Erfahrungen auf der grünen Insel
Der Frauenarzt Dr. Ulrich Bartels ist vor vielen Jahren nach Irland ausgewandert. Im Interview spricht er über seinen Arbeitsalltag, Unterschiede im Gesundheitssystem und die Besonderheiten der Patienten.
Lesedauer: ca. 4 Minuten

Redaktion: Christoph Renninger
Wie sind Sie beruflich nach Irland gekommen? Wo haben Sie studiert und zuvor gearbeitet?
Ich habe von 1985 bis 1991 in Göttingen Medizin studiert und war dort auch ganz zufrieden. Während der ersten Schwangerschaft meiner Frau wurde sie von einer befreundeten Hebamme betreut, deren Freund Ire war und welche später nach Irland ausgewandert ist. Sie hat uns immer wieder zu sich eingeladen und auch andere Freunde waren dort. Einige Studierende, die in Irland eine Famulatur gemacht hatten, schwärmten mir auch vor, wie viel Geburtshilfe sie dort gemacht hätten.
Ich bin Frauenarzt und Geburtshelfer, und was mich an der Fachrichtung angezogen hat, war die Geburtshilfe. In den frühen 1990ern gab es in Deutschland jedoch vor allem ältere Patientinnen. Der Alltag des Frauenarztes bestand im Wesentlichen aus Krebstherapien. In der Uniklinik Göttingen haben wir vor allem Chemotherapien durchgeführt. Die Frauen wurden von einer Brustkrebsstudie in die nächste geschickt, mit dem Wissen, dass auch die neue Therapie nur einen marginalen Vorteil bieten, aber mit starken Nebenwirkungen verbunden sind. Das war sehr frustrierend und moralisch ernüchternd. Die Geburtshilfe kam nur am Rande vor.
Da dachte ich mir, wenn es doch so ist, dass in Irland, die Menschen mehr Kinder haben, vielleicht könnte ich dort mehr im Kreißsaal arbeiten. Wir sind schließlich der Einladung der Freundin nach Irland gefolgt, wo es uns gut gefallen hat. Die Natur ist sehr schön und die Leute sehr freundlich und entgegenkommend, man spricht sich direkt mit Vornamen an und alles schien unkomplizierter zu sein.
Ich hatte vor der Reise einige Kliniken kontaktiert, ob ich dort vorbeischauen könnte. In Deutschland herrschte damals eine sehr strenge Hierarchie in den Kliniken. In Irland hingegen war auch mit den Chefärzten ein normales Gespräch möglich, das war sehr erfrischend.
Unter anderem war ich im National Maternity Hospital in Dublin, wo jährlich 10.000 Kinder geboren wurden. Das war ein anderes Kaliber als ich es aus Göttingen kannte.
1,2 Jahre später dachte ich mir, vielleicht soll ich eine Tätigkeit in Irland doch ins Auge fassen und ich habe mich in Galway beworben – wir mochten den „wilden Westen“ Irlands besonders gern. Tatsächlich hat sich ein Kollege dort noch an alles erinnert was ich vor zwei Jahren gesagt habe (!) und ich habe eine Stelle als Senior House Officer bekommen.
Welche Unterschiede gibt es zwischen dem deutschen und irischen Gesundheitssystem?
Die Strukturen sind anders als in Deutschland und es ist nicht alles übertragbar. Man beginnt als Senior House Officer oder in einem Basic Surgical Training. Danach folgt der Registrar bzw. Specialist Registrar, ähnlich einem Oberarzt in Deutschland. Die nächste Stufe ist der Consultant, etwa dem Chefarzt entsprechend. Üblicherweise sind in einer Abteilung jedoch mehrere Chefärzte in einem kollegialen System tätig – ein wichtiger Unterschied zum deutschen System.
Ein weiterer großer Unterschied ist, dass es in Irland keine niedergelassenen Fachärzte gibt. Die Ausbildung, von Hausärzten abgesehen, läuft darauf hinaus, an der Klinik zu arbeiten, wo auch ambulante Sprechstunden stattfinden.
Ein großer Nachteil am deutschen System ist, dass Kliniken um Zuweisungen konkurrieren. Chefärzte sind dazu angehalten, das Maximum an Geld herauszuholen. Der Vorteil in Irland ist, dass ich gemeinsam mit der Patientin meine eigenen Entscheidungen treffen kann ausschließlich zum Wohle der Patientinnen.
Wie sieht ihr typischer Arbeitsalltag aus?
Der Arbeitsalltag ist sehr abwechslungsreich. Jeden halben Tag wechsle ich meinen Arbeitsschwerpunkt, mal mit der Frauensprechstunde, dann einen halben Tag ambulante Operationen, mal im OP-Saal, mal die Schwangerensprechstunde, einen halben Tag Kolposkopie, mal Privatsprechstunden. In Deutschland ist der Alltag doch eher monoton, sei es in der Praxis oder Klinik.
Ein großer Vorteil ist auch, dass man einen festen Pool an Patientinnen hat, die immer wieder zu einem kommen. In Deutschland wird eine schwangere Frau vom niedergelassenen Gynäkologen betreut, zur Entbindung geht sie aber in die Klinik. Hier sehe ich die Frauen während der Schwangerschaft, bin dann auch im Kreißsaal für sie da und übernehme die Nachsorge. Das ist für Frau und Arzt viel befriedigender.
Welche Voraussetzungen waren für den Berufsstart notwendig?
Es gibt eine europäische Verordnung zur gegenseitigen Anerkennung der ärztlichen Bescheinigungen, mit einer ganzen Liste an Fachrichtungen. Mit der vollen Approbation ist man berechtigt auch in jedem anderen EU-Land eine Approbation zu erhalten.
Hier in Irland gibt es den Medical Council, welcher der deutschen Ärztekammer entspricht. Dort muss man seine Approbation und das Examenszeugnis der Universität vorlegen, in beglaubigter Übersetzung. Dieser kontaktiert auch die deutsche Ärztekammer und überprüft, ob die Zertifikate echt sind. Das kann einige Monate dauern. Ein Sprachtest muss nicht gemacht werden, es empfiehlt sich aber natürlich flüssig Englisch zu sprechen.
Im Prinzip kann man sich als deutscher Facharzt hier ins Specialist Register eintragen lassen. Aber damit wird man keine Stelle bekommen. Offiziell wird der Facharzt anerkannt, inoffiziell hat man keine Chance. Der Grund dafür ist, dass hier die Registrarzeit viel länger ist als in Deutschland und nicht darauf ausgelegt ist, in die Niederlassung zu gehen.
In der Frauenheilkunde gibt es hier zwei große Prüfungen, die abgelegt werden müssen. Diese sind sehr hart, die Durchfallrate liegt bei 80%. Ein ganz anderer Standard als bei deutschen Facharztexamen.
Welche Eigenart irische Patientinnen oftmals haben, wie es um das finanzielle Einkommen als Arzt bestellt ist und welche Auswirkungen die Covid-19-Pandemie hatte, lesen Sie im zweiten Teil des Interviews.