Schiffsarzt: Ein Job mit Urlaubscharakter?
Das Meer immer vor Augen, ständig wechselnde Reiseziele: Das Leben als Schiffsarzt mutet aufregend und abwechslungsreich an. Tatsächlich bringt der Alltag als Arzt an Bord besondere, nicht nur medizinische Herausforderungen mit sich. Für wen sich der Job wirklich eignet und ob sich das Anheuern auch finanziell lohnt, erfahren Sie hier.
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Interview und Redaktion: Dr. Nina Mörsch
Ob Kliniker, niedergelassener Kollege oder fitgebliebener Arzt im Ruhestand – im Prinzip kann jeder Mediziner an Bord eines Schiffs anheuern. Tatsächlich ist der Bedarf an medizinischem Personal auf hoher See groß, weiß Priv.-Doz. Dr. med. Christian Ottomann. Der Chirurg aus Lübeck war selbst auf maritimen Einsätzen unter anderem in der Antarktis und der Arktis unterwegs.
Vor einigen Jahren hat er deshalb die Schiffsarztbörse gegründet, um Ärzte und Ärztinnen für weltweite Einsätze an Bord zu vermitteln und im Rahmen von Fortbildungen für die Schiffsarzttätigkeit vorzubereiten. Im Interview mit coliquio berichtet er über das Einsatzspektrum von Ärzten auf hoher See und erläutert, welche Eigenschaften neben den medizinischen Voraussetzungen angehende Schiffsärzte mitbringen sollten.
Welche Einsatzmöglichkeiten gibt es für Schiffsärzte?
Die Möglichkeiten sind vielfältig, allerdings variieren die Anforderungen je nach Schiff, Schiffsgröße und Destination. So haben die klassischen Hochseekreuzfahrtschiffe ein ganz anderes Einsatzspektrum für den Schiffsarzt, als z.B. ein Flusskreuzfahrtschiff. Neben diesen beiden gibt es als Einsatzgebiet für den Schiffsarzt noch Expeditionskreuzfahrten und Forschungsschiffe.
Auf Hochseekreuzfahrten verantwortlich für bis zu 5000 Passagiere
Hochseekreuzfahrtschiffe haben meistens mehrere tausend Passagiere an Bord, Ausnahmen sind die kleineren Luxuskreuzfahrtschiffe von Hapag-Lloyd mit unter 1000 Gästen an Bord, plus der Crew, die ja auch behandelt werden muss. Bei den großen Hochseekreuzfahrtschiffen ist der Schiffsarzt mithin für vier bis fünf tausend Menschen an Bord verantwortlich, entsprechend groß muss seine medizinische Erfahrung und notfallmedizinische Routine sein.




Gäste und Crew haben unterschiedliche Diagnosen: Bei den Kreuzfahrtgästen sind es vornehmlich Erkältungen und Norovirus-Infektionen, bei der Crew Rückenbeschwerden und banale Traumata, in 99% also leicht behandelbare Fälle.
Allerdings steigt mit zunehmender Besatzung natürlich auch die Wahrscheinlichkeit eines schweren medizinischen Notfalls. Bei älteren Gästen an Bord kommen Schlaganfälle und Herzinfarkte vor. Der Schiffsarzt an Bord eines großen Hochseekreuzfahrtschiffs sollte daher ein routinierter Notfallmediziner sein. Vornehmlich werden hier deshalb Allgemeinmediziner, Internisten, Anästhesisten und Chirurgen mit notfallmedizinischen Erfahrungen und Zusatzqualifikationen gesucht.
Auf der anderen Seite darf man nicht unterschätzen, dass bei einem Hochseekreuzfahrtschiff mit mehreren tausend Gästen, fast immer auch Ärzte unter den Passagieren sind. Erfahrungsgemäß freuen sich Kollegen, wenn Sie vom Schiffsarzt konsultiert werden. Bereits am Beginn der Reise wird den Ärzten, die als Gast mitreisen, das Bordhospital vorgestellt. Dann weiß der Schiffsarzt, welche verschiedenen Fachrichtungen an Bord sind.
Wer als Arzt auf einem Schiff anheuern will, muss sich zunächst beim Seeärztlichen Dienst der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft registrieren. Hierfür sind nach § 19 der Maritimen-Medizin-Verordnung
- Approbation,
- Facharztanerkennung „Allgemeinmedizin, Anästhesie, Chirurgie oder Innere Medizin“,
- Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“ und eine
- mindestens 4-wöchige Fahrenszeit zur See und umfassende Kenntnisse der gesundheitlichen Anforderungen im Schiffsdienst nachzuweisen.
Außerdem gilt es einen Heuervertrag zur Schiffsarzttätigkeit vorzulegen.
Bei Flusskreuzfahrten sind die Anforderungen in der Regel geringer. Hier habe ich als Arzt die Möglichkeit, jederzeit die landgebundene Rettungskette zu aktivieren und das Schiff stoppen zu lassen. Die Tätigkeit als Arzt ist auf einem Flusskreuzfahrtschiff ist deshalb auch fachgebietsfrei, hier können sogar Weiterbildungsassistenten und -assistentinnen anheuern.
Auf Expeditionskreuzfahren ist Improvisation gefragt
Auf den Forschungsschiffen, die nur aus Besatzung und Forschern besteht, ist die Crew vorwiegend jung und fit, was schon durch die Seediensttauglichkeitsuntersuchung sichergestellt ist. Allerdings kann es zu schweren Traumata und Ertrinkungsnotfällen (Mann über Bord) kommen. Ein Beispiel ist das Fischereiforschungsschiff Walter-Herwig III, das in bestimmten Fahrtgebieten einen Schiffsarzt mitführt.
Weitere besondere Herausforderungen sind Expeditionskreuzfahrten. Auf diesen muss der Schiffsarzt improvisieren können, wenn das Schiff außer der Reichweite einer landgebundenen Weiterbehandlung und außer Reichweite des Rettungshubschrauber-Radius liegt. Ein schönes Beispiel ist die MS Polarstern mit dem Forschungsprojekt Mosaic, das ein Jahr im Eis eingeschlossen war.
Welche Anforderungen kommen auf Schiffsärzte zu? Welche Eigenschaften sind von Vorteil?
Abgesehen vom medizinischen Hintergrund sind Eigenschaften wie Teamgeist und Diplomatie notwendig. Auch bedarf es einer besonderen Belastbarkeit und Persönlichkeitsstruktur, da man je nach Schiff mitunter mehrere Monate auf See verbringt. Außerdem sollte man in der Lage sein, sich der Kommandostruktur und der strengen Bordhierarchie eines Schiffes unterordnen zu können. Über dem Kapitän steht nämlich nur noch Gott.
Da auf großen Schiffen Menschen aus über 50 verschiedenen Nationen arbeiten, ist eine gewisse Multilingualität von großem Vorteil, und Schiffsarztanwärter sollten auf jeden Fall fließend Englisch sprechen. Eine besondere Anforderung ist es, interkulturelle Missverständnisse zu vermeiden. Und das nicht nur in der bekannten notwendigen differenzierten Beurteilung der Schmerzdramatik.
So würde ein asiatischer Seemann dem Schiffsarzt, allein weil er älter oder einen höheren Rang hat, niemals widersprechen. In der asiatischen Kultur ist der Gesichtsverlust ein großer Begriff, der bei Widerspruch entstehen würde. Das kann aber zu gefährlichen Zwischenfällen führen: Es gab die Situation, dass ein Seemann in einer Notfallsituation einen Defibrillator holen sollte, dieser aber nicht wusste was, ein Defi ist.
Seine Kultur hat nicht erlaubt, dem Schiffsarzt zu widersprechen, nachzufragen oder dessen Anweisung zu verweigern. Somit rannte er weg und wurde nicht mehr gesehen. Der Defibrillator kam daher nicht rechtzeitig beim Patienten an – mit entsprechendem Ausgang.
Zwar gibt es keine Altersgrenze für Schiffsärzte. Wer aber zur See fahren will, sollte körperlich und geistig fit, also seedienstauglich, sein. Seediensttauglichkeitsuntersuchungen nehmen entsprechend ermächtigte Ärzten vor (Eine Liste der zugelassenen Ärzte finden Sie hier).
Teil 2: Maritime Besonderheiten, Arbeitsalltag & Gehalt
Im zweiten Teil des Beitrags erzählt Dr. Ottomann mehr über den Arbeitsalltag eines Arztes an Bord und zieht Vergleiche zur ärztlichen Tätigkeit an Land. Außerdem erfahren Sie, ob sich das Anheuern auf einem Schiff auch finanziell lohnt.