Titelbild von Klinik-Wissen kompakt
Logo von Klinik-Wissen kompakt

Klinik-Wissen kompakt

20. März 2023
Selbstmanagement

2 praktikable Tipps für effizientere Abläufe in der Klinik

Viele Routinen in der Klinik und auf der Station sind historisch gewachsen, aber alles andere als effizient. Chefarzt Prof. Dr. Alexander Ghanem hinterfragt, woher die hohe Belastung kommt und zeigt einfache Veränderungen auf, die Entlastung im Klinikalltag bringen können.

Lesedauer: ca. 5 Minuten

Zusammenarbeit in der Klinik
(Foto: Getty Images | Hispanolistic)

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung des Kapitels „Welche Relevanz hat Selbstmanagement im Kontext „New Work“?“ von Prof. Dr. Alexander Ghanem aus dem Buch „The Focused Hospital“ | Redaktion: Nathalie Haidlauf.

Eine hohe Arbeitsbelastung, Zeitdruck, exponentieller Wissenszuwachs im medizinischen Bereich und die ständige Konfrontation mit existenziellen Situationen prägen den Arbeitsalltag von Medizinerinnen und Medizinern. Diese Komplexität kann – neben den Herausforderungen des Privatlebens – schnell zu einem Gefühl der Überforderung, Abhängigkeit und Fremdbestimmung führen. Die aktuellen Zahlen, Daten und Fakten zur dringlichen Notwendigkeit von Veränderung sprechen eine klare Sprache: Laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Marburger Bundes möchten 40 % der Ärztinnen und Ärzte nicht in diesem Beruf weiterarbeiten. Die Begründungen sind ebenso vielfältig wie nachvollziehbar:

  • Mehrarbeit, Nachtarbeit, Schichtarbeit,
  • emotionale Belastung,
  • Leistungsdruck,
  • zu wenig Zeit für Patienten/die eigene Familie/sich selbst,
  • Angst vor medizinischen Fehlern/der großen Verantwortung und
  • Bürokratie.

Der gemeinsame Nenner liegt in der Verknappung von Ressourcen bei den Leistungserbringern und den Kostenträgern: Den Geschäftsführungen mangelt es an Personal, dem Personal fehlt es an Energie und Motivation, und die Kostenträger fordern mehr Wirtschaftlichkeit, Qualität und Patientenzentrierung. Aus diesem Status quo lässt sich die nunmehr dringliche Notwendigkeit von Erneuerung ableiten.

„New Work“ in der Medizin steht für Selbstverwirklichung, Individualisierung und Flexibilität. Die Voraussetzung für diesen Change ist die bedingungslose Übernahme von Verantwortung, insbesondere die Übernahme von Selbstverantwortung. New Work kann hier ganz klein beginnen: beim Selbstmanagement von Ärztinnen und Ärzten.

Rollenkonflikte bestimmten unseren Alltag

Der Einfluss unserer sozialen Rollen (Assistentensprecherin, Weiterbildungsassistentin, Tochter, Mutter, Ehefrau, Elternpflegschaftsvorsitzende, Judoka etc.) auf die Komplexität unseres Lebens kann visualisiert werden: Jeder Punkt entspricht einer Rolle und jede Linie der Abhängigkeit dieser Rollen voneinander. Wenn wir versuchen, vier Rollen zu kontrollieren oder acht zu verwalten oder mit zwölf Rollen zu jonglieren, müssen wir bedenken, dass dies zu sechs, 25 und 66 Interaktionen bzw. potenziellen Interessenkonflikten führt.

Da die Anzahl der Rollen linear wächst, demonstrieren ihre Interaktionen die Kraft des exponentiellen Wachstums! Mit jeder neuen Rolle in Ihrem vollen Terminkalender wird es immer schwieriger, Interaktionen und Konflikte zu vermeiden. Die Komplexität für Kliniker wird durch lange Arbeitszeiten, Wochenendarbeit, Bereitschaftsdienst, Schlafentzug und den Umgang mit potenziellen somatischen Störungen noch verschärft.

Strukturelle Defizite in der Klinik

Hinzu kommen strukturelle Defizite, beispielsweise Redundanzen und Mehrarbeit aufgrund von Digitalisierungsbrüchen. Auch übernehmen Ärztinnen und Ärzte häufig Mehrarbeit oder nichtärztliche Tätigkeiten, weil das Personal nicht reicht. Zum anderen kommen kulturelle Diskrepanzen hinzu, die auf klassischen Generationskonflikten basieren. Die meisten strukturellen und kulturellen Defizite führen dazu, dass Ärztinnen und Ärzte eine unzureichende Selbstwirksamkeit empfinden.

Beispiele für klassische organisatorische Paradigmen in den Kliniken sind:

  • Der Arbeitstag beginnt mit einer Abteilungsbesprechung um acht Uhr.
  • Die Mittagspause ist von den Mitarbeitenden selbst zu organisieren.
  • Die Patientenvisite folgt den Zimmernummern.

Icon Zitat

„Alle drei Paradigmen sind bedingt durch tradierte Gewohnheiten, Rituale und Systeme und damit Teil der ärztlichen Sozialisation. So ist eine selbstorganisierte Mittagspause für klinisch unerfahrenere Kolleginnen und Kollegen schwer umsetzbar, insbesondere wenn Erfahrenere selbst keine Mittagspause machen.“

Prof. Dr. Alexander Ghanem

Doch gibt es Alternativen, die darauf abzielen, sich einem idealen, weil selbstbestimmten und selbstwirksamen Arbeitstag anzunähern.

Tipp 1: Abteilungsbesprechung erst um 12.30 statt um 8.00 Uhr

So hat es Vorteile, die erste Abteilungsbesprechung des Tages nicht klassisch um acht Uhr, sondern erst um 12.30 Uhr abzuhalten. Das übergeordnete Ziel der ersten Besprechung des Tages ist es, den Informationsstand der Berufsgruppen zu synchronisieren. Ärzteschaft und Pflegende besprechen sich mit dem Belegungs- und Case-Management. Dieses Treffen kann auch virtuell stattfinden. Auf der Leinwand oder am Bildschirm können die Beteiligten am klinischen Informationssystem aufgenommene Patienten, klinische Verläufe und geplante Entlassungen besprechen. Auch Fortbildungen, Verweildauern und Problemfälle finden Platz in diesem Forum; somit erübrigen sich separate Termine für diese Themen.

  • Im Gegensatz zum Acht-Uhr-Termin sind mittags alle Patienten visitiert, Vorbefunde organisiert und gesichtet, bestenfalls Konzepte erarbeitet und initiiert. Dies sind die wichtigsten Voraussetzungen für die Evaluation und Entscheidungsfindung.

Ein weiterer Vorteil dieser Uhrzeit: Sie ermöglicht eine gemeinschaftliche und festgelegte Mittagspause als Voraussetzung für eine punktgenaue Wiederaufnahme der Arbeit in den Abteilungen. Entkoppelte Termine und zögerliches Wiederaufnehmen der Arbeit behindern oft das Einrichten einer Auszeit am Mittag. Sind jedoch alle Beteiligten darauf eingestellt, dass um Punkt 13.30 Uhr in den Funktionsabteilungen alles weitergeht, hat eine gemeinsame Mittagspause eine regenerative Wirkung und fördert den Gemeinschaftssinn.

Tipp 2: Funktionsplanbesprechung nach dem Ampel-System

Eine zweite Besprechung um 16 Uhr bereitet die Visite und die Funktionsdiagnostik des Folgetages optimal vor (Funktionsplanbesprechung). Nachdem die Mitarbeitenden in der zweiten Tageshälfte alle Neuaufnahmen gesehen und die Dokumentationen abgeschlossen haben, kann der Folgetag vorbereitet werden. Sinnvoll ist es hier für die Ärzte und Ärztinnen, die Patienten gemeinsam mit den Pflegenden in drei Kategorien ein- bzw. einer Entlassungsampel zuzuteilen:

  • Kategorie „Rot“: Patient wird sicher am Folgetag entlassen.
  • Kategorie „Gelb“: Patient wird möglicherweise entlassen, Befunde/Untersuchungen stehen noch aus.
  • Kategorie „Grün“: Patient wird nicht am Folgetag entlassen.

So sind alle Behandelnden für den kommenden Morgen vorbereitet: Ärztinnen und Ärzte schließen die Dokumentation der sicher und der potenziell zu entlassenden Patienten rechtzeitig ab, ausstehende Untersuchungen der Patienten der Kategorie „Gelb“ werden als „Früh-Untersuchung“ angemeldet, so dass diese zwischen acht und neun Uhr in die Funktionsabteilungen abgerufen werden können. Die Behandelnden können im Verlauf des frühen Vormittags über die Entlassung entscheiden. Auch sonntags sollte der Dienstarzt diese zu priorisierenden Patienten planen.

  • Ein sorgfältig vorbereiteter und öffentlich zugänglicher Funktionsplan sorgt an jedem Morgen für einen reibungslosen Start in den Tag. Die frühmorgendliche Blutentnahme und Visite kann en bloc ohne Unterbrechungen durch Rückfragen stattfinden.

Patienten der Kategorie „Rot“ können zuerst visitiert und mit dem am Vortag vorbereiteten Arztbrief früh entlassen werden. Diese Betten werden so früher belegbar und der Aufnahmeprozess neuer Patienten zieht sich nicht unnötig in den Tag hinein. Pflegende, Dienstärzte und neue Patientinnen werden es zu schätzen wissen und Ärztinnen und Ärzte können zeitig die Station verlassen oder die Aufnahmeuntersuchung auf der Station terminieren, ohne auf die Bettenaufbereitung, die Zimmerreinigung, den Transportdienst oder die Neuaufnahmen warten zu müssen.

Und sollten Sie in diesem Konzept Flexibilität und Spontaneität vermissen, seien Sie sich gewiss, dass sich unerwartete und dringliche Einschübe mit einer festen Tagesstruktur besser kompensieren lassen als ohne. Die Arbeit am und im idealen Tag auf Station soll letztlich Grundlage sein für mehr Selbstwirksamkeit – beruflich wie privat.

Wie kann ich meine Arbeitssituation durch Selbstmanagement verbessern?

Prof. Dr. Alexander Ghanem ist überzeugt: „Niemand wird uns die ideale Arbeitswelt auf dem Silbertablett servieren“. Lesen Sie im zweiten Teil seines Beitrag, wie wir für ein erfülltes Berufsleben unsere Selbstfürsorge und unsere Beziehungen stärker in den Fokus rücken.

Zu Teil 2 >>

Wie konzentriertes und fokussiertes Arbeiten in Kliniken gelingt
Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung des Kapitels „Welche Relevanz hat Selbstmanagement im Kontext „New Work“?“ von Prof. Dr. Alexander Ghanem aus dem Buch „The Focused Hospital“, erschienen am 21. November 2022 bei der Medizinisch Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft.

Zum Buch >>

Impressum anzeigen