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Leben als Arzt

27. Jan. 2023
US-Report

Sexuelle Belästigung im Arztberuf

Sexuelle Übergriffe und belästigende Verhaltensweisen sind auch in der Medizin allgegenwärtig – täglich arbeiten Ärztinnen und Ärzte mit anderen Menschen zusammen und stehen dabei in engem Kontakt zu Patientinnen und Patienten. Ein aktueller US-Report liefert Zahlen und Fakten.

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Symbolbild sexuelle Belästigung
Eine aktuelle US-Umfrage liefert Zahlen und Fakten zur sexuelle Belästigung im Arztberuf. (Foto: © Getty Images / Juan Moyano)

Der folgende Beitrag basiert auf dem Medscape-Report: „Sexual Harassment of Physicians from Patients and Coworkers 2022“. Autor: Jon McKenna | Übersetzung & Redaktion: Marc Fröhling

Anzügliche Kommentare, Eindringen in die Privatsphäre, unerwünschte Berührungen oder Aufforderungen zu sexuellen Aktivitäten: Praxen und Kliniken sind keine Orte, an denen die beteiligten Personen – sei es der ärztliche oder pflegerische Kollegenkreis oder die Patientinnen und Patienten– vor dem gesellschaftlichen Problem der sexuellen Belästigung und des sexuellen Fehlverhaltens isoliert sind.

Eine US-amerikanischen Medscape-Umfrage hat sich nun mit dem Thema „Sexuelle Belästigung im Arztberuf“ beschäftigt und dazu mehr als 3.000 Ärztinnen und Ärzte zu ihren Erfahrungen befragt: Waren diese in den vergangenen vier Jahren sexueller Belästigung aus dem Kollegenkreis oder durch Patientinnen und Patienten ausgesetzt? Wie haben die Betroffenen auf das Fehlverhalten reagiert – und aus welchen Gründen haben viele geschwiegen? Wie hat sich ein solcher Übergriff auf die berufliche Leistung und das Privatleben ausgewirkt? Und: wo gibt es Hilfsangebote?

Über den Medscape-Report

Umfragedetails

  • 7-8 minütige Online-Befragung.
  • Praktizierende Ärztinnen und Ärzte aus 31 Fachgebieten in den USA.
  • 3.027 Teilnehmer.
  • Umfragezeitraum: 29. August bis 27. Oktober 2022.
  • 56% der Teilnehmenden waren männlich, 42 % weiblich, 2% ohne Angabe zum Geschlecht.
  • 32% der Teilnehmenden waren in einer Klinik tätig, 34% in einer Einzel- oder Gruppenpraxen, 34% in sonstigen Tätigkeitsfeldern.
  • Mehrfachnennungen waren möglich.

Formen sexueller Belästigung durch Patientinnen und Patienten

Formen sexueller Belästigung durch Patienten
Abb. 1: Formen sexueller Belästigung durch Patientinnen und Patienten.

56% der Ärztinnen und Ärzte, die an der Umfrage teilgenommen haben, gaben an, persönliche Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch, Belästigung oder sexuellem Fehlverhalten durch Patientinnen oder Patienten gemacht zu haben. Am häufigsten genannt wurden dabei anzügliche Kommentare über Körperregionen (29%), gefolgt vom absichtlichen Verletzen des persönlichen Freiraums (23%) und wiederholten Fragen nach einem Treffen (22%). Weitere Formen sexueller Belästigung waren unter anderem unerwünschtes Anfassen und Umarmen (14%), das Berühren von Körperteilen (9%) und unerwünschte Einträge in sozialen Medien sowie unangemessene Textnachrichten (5%).

In mehreren Situationen gaben männliche Ärzte häufiger an, Opfer geworden zu sein als ihre weiblichen Kollegen, etwa bei Verletzungen der Privatsphäre und wiederholten Fragen nach einem Treffen. Insgesamt gaben männliche Ärzte (62%) häufiger an, in den letzten Jahren von Patientinnen und Patienten belästigt worden zu sein als ihre weiblichen Kolleginnen (52%). Ärztinnen hingegen mussten sich häufiger Kommentare über bestimmte Körperregionen gefallen lassen und waren häufiger mit Patientinnen und Patienten konfrontiert, die sich in ihrer Gegenwart selbst berührt haben.

Reaktionen auf sexuelle Belästigung durch Patientinnen und Patienten

Reaktionen auf sexuelle Belästigung durch Patienten
Abb. 2: Reaktionen auf sexuelle Belästigung durch Patientinnen und Patienten.

Die häufigste Reaktion von Ärztinnen und Ärzten auf einen Übergriff sexueller Natur von Patientenseite war die Bitte, damit aufzuhören (73%). 55% der Opfer gaben an, infolge einer Belästigung dafür gesorgt zu haben, nicht länger in Gegenwart der Patientin oder des Patienten allein sein zu wollen, indem etwa weiteres medizinisches Personal gebeten wurde, anwesend zu sein. Weitaus seltener dagegen wurden strafrechtliche Maßnahmen ergriffen (8%) oder der Übergriff an Personalabteilung oder Verwaltung gemeldet (12%).

Berufliche Folgen sexueller Übergriffe

Patientenübergriffe Auswirkungen auf die Arbeit
Abb. 3: Berufliche Folgen sexueller Übergriffe durch Patientinnen und Patienten.

26% der betroffenen Ärztinnen und Ärzte berichten in der Folge einer sexuellen Belästigung von Konzentrationsschwierigkeiten bei der Arbeit, einigen fällt es schwer, mit demselben Engagement die Arbeit am Patienten zu verrichten (23%). Jeder zehnte macht sich Gedanken über eine mögliche Kündigung, 2% sind diesen Schritt tatsächlich gegangen.

Häufig liegt es laut Reshma Jagsi, Radioonkologin und Direktorin des Zentrums für Bioethik und Sozialwissenschaften in der Medizin an der Universität von Michigan in der Natur von Medizinerinnen und Medizinern, über sich hinauszuwachsen. In der Folge werde darauf geachtet, die Auswirkungen solcher Übergriffe im Berufsleben herabzuspielen. Es werde nur ungern zugegeben, wenn Erfahrungen wie diese die beruflichen Fähigkeiten beeinträchtigten.

Auswirkungen sexueller Übergriffe auf das Privatleben

Auswirkungen sexueller Belästigung auf das Privatleben
Abb. 4: Auswirkungen sexueller Übergriffe von Patientinnen und Patienten auf das Privatleben.

Außerhalb des Arbeitsplatzes führt eine erlebte sexuelle Belästigung bei 19% der betroffenen Ärztinnen und Ärzte zu einer Isolation vom eigenen sozialen Umfeld. 8% der Befragten gaben an, häufiger Junkfood zu sich zu nehmen. 5% tranken vermehrt Alkohol, weitere 5% litten unter Schlafproblemen. 64% der Befragten gaben dagegen an, dass eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz keine Auswirkungen auf ihr Privatleben gehabt habe.

Welche Formen der Belästigung haben Ärztinnen und Ärzte im Kollegenkreis erlebt? Wer hat die Tat begangen? Und aus welchen Gründen werden die Vorfälle zu selten gemeldet? Im zweiten Teil des Beitrags lesen Sie mehr über sexuelle Belästigung im ärztlichen Kollegenkreis:

Zum zweiten Teil >>

Dieser Beitrag ist im Original auf Medscape.com erschienen.

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