärztin direkt bei einer Reederei bewerben oder sich an eine Personalvermittlungsagentur, wie z.B. die Schiffsarztbörse wenden. Je nach Agentur wird eine Vermittlungsgebühr erhoben oder aber die Reederei trägt die Provision.

Priv.-Doz. Dr. med. Christian Ottomann, Facharzt für Chirurgie, hat nach wiederholter Schiffsarzttätigkeit die Liebe zum Meer und zum Reisen entdeckt. Nach beruflichen Einsätzen in der Antarktis, Arktis, Nigeria und Kirgisien gründete er im Jahr 2010 die Schiffsarztbörse. Diese vermittelt Ärzte für maritime Einsätze als Schiffsarzt und bildet mit dem Kompaktkurs Maritime Medizin aktiv neue Schiffsärzte für die Schiffsarztätigkeit auf Kreuzfahrtschiffen und Flusskreuzfahrtschiffen aus. Zur Schiffsarztbörse >>.

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