Gibt es Grenzen für die Ausübung des ärztlichen Berufs?
Anders als z.B. bei Piloten oder Angestellte im Auslandsdienst gibt es für Ärztinnen und Ärzte in den USA keine Altersgrenze, ab der sie ihren Beruf nicht mehr ausüben dürfen. Angesichts der allgemeinen Alterung der Ärzteschaft gewinnt die Frage „wie alt ist zu alt“ aber auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung. 1-3
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Autorinnen: Maria Weiß, Dr. Nina Mörsch
Etwa 30 % der Ärztinnen und Ärzte haben in den USA das normale Rentenalter eigentlich schon überschritten. Altersgrenzen oder vorgeschrieben Screeninguntersuchungen ab einem bestimmten Alter sucht man meist vergebens. Auch die Öffentlichkeit scheint mit längst ergrauten Medizinerinnen und Medizinern keine größeren Probleme zu haben. 1
In Deutschland gehören laut der aktuellen Ärztestatistik der Bundesärztekammer über 13 % der Ärztinnen und Ärzte der Altersgruppe der 60- bis 65-Jährigen an und weitere 8,5 % haben das 65. Lebensjahr überschritten. 2
80 ist nicht gleich 80
Dr. Mark Katlic vom Lifebridge Health System in Baltimore, Maryland, USA, hat sich viele Jahre mit dieser Thematik beschäftigt. Ein Problem bei dem Setzen starrer Altersgrenzen für bestimmte Tätigkeiten ist die hohe Variabilität bei den Älteren. 80-Jährige unterscheiden sich deutlich mehr untereinander als z.B. 40-Jährige. So können einige 80-Jährige noch problemlos Studenten unterrichten, einen 10-km-Lauf absolvieren oder komplizierte Operationen durchführen. Andere haben bereits Probleme, ihr Hemd ordentlich zuzuknöpfen, ein paar Stufen hochzulaufen oder sich an ihre letzte Mahlzeit zu erinnern. Das funktionelle Alter hat somit nichts mit dem chronologischen Alter zu tun.
Praxisgründung mit 82 Jahren
Von ähnlichen Beispielen lässt sich auch hierzulande berichten: So stellte die Ärztezeitung kürzlich Hausärzte vor, die mit über 70 Jahren den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben.3 Hierzu gehört der Allgemeinmediziner Dr. Maciej Kowalski, der mit 82 Jahren einer der ältesten niedergelassenen Ärzte im Saarland ist und Anfang des Jahres eine neue Praxis eröffnet hat. Als Hauptmotivation nannte der Mediziner seine blendende Gesundheit. „Ich habe Glück, dass ich noch so fit bin. Und es war einfach pures Glück, dass mit der neuen Zulassung im vergangenen Jahr alles unkompliziert geklappt hat,“ zitiert ihn die Ärztezeitung.
In Baden-Württemberg plante vor etwa zwei Jahren eine Hausärztin mit 69 Jahren eigentlich in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Doch nach Protesten von Patientinnen und Patienten, die ihre hausnahe Versorgung gefährdet sahen, hat sie aber noch mal durchgestartet – von Bürokratie befreit als angestellte Ärzte im MEDI-MVZ. Mehr dazu lesen Sie hier.
Auch viele der coliquio-Ärztinnen und -Ärzte gehen einer Umfrage zufolge im Rentenalter noch ihrer Tätigkeit nach. Gründe hierfür sind unter anderem wirtschaftlicher Natur oder auch, weil sich kein Nachfolger für die Praxis finden lässt. Anderen fällt es einfach schwer, plötzlich nicht mehr zu arbeiten. Mehr über die Motivation Ihrer Kolleginnen und Kollegen, auch noch im Ruhestand zu arbeiten, lesen Sie in unserem Beitrag Ärzte im (Un)ruhestand.
Altersdiskriminierung vermeiden
Altersbasierte Tests empfindet Frank Stockdale, ein noch praktizierender 86-jähriger Onkologe an der Stanford University, daher als „Altersdiskriminierung“. Während ihrer Karriere müssen Ärztinnen und Ärzte ihre beruflichen Fähigkeiten ohnehin immer wieder unter Beweis stellen, daran ändert auch ein bestimmtes Alter nicht. Wenn überhaupt müssten solche Leistungsüberprüfungen dann auch für jüngere Ärzte und Ärztinnen gelten. Auch an anderen Orten in den USA hat sich älteres ärztliches Personal erfolgreich gegen solche Screeninguntersuchungen gewehrt.
Alterungsprozesse machen auch vor ärztlichem Personal nicht halt
Der Geriater Dr. James Ellison weist darauf hin, dass das Alter sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringt. Erfahrungsbasiertes Wissen und Selbstvertrauen nehmen mit den Jahren zu und damit auch die diagnostische Genauigkeit. Auf der anderen Seite lassen sich altersbedingte Veränderungen wie ein Volumenverlust des Gehirns und sinkende Neurotransmitterspiegel nicht wegdiskutieren. Wie Sportlerinnen und Sportler mit zunehmendem Alter etwas an Geschwindigkeit, Kraft und Flexibilität verlieren, können auch Chirurgen an Koordinationsfähigkeit, Kraft und Sehschärfe bei schwierigen Operationen einbüßen. Auch die Prozessgeschwindigkeit, das Arbeitsgedächtnis und exekutive Funktionen sind im Alter oft eingeschränkt. Zudem macht die Alzheimer-Demenz auch vor älteren Ärztinnen und Ärzten nicht halt.
Eine willkürlich gezogene Altersgrenze für ärztliche Tätigkeiten wird der Problematik nicht gerecht. Ein Ausweg wären dann tatsächlich Screeningprogramme für ältere Mitarbeitende, die aber in den USA nur an wenigen Einrichtungen existieren. Vielmehr werden zunehmende Defizite älterer Ärzte und Ärztinnen häufig von Kollegen registriert. Dies können z.B. Hygienemängel, Erinnerungslücken oder Orientierungsstörungen auf dem Weg zurück ins Büro sein – aber auch das Einnicken während einer Prozedur. Nicht selten werden solche Einbußen nicht gemeldet, sondern durch eine entsprechende Unterstützung des Kollegen kompensiert. Dies kann lange gutgehen, bis die Defizite zu offensichtlich werden und zu gefährlichen Situationen führen.
Am Lifebridge Health System werden noch nicht berentete Ärzte und Ärztinnen ab dem 75. Lebensjahr alle zwei Jahre getestet. Dies gilt nicht nur für die Chirurgie, sondern auch für alle anderen Fachrichtungen. Jeder Arzt und jede Ärztin sollte kognitiv auf der Höhe sein, um in der Lage zu sein, auch unter schwierigen Umständen rasche Entscheidungen zu treffen.
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