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Klinik-Wissen kompakt

14. Sep. 2023
Kommentar

Die große Rettungsstellenreform: Ein Schuss in den Ofen!

Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) wollte das Unmögliche möglich machen. Eine Reform der klinischen Notfallversorgung, die den überbordenden Patientenstrom ab 2024 in vernünftige Bahnen lenkt. Damit ist er nun krachend an der Realität gescheitert. Das Konzept des GBA sei rechtswidrig, entschied das Ministerium. Ein Eklat!

Lesedauer: ca. 3 Minuten

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Volle Notaufnahmen: Große Rettungsstellenreform gescheitert | Symbolbild (Foto: Dreamstime | Monkey Business Images)

Autor: Dr. med. Horst Gross, Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin | Redaktion: Dr. Linda Fischer

Falsche Notfälle

Das Problem ist seit Jahren akut: Immer mehr Patientinnen und Patienten gehen direkt ins Krankenhaus, statt den Weg über den Hausarzt oder die Hausärztin zu wählen. Die Zahl der Notfallpatienten in den Krankenhäusern ist allein von 2010 bis 2019 von 15 auf 19 Mio. Fälle gestiegen.1

In zunehmendem Maße sind es Bagatellbeschwerden, die die Patientinnen und Patienten in die Notaufnahmen führen. „Mehr als die Hälfte der Patienten fällt aufgrund ihrer geringen subjektiven Behandlungsdringlichkeit nicht unter die Definition eines medizinischen Notfalls“, ergab 2017 eine Studie der Universität Hamburg.2 Die meisten Patientinnen und Patienten weisen sich selbst ein. Oft, weil der Hausarzt oder die Hausärztin geschlossen hat.

GBA ist zuständig

Die Situation in den Rettungsstellen und Notfallzentren spitzt sich zu. Neben dem Personalmangel sind auch die Wartezeiten für echte Notfälle unzumutbar geworden. Die gesetzliche Kompetenz zur Beseitigung dieses Chaos liegt beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA). Nach langwierigen Diskussionen hat der Ausschuss im Juli eine gesetzliche Grundlage beschlossen, um die Situation in den Notaufnahmen durch Triage zu verbessern. Interessanterweise geschah dies ohne Beteiligung der Fachverbände, die sich erst im Nachhinein kritisch äußern konnten.3

Weltfremde Triagelösung

Die geplante GBA-Regelung sieht vor, dass Patientinnen und Patienten quasi am Tresen der Rettungsstelle in vier Triage-Kategorien eingeteilt werden.4 Das Repertoire reicht von akuten Fällen, die stationär behandelt werden müssen, bis hin zu Bagatellverletzungen, die zeitnah einen Haus- oder Facharztbesuch erfordern.

Diese weniger dringlichen Fälle sollen direkt in der Rettungsstelle abgewiesen werden und erhalten einen Zahlencode. Dieser berechtigt sie dann, sich bei einer telefonischen Leitstelle einen zeitnahen Arzttermin vermitteln zu lassen. Eine Idee, die von Kritikern als weltfremd eingestuft wurde. Die Erfahrung zeigt, dass solche Abweisungen von Patienten zu unschönen Konflikten führen. Zeitraubende Diskussionen sind notwendig. Pragmatisch werden solche Konflikte oft gelöst, indem der Patient doch in der Rettungsstelle behandelt wird, obwohl dies ambulant möglich gewesen wäre.

Fehlende Kriterien

Die entscheidende Frage ist aber, nach welchen objektiven Kriterien die Triage erfolgen soll und wer dafür qualifiziert ist. Der GBA sah vor, dass notfallmedizinisch qualifiziertes Pflegepersonal sowie Sanitäterinnen und Sanitäter mit Zusatzausbildung diese Aufgabe übernehmen könnten. Ärztinnen und Ärzte sollen in erster Linie beratend tätig werden.

Die Triage-Kriterien sollten objektivierbar sein. Dies sollte durch ein standardisiertes Protokoll dokumentiert werden. Bislang gibt es jedoch weltweit noch kein validiertes Tool zur Entscheidungsfindung, das diesen Anforderungen gerecht wird. Trotzdem hat der GBA sein Konzept für 2024 als verbindlich deklariert.

Computer entscheidet

Schlimmer noch: Ab 2025 wurde die schrittweise Umstellung auf ein computergestütztes Entscheidungsverfahren gefordert. Der GBA ging in seinem Beschluss einfach davon aus, dass bis dahin eine entsprechende Lösung gefunden wird. Auf Unverständnis stieß auch, dass der GBA die Kliniken für diesen Triageprozess nicht vergüten wollte. Die heftige Kritik der Fachverbände scheint nun im zuständigen Ministerium angekommen zu sein.

GBA blamiert

Das Bundesgesundheitsministerium hat am 12.9.23 eine Entscheidung getroffen, die in dieser Form bisher einmalig und von großer Brisanz ist: Es hat die gesamte Richtlinie des Bundesausschusses für rechtswidrig erklärt. Schlimmer noch, nach Einschätzung des Ministeriums könnte das Konzept des GBA sogar das Patientenwohl gefährden. Damit ist das gesamte Projekt vorerst gestoppt und der GBA bis auf die Knochen blamiert.

Schlimmeres verhindert

Das Problem selbst bleibt jedoch bestehen. Es wird lange dauern, eine neue Lösung zu finden. Die kann auch nur gelingen, wenn die Bürokraten und Juristen nicht wieder unter sich sind und die praktisch Arbeitenden aus der Klinik nicht mit ins Boot nehmen. Denn die Medizin ist - und bleibt - eine komplexe Angelegenheit. Sie hat unmittelbar mit dem wirklichen Leben zu tun. Und das erfordert oft eine Flexibilität, die sich nicht durch formale Vorgaben erreichen lässt. Ein Gutes hat die Intervention des Bundesgesundheitsministeriums dennoch. Den Rettungsstellen blieb ein Konzept erspart, das alles noch viel schlimmer gemacht hätte.

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