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Leben als Arzt

19. Dez. 2022
Soziale Probleme in der Medizin

Medscape Report 2022: Was Ärzte belastet

Viel Arbeit, wenig Personal: Drei Viertel der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland sind der Meinung, dass die Qualität der medizinischen Versorgung in den letzten fünf Jahren abgenommen hat. Dieses und weitere soziale Probleme in der Medizin beleuchtet ein neuer Medscape-Report.

Lesedauer: ca. 6 Minuten

Autorin: Claudia Gottschling | Redaktion: Dr. Linda Fischer

In einem aktuellen Medscape-Report wurden in diesem Sommer (Juni bis August 2022) in einer Online-Umfrage 900 Ärztinnen und Ärzte zu sozialen Problemen in der Medizin befragt. Was denken Ärztinnen und Ärzte über den Zustand der Gesundheitsversorgung, gesellschaftliche Probleme im Praxisalltag, eine potentielle Covid-19-Impfpflicht, Patientinnen und Patienten aus der LGTBQ+-Community oder Drogenprobleme in der Kollegschaft?

Versorgung schlechter als vor 5 Jahren

Ärztinnen und Ärzte fühlen sich stark von den gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen beeinträchtig: Die Regierung kürzt, wo es nur geht. Und der Druck wächst stetig. 72 % sind der Meinung, dass die Qualität der Gesundheitsversorgung in den letzten 5 Jahren abgenommen habe; 18 % sehen diesen Trend nicht und 10 % sind sich bei der Bewertung unsicher (Abb. 1).

Medscape Report 2022/3
Abb. 1: Ein Großteil der Befragten empfindet eine verschlechterte Qualität der Gesundheitsversorgung.
Medscape Report 2022/3
Abb. 1: Ein Großteil der Befragten empfindet eine verschlechterte Qualität der Gesundheitsversorgung.

Viel Arbeit und zu wenig Personal

Doch wo genau liegen die Schwierigkeiten im Alltag? Befragte nannten vor allem zu wenig Personal (28 %), eine zu hohe Arbeitslast (25 %) und eine schlechte Finanzierung. Viel Bürokratie durch schlechte Organisationsstrukturen (15 %) kam erschwerend mit hinzu (Abb. 2).

Medscape Report 2022/4
Abb. 2: Die medizinische Versorgung leidet wegen Personalmangel und hoher Arbeitsbelastung.
Medscape Report 2022/4
Abb. 2: Die medizinische Versorgung leidet wegen Personalmangel und hoher Arbeitsbelastung.

Details kommen von den Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmern in den Kommentaren: Ein Gastroenterologe kritisiert „zu wenige Studienplätze Medizin“ und deren „nicht sachgerechte Verteilung“. Und ein Gynäkologe bestätigt: „Man läuft seit Jahren sehenden Auges in einen Ärztemangel. Die Pflege wird ausgeblutet, die Privatisierung des Gesundheitswesens war ein grober Fehler.“ Die GOÄ sei das letzte mal Anfang der 90er-Jahre angepasst worden. „Das sagt eigentlich alles über die Wertschätzung der ärztlichen Leistung.“

Covid-19 hat vieles noch schlimmer gemacht

Mit gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen stand es nie zum Besten; etliche Bundesgesundheitsministerinnen und -minister haben bei Praxen und Kliniken den Rotstift angesetzt. Doch mehr als 3 von 4 Befragten (79 %) haben die Meinung, Covid-19 habe vieles noch schlimmer gemacht (Abb. 3).

Medscape Report 2022/5
Abb. 3: Die Versorgungssituation leidet laut Befragten unter der Pandemie.
Medscape Report 2022/5
Abb. 3: Die Versorgungssituation leidet laut Befragten unter der Pandemie.

Eine Gefäßchirurgin spricht die aus ihrer Sicht „völlig übertriebene, verfehlte Politik“ bei Covid-19 an: „Im ersten Lockdown hatten Patienten Angst, zum Arzt zu gehen, Krebsoperationen wurden verschoben und das Krankenhauspersonal hat sich totgeputzt.“

Auch die Impfpflicht ist ein heißes Eisen, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Mit ihrem Versuch, eine generelle Impfpflicht per Gesetz zu erlassen, ist die Bundesregierung aufgrund fehlender Mehrheiten kläglich gescheitert. Und die einrichtungsbezogene Impfpflicht wird regional unterschiedlich streng umgesetzt; hier haben die Länder das Sagen.

Auch die befragten Ärztinnen und Ärzte sind unentschlossen. Während sich 46 % generell für die Impfpflicht aussprachen, lehnten dies 31 % ab. Weitere 23 % befürworteten die Impfpflicht für bestimmte Berufs- oder Altersgruppen mit erhöhtem Risiko. Gesundheitspolitisch ist zumindest die allgemeine Impfpflicht erst einmal in der Versenkung verschwunden. Mit dem Abflauen der Pandemie könnte auch die Impfpflicht für Gesundheitspersonal wieder zur Disposition stehen (Abb. 4).

Medscape Report 2022/6
Abb. 4: Knapp die Hälfte der befragten Ärztinnen und Ärzte spricht sich für eine Covid-19-Impfpflicht aus.
Medscape Report 2022/6
Abb. 4: Knapp die Hälfte der befragten Ärztinnen und Ärzte spricht sich für eine Covid-19-Impfpflicht aus.

Soziale Probleme im Praxisalltag

Mehr als ein Drittel (37 %) aller befragten Ärztinnen und Ärzte gab außerdem an, gesellschaftliche Probleme wie Rassismus, Sexismus oder Drogenmissbrauch würden sich in ihrem Arbeitsalltag negativ auswirken. Die Mehrheit (63 %) sieht sich allerdings nicht durch solche Themen in ihrem Job als Arzt oder Ärztin konkret beeinträchtigt.

Allerdings führen die meisten Ärztinnen und Ärzte (83 %) Diskussionen mit ihren Patientinnen und Patienten über solche Fragen. Keine Frage: Gesellschaftlich relevante Themen haben etliche Schnittstellen mit der Medizin und der Gesundheitsversorgung (Abb. 5).

Medscape Report 2022/1
Abb. 5: Gesellschaftliche Probleme können sich auf den ärztlichen Alltag auswirken.
Medscape Report 2022/1
Abb. 5: Gesellschaftliche Probleme können sich auf den ärztlichen Alltag auswirken.

Spenden, Ehrenamt oder Protest?

Wer tagtäglich mit sozialen Problemen konfrontiert wird, möchte etwas ändern, nur wie? Die Zeit ist bei vielen Ärztinnen und Ärzten knapp. Deshalb haben 66 % der Befragten wohltätige Organisationen finanziell unterstützt oder dabei geholfen, Spenden einzuwerben. 39 % haben in Organisationen gearbeitet, um benachteiligten Menschen zu helfen. Und jede 4. Ärztin bzw. jeder 4. Arzt ist auf die Straße gegangen, um bei Demos ihren Unmut zu äußern. In Sozialen Medien wiederum äußerten nur 18 % ihren Frust (Abb. 6).

Medscape Report 2022/2
Abb. 6: Viele Ärztinnen und Ärzte spenden für Wohltätigkeitsorganisationen.
Medscape Report 2022/2
Abb. 6: Viele Ärztinnen und Ärzte spenden für Wohltätigkeitsorganisationen.

Ist das Abtreibungsgesetz in Deutschland zu streng?

Auch das Für und Wider von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland beschäftigt Ärztinnen und Ärzte. 36 % bewerten die derzeitigen Regelungen als zu streng, weitere 36 % als genau richtig, 6 % als zu lax und 21 % sind sich unsicher (Abb. 7).

Medscape Report 2022/7
Abb. 7: Nur wenige Befragte sind der Ansicht, $218 sei nicht streng genug.
Medscape Report 2022/7
Abb. 7: Nur wenige Befragte sind der Ansicht, $218 sei nicht streng genug.

Doch was halten die Umfrage-Teilnehmenden von einer Verlängerung der gesetzlichen Frist für die Inanspruchnahme eines Schwangerschaftsabbruchs (12–14 Wochen)? Immerhin 46 % wären einverstanden, 30 % sind - mit Hinweis auf mögliche Komplikationen - dagegen. 8 % sprechen sich generell gegen Abtreibungen aus und 15 % haben sich dazu noch keine Meinung gebildet (Ergebnisse nicht dargestellt).

Abschaffung des §219 – die Mehrheit ist froh darüber

Deutlich klarer fällt das Votum bei der Frage aus, ob es richtig ist, dass Ärztinnen und Ärzte über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Knapp 3 Viertel (74 %) befürworten dies, 17 % sind dagegen und 9 % haben keine Meinung dazu (Abb. 8).

Medscape Report 2022/8
Abb. 8: Die Abschaffung von $219 findet Zustimmung unter dem Großteil der Befragten.
Medscape Report 2022/8
Abb. 8: Die Abschaffung von $219 findet Zustimmung unter dem Großteil der Befragten.

Das Thema selbst ist umstritten, wie die Kommentare zeigen. Dazu schreibt eine Allgemeinmedizinerin: „Frauen sollten nach Beratung frei entscheiden dürfen.“

„Ich lehne Schwangerschaftsabbrüche als Methode der nachträglichen Verhütung ab, wenn Verhütungsmethoden zur Verfügung gestanden haben“, schreibt ein Arzt und nennt als Beispiel: „Eine Lehrerin lehnt die Pille (Hormone) ab, weil es für ihren Körper zu schädlich ist. Die Abtreibung ist aber OK für sie.“

Kaum Diskriminierung von LGBTQ+-Patienten?

Die befragten Ärztinnen und Ärzte finden kaum Anhaltspunkte, dass Patientinnen und Patienten der LGBTQ+-Community schlechter als andere Patientinnen und Patienten behandelt würden. Lediglich 10 % sehen hier Unterschiede, 59 % verneinen dies, aber 31 % sind sich unsicher, möglicherweise auch, weil sie selten oder wenig bisher damit konfrontiert waren (Abb. 9).

Medscape Report 2022/9
Abb. 9: Patientinnen und Patienten der LGTBQ+-Community sind nicht gänzlich frei von Diskriminierung in der Versorgung.
Medscape Report 2022/9
Abb. 9: Patientinnen und Patienten der LGTBQ+-Community sind nicht gänzlich frei von Diskriminierung in der Versorgung.

Drogenkonsum unter Ärzten – für viele ein Problem

Jeder 3. Arzt bzw. jede 3. Ärztin (32 %) geht davon aus, dass Kolleginnen und Kollegen Drogen nehmen und dies Probleme im Job verursacht. Durch die Pandemie ist der Konsum unter Ärztinnen und Ärzten nach Meinung von 33 % der Umfrageteilnehmenden angestiegen. Vor allem jüngere Ärztinnen und Ärzte äußerten die Vermutung (Abb. 10).

Medscape Report 2022/10
Abb. 10: Drogenkonsum unter Ärztinnen und Ärzten ist nach wie vor ein Problem.
Medscape Report 2022/10
Abb. 10: Drogenkonsum unter Ärztinnen und Ärzten ist nach wie vor ein Problem.

Die Ablehnung ist deutlich: 72 % der Ärztinnen und Ärzte sind der Meinung, dass Drogen generell nicht legalisiert werden sollten. Jede 5. befragte Person befürwortet allerdings einen solchen Schritt für „weiche“ Drogen (Daten nicht dargestellt).

Methodik

Für die online-Umfrage wurden Ärzte und Ärztinnen, die in Deutschland leben und arbeiten, eingeladen bei Medscape und Univadis einen Fragebogen auszufüllen. Die Umfrage umfasste 9 Themengruppen.

Zeitraum: Anfang Juli bis Mitte August 2022

Teilnehmende: 905 Ärztinnen und Ärzte (60 % Männer, 36 % Frauen, Mehrzahl über 45 Jahre alt).

Die Sample-Größe dieser Umfrage ist nicht repräsentativ und die Ergebnisse lassen sich nicht auf die Allgemeinbevölkerung übertragen. Die Standardabweichung beträgt 3,26 % bei einem Konfidenzintervall von 95 % unter der Verwendung einer Punktschätzung von +-50 %.

Hinweis: Übersteigt die Summe der Prozentpunkte 100 %, waren bei der entsprechenden Frage mehrere Antworten möglich und es wurde gerundet.

Dieser Beitrag ist im Original auf Medscape.de erschienen.

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