
Versehentlich für tot erklärt
Albtraum und Urangst vieler Menschen ist es, bei lebendigem Leib beerdigt zu werden. In der Realität sind derartige Fälle allerdings sehr selten. Weshalb kommt es aber dennoch vor?
Lesedauer: ca. 3 Minuten

Autor: Christoph Renninger
Selten, aber medienwirksam
Anfang Februar wurde bei einer 82-jährigen Frau in New York vom Personal eines Bestattungsunternehmens festgestellt, dass sie noch am Leben ist. In ihrem Pflegeheim hatte man sie für tot gehalten. Ebenfalls in den USA trug sich in Iowa kurz zuvor ein ähnlicher Fall zu. Eine 66-jährige Demenz-Patientin wurde von einer Krankenschwester als verstorben gemeldet, der Bestatter hörte sie jedoch nach Luft schnappen, als er den Leichensack öffnete.2,3
Die Abwesenheit von Herzschlag und Atemgeräuschen über längere Zeit, starre, erweiterte Pupillen und keine Reaktion auf jedwede Stimuli – die Anzeichen für den Tod waren vermeintlich eindeutig. Auf tatsächliche, eindeutige Todeszeichen, wie Leichenflecken, Leichenstarre oder Fäulnis wurde in diesen Fällen nicht geachtet. Allerdings zeigen die beschriebenen Fälle, dass trotz dieser Befunde die Patientinnen noch am Leben waren.
Eine falsche Todesbescheinigung kann vorkommen, wenn die Untersuchung nicht sorgfältig genug durchgeführt wird – eine flüchtige Begutachtung, möglicherweise abgelenkt, und schon werden Herzgeräusche und schwache Atmung nicht wahrgenommen. Zudem ist unter bestimmten Umständen die Todesfeststellung erschwert.
Medikamente, Gift und Zombies
Sedativa können das Gehirn vor Schäden schützen und werden zur Anästhesie bei vielen größeren chirurgischen Eingriffen eingesetzt, besonders wenn der Kreislauf für eine bestimmte Zeit angehalten werden soll. Allerdings kann eine Überdosis zu einer verminderten Ansprechbarkeit führen und die Atmung und den Kreislauf unterdrücken.
Dies kann zu einem todesähnlichen Zustand führen, während das Gehirn vor einer Hypoxie geschützt wird. Ist das Medikament vollständig abgebaut, können die Betroffenen wieder aufwachen. Sowohl bei Diazepam als auch bei Alprazolam sind Fälle von Überdosierungen bekannt, in welchen die Betroffenen fälschlicherweise für tot erklärt worden sind.4
Auch manche Toxine können einen ähnlichen Effekt haben. Praktizierende von Voodoo (Bokor) nutzen häufig selbst hergestellte Pulver, um ihre Opfer als lebende Tote (Zombies) erscheinen zu lassen.5 Diese Mittel enthalten meist geringe Dosen an Tetrodotoxin (TTX), einem Gift aus Kugelfischen. Das Toxin wird dabei von marinen Bakterien produziert, nicht den Fischen selbst. Die Biosynthese ist hierbei noch nicht vollständig aufgeklärt.
TTX blockiert spannungsaktivierte Natriumkanäle in Neuronen. Durch die Blockade können keine Aktionspotentiale mehr ausgelöst werden und es kommt zu motorischen und sensiblen Ausfällen. Nach der Einnahme treten Symptome innerhalb kurzer Zeit (ca. 45 Minuten) auf. Die letale orale Dosis liegt bei 0,5 – 1 mg.
Die Opfer bei einer Voodoo-Zombifizierung wurden also gelähmt, für tot erklärt, dann aber vor der Bestattung entführt und mussten als Sklaven arbeiten. Die möglichen neurologischen Schäden durch derartige Rituale können zum Zombie-Bild in der Populärkultur beigetragen haben.
Vorsicht bei kaltem Wasser
Eine Immersion in kaltem Wasser kann ebenfalls zur Illusion eines Todesfalls führen, besonders aufgrund der verringerten Herzfrequenz. Berichte von Überlebenden auch nach längerer Zeit unter Wasser sind bekannt. Den Fall eines jungen Mannes, der erst nach 20 Minuten aus dem kalten Bodensee gerettet wurde und überlebte, lesen Sie hier: „19-Jähriger nach Beinahe-Ertrinken auf Intensivstation“.
In der Notfallmedizin gilt daher, dass bei möglichem Ertrinken der Tod erst nach dem Aufwärmen des Opfers festgestellt wird. Eine gute Erholung der neurologischen Funktionen konnte bei Betroffenen dokumentiert werden, die bis zu 70 Minuten in kaltem Wasser waren.6
Auch eine Ohnmacht kann bei der Feststellung des Todes täuschen, da durch die Aktivierung des N. vagus die Herzrate und der Blutdruck vermindert werden. Dies führte zu einem tragischen Fall in Honduras.7 Eine schwangere Teenagerin wurde für tot gehalten, nachdem sie aufgrund einer Schießerei in der Nachbarschaft vor Schreck bewusstlos geworden war. Am Tag nach ihrer Beerdigung waren Schreie aus ihrer Grabstätte zu hören, als sie aus einer langen Ohnmacht erwachte.
Wenige Fälle in Europa
Die meisten Fallberichte stammen aus außereuropäischen Regionen, möglicherweise aufgrund regional unterschiedlicher Prozeduren bei der medizinischen Bestätigung eines Todesfalls. Ein weiterer möglicher Grund ist, wenn aus Kostengründen auf die Untersuchung durch eine Ärztin oder einen Arzt verzichtet wird, wie es in den beschriebenen Regionen vorkommen kann. Dennoch handelt es sich hierbei um sehr seltene Ereignisse.
Ein anderes Vorkommnis, welches auch hierzulande auftreten kann, ist das „Lazarus-Phänomen“. Mehr über einen nach Beendigung der Reanimationsmaßnahmen auftretenden Spontankreislauf nach einem Herzstillstand lesen Sie im Beitrag „Lazarus-Phänomen: Wenn Tote wieder auferstehen“.
Die Todesfeststellung und das Ausstellen eines Totenscheins zählt in Deutschland zu den Routineaufgaben im Notdienst, allerdings kann es auch hier zu Fehlern kommen. Der Arzt und Rechtsanwalt Dr. Alexander Siebel klärt darüber im Beitrag „Leichenschau: Die häufigsten Fehler im Notdienst“ auf.