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Leben als Arzt

27. Jan. 2023

Sexuelle Belästigung im ärztlichen Kollegenkreis

Der zweite Teil des Beitrags befasst sich mit sexueller Belästigung im ärztlichen Kollegenkreis. Welche belästigenden Verhaltensweisen haben Ihre Kolleginnen und Kollegen erlebt und beobachtet? Wie haben die Opfer darauf reagiert – und aus welchen Gründen wird häufig nichts unternommen?

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Sexuelle Belästigung in der Medizin
Nähe und Vertrautheit im Kollegenkreis können falsch eingeschätzt werden (Symbolbild). (Foto: © Getty Images / PhotoAlto/Odilon Dimier)

Der folgende Beitrag basiert auf dem Medscape-Report: „Sexual Harassment of Physicians from Patients and Coworkers 2022“. Autor: Jon McKenna | Übersetzung & Redaktion: Marc Fröhling

Wie verbreitet ist sexuelle Belästigung im Kollegenkreis?

Verbreitung sexueller Belästigung im ärztlichen Kollegenkreis
Abb. 1: Verbreitung sexueller Belästigung gegenüber Ärztinnen und Ärzten.

Drei von vier befragten Ärztinnen und Ärzten gaben an, in den vergangenen vier Jahren nicht mit sexueller Belästigung im Kollegenkreis in Kontakt gewesen zu sein weder als Opfer, noch als Zeuge oder beschuldigte Person. Wenn doch, dann waren Betroffene doppelt so häufig Zeuge (18%) als Opfer (9%). Darüber hinaus haben die befragten Ärztinnen und Ärzte gegenüber Medscape angegeben, in den vergangenen vier Jahren im Durchschnitt zehn unangemessene Bemerkungen über ihren Körper und ebenso viele Fälle erlebt zu haben, in denen sie sich unangenehm bedrängt gefühlt haben. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin in Indianapolis, Carolina Vogel, berichtet, dass viele Menschen nicht erkennen würden, dass es sich bei den Vorfällen, die sie erlebt haben, um Belästigung handle – oder sie hätten Angst, diese als solche zu bezeichnen. Der Begriff selbst ist ihr zufolge tabubehaftet.

Die Ärztin und ehemalige Präsidentin der American Medical Women's Association, Theresa Rohr-Kirchgraber, ergänzt, dass häufig vielbeschäftigte Ärzte zwischen Patienten hin- und herlaufen und möglicherweise nicht alles sehen, was passiert. Manchmal passieren auch Dinge, bei denen man denkt, dass etwas nicht stimmt, sich aber nicht sicher ist.

Welche belästigenden Verhaltensweisen haben Ärztinnen und Ärzten durch Kollegen erlebt ...

Welche Formen der Belästigung haben Ärzte durch Kollegen erlebt?
Abb. 2: Sexuell belästigende Verhaltensweisen durch Mitarbeitende.

Die vier am häufigsten genannten Arten von Fehlverhalten, von denen Ärztinnen und Ärzte angaben, dass sie diese durch Mitarbeitende erlebt hätten, waren identisch mit den am häufigsten genannten Fehlverhalten durch Patientinnen und Patienten. Bei jeder Art von Fehlverhalten gaben die Ärztinnen und Ärzte jedoch an, diese häufiger aus dem Kollegenkreis heraus erlebt zu haben. „Beziehungen zu Kollegen können nuancierter und zweideutiger sein als die zu Patienten“, so die Psychiaterin Kali Cyrus. „Nähe und Vertrautheit könnten falsch eingeschätzt werden.“

... und beobachtet?

Welche Formen der Belästigung durch Kollegen haben Ärzte beobachtet?
Abb. 3: Beobachtete sexuell belästigende Verhaltensweisen durch Mitarbeitende

Sowohl die Art der beobachteten Vorfälle als auch deren Häufigkeit decken sich mit den Angaben der Formen sexueller Belästigung, die Ärztinnen und Ärzte persönlich erlebt haben.

Von wem ging die Belästigung aus?

Wurde ein Arzt oder eine Ärztin Opfer von sexueller Belästigung, war in den meisten Fällen (49%) ein anderer Arzt oder eine Ärztin die Person, die die Tat begangen hat. Deutlich weniger häufig ging der Umfrage zufolge die Tat von Krankenschwestern oder MFA sowie Assistenzärztinnen und -ärzten aus. Rohr-Kirchgraber vermutet als eine mögliche Ursache den Wettbewerbscharakter des Arztberufes. Auch Vogel vermutet die Ursache in der Machtdynamik und Hierarchie in Krankenhäusern begründet.

Berufliche Hierarchie Täter und Opfer
Abb. 4: Hierarchisches Verhältnis von Tätern und Opfern sexueller Belästigung im ärztlichen Kollegenkreis.

Mit Blick auf die Hierarchie hat sich gezeigt, dass die Täterposition im Vergleich zur Position es Opfers in 35% der Fälle übergeordnet, in 37% gleichgestellt und in 28% der Fälle untergeordnet war.

Was wurde in der Folge unternommen ...

Reaktion auf Übergriff durch Kollegen
Abb. 5: Reaktionen auf sexuelle Belästigung durch Mitarbeitende.

Die häufigste Reaktion auf einen solchen Vorfall war es, die Täterin oder den Täter zu bitten, aufzuhören. 21% der betroffenen Personen baten andere um Hilfe, 20% sprachen den Täter bzw. die Täterin direkt an, 9% setzten sich körperlich zur Wehr. Die Psychiaterin Kali Cyrus hofft, dass sich mehr Ärztinnen und Ärzte Hilfe suchen oder einen Vorfall melden: Fast jeder vierte Arzt oder Ärztin (39%) hat der Befragung zufolge nach der Tat nichts unternommen. In der Medizin herrsche immer noch eine Kultur vor, in der die Angst vor einer Anzeige und einem Jobverlust groß ist.

... und aus welchen Gründen wird häufig auf die Meldung eines Vorfalles verzichtet?

Warum wurde der Übergriff nicht gemeldet?
Abb. 6: Gründe, weshalb auf die Meldung eines sexuell belästigenden Vorfalls verzichtet wurde.

Ein genauer Blick auf die Gründe bestätigt diese Annahme. Wurde auf die Meldung eines Vorfalls verzichtet, wurde am häufigsten (51%) der Grund genannt, dass ohnehin keine Maßnahmen ergriffen würden. Auch die Sorge dafür, überreagiert zu haben, war ein häufig genannter Grund (50%). Die Sorge vor Vergeltung durch den Täter oder die Täterin steht an dritter Stelle (35%). Fast ebenso häufig wird fehlende Unterstützung durch den Arbeitgeber (33%) genannt. Fehlende Vertraulichkeit und die Furcht vor öffentlicher Bloßstellung (26%) sind weitere gewichtige Gründe.

Wo finde ich weitere Informationen und Hilfsangebote?

Einen Service sowohl für angestellte als auch für selbständige Ärztinnen und Ärzte bietet beispielsweise die Ärztekammer Nordrhein mit einem kostenfreien Beratungsangebot. Der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) hat daher alle Ärztekammern in Deutschland dazu aufgefordert, diesem Vorbild zu folgen. Ebenso hat der DÄB eine Informationsbroschüre für Ärztinnen bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz erstellt. Einen Leitfaden zum Thema „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“ für Beschäftigte und Arbeitgeber hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes herausgegeben.

Dieser Beitrag ist im Original auf Medscape.com erschienen.

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