Assistenzärzte am Ende der Nahrungskette
Der Hartmann-Bund hat im März dieses Jahres eine Umfrage zur Zufriedenheit der deutschen Assistenzärzte veröffentlicht. Die Rückmeldung des ärztlichen Nachwuchses zeugt von Missständen. 1
Lesedauer: ca. 2 Minuten

Dieser Artikel beruht auf einer Umfrage des Hartmannbundes 1 und der dazugehörigen Pressemeldung 2, die Laura Cabrera für Sie zusammengefasst hat.
Erschreckende Arbeitssituation des ärztlichen Nachwuchses
Von Dezember 2018 bis Januar 2019 nahmen 1437 Assistenzärztinnen und Assistenzärzte an der Umfrage teil. Nicht nur ihre Antworten, sondern auch hunderte von Kommentaren legen einen interessanten und teilweise erschreckenden Blick auf die Arbeitswelt der in Weiterbildung befindlichen Ärzte frei – von den Themen Arbeitszeit und Digitalisierung bis hin zu Weiterbildung und Fehlermanagement.
Für den Ausschuss der Assistenzärzte im Hartmannbund – Initiatoren der Erhebung – sind die Resultate durchaus ein Spiegelbild dessen, was ihnen von jungen Kollegen in der Ausschussarbeit geschildert wird. 2
Dr. Wenke Wichmann, Mitglied des Leitungsgremiums des Ausschusses, sieht alle beteiligten Parteien gemeinsam in der Pflicht, Abhilfe zu schaffen – Politik, Krankenhausträger und Verantwortliche in den Kliniken selbst. „Wir sehen uns in erster Linie da nicht in der Rolle des Anklägers, sondern wollen – soweit es geht konstruktiv – daran mitwirken, notwendige Veränderungen zu gestalten“, macht Wichmann klar.
Für grundsätzlich inakzeptabel hält sie es allerdings, wenn gesetzlich klar definierte Regelungen vom Arbeitgeber nicht eingehalten werden. „In dieser Grauzone sind die Weiterbildungsassistenten meistens das schwächste Glied in der Kette und gezwungen, Regelverstöße mehr oder weniger hinzunehmen. Das darf nicht sein“, kritisiert Wichmann.
Die Ergebnisse im Überblick…

Rund 50% der Befragten geben an, ihre Arbeitszeit werde nicht konsequent erfasst und (häufig auch ungeplante) Überstunden würden somit nicht entsprechend dokumentiert. Fast jeder Zweite arbeitet – regelwidrig – im Bereitschaftsdienst länger als 50% seiner regulären Arbeitszeit. Rund 50% der Teilnehmer geben an, Personalausfälle auf ihren Stationen könnten nicht kompensiert werden. Etwas mehr als 70% der Teilnehmer ist schon mal zur Arbeit gegangen, obwohl er oder sie eigentlich krankheitsbedingt nicht arbeitsfähig war.
Mit Abstand der Hauptgrund: „Weil ich meine Kollegen nicht im Stich lassen wollte.“ (87% bei Mehrfachauswahl)
75% der Berufseinsteiger gaben an, sie seien regelmäßig mit Situationen konfrontiert, auf die sie sich „nicht vorbereitet“ fühlten. Fast 70% der Befragten hatten schon einmal, bei sich oder einem Kollegen, patientengefährdende Fehler entdeckt, deren Ursache eine mangelnde Einarbeitung war. Allerdings waren die Assistenzärzte insgesamt sehr zufrieden mit der Unterstützung durch den Hintergrunddienst.
Bei knapp 80% besteht der Arbeitstag bis zur Hälfte aus administrativen Tätigkeiten wie Dokumentieren, Telefonieren oder Befunde einholen. Dass der aktuelle Stand der Digitalisierung dabei kaum hilft, denken 60% der Teilnehmer.
… und in eigenen Worten
In der Kommentarsektion der Umfrage haben die Assistenzärzte ausführlich ihre Situationen und ihre Änderungsvorschläge dargestellt.
Wie kompliziert ist es, Überstunden anzugeben?
- „Einfache Exceltabelle zur Dokumentation und theoretischen Möglichkeit zum Ausgleichsfrei oder Verrechnung eines bestimmten Anteils der Überstunden.“
- „Wer Überstunden angibt, kommt nicht in den OP“
- „Überstunden werden nicht erfasst und dürfen nicht aufgeschrieben werden. Werden nicht akzeptiert.“
Wie wird in Ihrer Abteilung mit (möglichen) Fehlern umgegangen?
- „Habe selbst schon 2x große Fehler gemacht. Dachte es gibt richtig Ärger/es ändert sich was, da 1x Systemfehler. Wurde nicht drauf angesprochen. Wird ignoriert.“
- „Gibt Ärger auf sehr persönlicher und beleidigender Ebene.“
- „Werden mit Kollegen besprochen, denen man vertraut, ggf. auch den Oberärzten oder dem Chef.“
Wie beurteilen Sie die Kommunikation in Ihrem Team?
- „Sehr flache Hierarchie, Ideen können eingebracht werden, Oberärzte sind immer bei Problemen ansprechbar.“
- „Gegenüber den leitenden Oberärzten und erfahrenen Kollegen von Angst und Scham geprägt. Insbesondere wenn es darum geht, dass gewisse Notfallsituationen als sehr belastend empfunden werden.“
- „Anerkennung gibt es keine, stattdessen werden junge Ärzte und Ärztinnen konstant überfordert, schlecht bzw. gar nicht eingearbeitet und anschließend als inkompetent dargestellt.“
Was hält sie vor allem an Ihrem Arbeitsplatz?
- „Ausreichende Personaldecke mit mäßigen Überstunden“
- „Die Arbeitsbedingungen sind in fast allen Kliniken schlecht, man wählt zwischen Pest und Cholera. Im Bewerbungsgespräch werden falsche Fakten geliefert.“
- „Nichts. Ich habe gekündigt.“
Was muss sich ändern, damit Sie an Ihrem Arbeitsplatz von guten Arbeitsbedingungen sprechen können?
- „Die Digitalisierung – PCs, Monitore – müssen dem Standard entsprechen und keine zusätzliche Arbeitszeit rauben. Es müssen alle Überstunden anerkannt und bezahlt werden, es müssen ausreichend Kollegen sowie nichtärztliches Personal vorhanden sein.“
- „Arbeitszeit durchschnittlich unter 48h pro Woche. Dienstbelastung am Wochenende reduzieren. Vergütung der Nachtdienste verbessern.“
- „Dass 1) die tatsächlich geleistete Arbeit auch dokumentiert und finanziell oder freizeitausgleichsmäßig angerechnet werden kann, 2) es geregelte Vertretungen auch für Teilzeitärzte gibt, sodass die eigentlich reduziert geplante/vertrtaglich geregelte Arbeitszeit auch eingehalten werden kann. Ist dies nicht der Fall, sollte unkomplizierte Stundenerhöhung/- Vergütung der geleisteten Arbeit ermöglicht werden. 3) Fairness herrscht und die Oberärzte sich nicht um ihre Arbeit und Verantwortung drücken können, ihre Arbeitszeit nicht einhalten (kommen später, gehen früher, lassen ihre Arbeit liegen oder wälzen sie auf die bereits überlasteten Assistenten ab). Und der Patientenversorgung zuliebe machen wir „dummen Assistenten“ viel zu viel und stabilisieren diesen Missstand dadurch indirekt und ungewollt“
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